Donnerstag, 25. April 2024

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Transitzonen für Flüchtlinge
"Kein Vorschlag aus dem bayerischen Gebirge"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat die Kritik an Transitzonen für Asylbewerber zurückgewiesen. Er sagte im Deutschlandfunk, solche Bereiche stünden im Einklang mit EU-Recht. "Da kann dann schon ein Zaun drum gemacht werden." Es gehe aber nicht darum, "Haftanstalten oder dergleichen zu kreieren".

Joachim Herrmann im Gespräch mit Peter Kapern | 14.10.2015
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Der Innenminister sagte, eine Transitzone "sieht nicht anders aus, als heute auch eine große Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in unserem Land aussieht." Dort solle verhindert werden, dass Asylbewerber nicht erst "quer durch Deutschland verteilt werden" und dann die Staatsangehörigkeit eines sicheren Herkunftslandes festgestellt werde. "Die momentane Situation (...) ist ein insgesamt illegaler Zustand." Um zu verhindern, dass Flüchtlinge über "die grüne Grenze" nach Deutschland kommen, sei "am Anfang sicherlich ein großer Polizeieinsatz" nötig.
    Der CSU-Politiker beklagte, dass erst jetzt Kritik an der EU-Richtlinie für Asylverfahren geäußert werde. "Das ist ja kein Vorschlag, der hier im bayerischen Gebirge entstanden ist", sagte Herrmann. "Wir sagen in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenminister, es ist sinnvoll, davon Gebrauch zu machen." Bei einem Treffen der Innenminister in Berlin hätten auch alle SPD-regierten Länder gesagt, die momentane Situation sei auf Dauer so nicht verkraftbar. "Ich vermisse bis heute jeden konkreten Vorschlag, was denn die SPD vorschlägt, damit es im nächsten Jahr 2016 nicht noch einmal so viele werden wie in diesem Jahr."
    Wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), im Deutschlandfunk jetzt Transitzonen mit Haftanstalten zu vergleichen, sei "völliger Unsinn", sagte Herrmann. Der Streit in der Koalition darüber bedeute aber kein Ende der Zusammenarbeit von CDU, CSU und SPD. Er wolle "nicht jedes Mal gleich über Scheitern von Koalitionen reden", sagte der CSU-Politiker. "Wir wollen dieses Konzept durchsetzen. Jetzt fange ich nicht heute an, schon zu sagen, das könnte scheitern."

    Das vollständige Interview:
    Peter Kapern: Klingt nicht so, als könnten CDU und CSU mit der Zustimmung der SPD rechnen beim Vorhaben, an den Grenzen Deutschlands sogenannte Transitzonen einzurichten. Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende zum Beispiel hat gestern gesagt, ich mache sinnvolle Maßnahmen mit, aber nicht solche, damit Horst Seehofer wieder lieb ist, und darum geht es nach Ansicht der SPD. Kann der Gesetzentwurf, an dem derzeit gefeilt wird, gleich wieder im Reißwolf verschwinden? Bei uns am Telefon Joachim Herrmann von der CSU, der Innenminister von Bayern. Guten Morgen, Herr Herrmann!
    Joachim Herrmann: Hallo! Guten Morgen!
    Kapern: Herr Herrmann, die Reaktionen vom Koalitionspartner SPD sind da doch sehr eindeutig: Keine Haftanstalten für Tausende von Flüchtlingen, heißt es da, oder auch keine Haftzonen im Niemandsland. Klingt nicht so, als sei ein Kompromiss möglich. Ist es am besten, die Idee gleich wieder zu beerdigen?
    Herrmann: Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht. Dieser Vorschlag ist im vollen Einklang mit dem, was eine EU-Richtlinie vorsieht. Es hat in der Vergangenheit überhaupt keine Kritik an dieser EU-Richtlinie gegeben. Das heißt, es ist ja kein Vorschlag, der hier im bayerischen Gebirge entstanden ist oder aus einer CSU-Kommission heraus käme oder dergleichen, sondern es ist europäisches Recht, das hier als Möglichkeit angeboten wird, und wir sagen in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenminister, es ist sinnvoll, davon Gebrauch zu machen. Wir werden mit der SPD darüber reden!
    "Vermisse konkrete Vorschläge der SPD"
    Kapern: Was, wenn die SPD hart bleibt?
    Herrmann: Nun, es ist interessant, wenn zum Beispiel Sigmar Gabriel in den letzten Wochen ja immer wieder - jeden zweiten Tag wird er damit zitiert - erklärt, er meint auch, dass wir nicht unbegrenzt weiterhin so viele Flüchtlinge wie in diesem Jahr aufnehmen können. Er hat von 800.000 oder einer Million gesprochen und klar gesagt, das könne im nächsten Jahr nicht einfach in dieser Größenordnung weitergehen. Ich vermisse allerdings bis heute jeden konkreten Vorschlag, was denn er, was denn die SPD vorschlägt, um dafür zu sorgen, dass es im nächsten Jahr 2016 nicht noch einmal so viele werden wie in diesem Jahr. Denn auch das konnte ich am Sonntag wieder erleben in Berlin: Es sind die Innenminister aller Länder. Es sind auch alle SPD-Innenminister, die sagen, das ist auf Dauer so nicht verkraftbar, wir stoßen an die Grenzen unserer Aufnahmefähigkeit, an die Grenzen der Möglichkeiten, dass unsere Rettungsorganisationen, dass die Hilfskräfte, dass die Polizei das überhaupt noch vernünftig bewältigen kann.
    Kapern: Herr Herrmann, die Frage lautete ja: Was, wenn die SPD bei ihrem Nein bleibt zu den Transitzonen?
    Herrmann: Nun, wir, denke ich, sollten uns jetzt erst mal vernünftig in Berlin zusammensetzen. Wir werden konkret vorschlagen, wie das aussehen kann. Ich halte Begriffe wie "große Haftzonen" und "Tausende in Haft" und dergleichen für völligen Unsinn. Darum geht es überhaupt nicht. Wir haben letztendlich ein Konzept, das ja anknüpft an die EU-Richtlinie, an das, was bis jetzt schon das sogenannte Flughafenverfahren war, wo nämlich auch ganz einfach gesagt wird, wenn jemand einreist an den Flughäfen, dann wird erst mal geprüft, ob er überhaupt Chance auf ein Asylverfahren hat, wenn der einen Asylantrag stellt oder ob das völlig unbegründet ist. Und bis das geprüft wird innerhalb weniger Tage, muss er in dieser Wartezone am Flughafen bleiben.
    Kapern: Herr Herrmann, wenn ich kurz noch mal dazwischen gehen darf? Ich muss ja auch irgendwie belegen, dass ich mein Gehalt wert bin. Deswegen versuche ich es jetzt einfach noch einmal. Was, wenn die SPD bei ihrem Nein bleibt?
    Herrmann: Wir wollen dieses Konzept durchsetzen. Jetzt fange ich nicht heute schon an, zu sagen, das könnte scheitern, sondern wir arbeiten jetzt an diesem Konzept und sagen klar, ...
    Kapern: Kann die Koalition daran scheitern?
    Herrmann: Nein! Wir dürfen nicht jedes Mal gleich übers Scheitern von Koalitionen reden.
    "Dieses Konzept ist wohl begründet"
    Kapern: So wichtig ist es der CSU dann doch wieder nicht?
    Herrmann: Aber ich sage noch einmal: Dieses Konzept ist wohl begründet. Es ist sinnvoll, es hat sich bewährt. Das Flughafenverfahren ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als zulässig erklärt worden. Das heißt, es ist offenkundig, dass das, was von der SPD im Moment an Kritik geäußert wird, haltlos ist. Darüber werden wir reden, und selbstverständlich steht es der SPD frei, andere Vorschläge zu machen. Wie gesagt: Bisher höre ich von der SPD zwar aus vielen Mündern, auch Herr Oppermann hat schon erklärt, er sieht große Probleme bei der gegenwärtigen Zahl der Flüchtlinge. Einen konkreten Vorschlag zur Begrenzung habe ich von der SPD, auch von Herrn Oppermann, von Herrn Gabriel bis heute nicht gehört. Deshalb bleiben wir bei unserem Vorschlag.
    Kapern: Herr Herrmann, Sie haben gerade beschrieben, wie so ein Verfahren in den Transitzonen an den Flughäfen abläuft und wie das ablaufen könnte in den Transitzonen, die Sie an den Außengrenzen Deutschlands vorschlagen. Die meisten unserer Hörer können sich, glaube ich, nicht so recht etwas darunter vorstellen, wie eine solche Transitzone denn tatsächlich aussehen könnte. Die SPD spricht da von Haftlagern, von Haftanstalten. Das weisen Sie zurück. Versuchen Sie doch bitte mal, unseren Hörern ein Bild zu entwerfen. Wie sieht eine Transitzone optisch aus, die dann dort in der bayerischen Landschaft zu finden wäre?
    Herrmann: Das kann an der Grenze sein, das kann übrigens nach dem EU-Recht durchaus angesichts einer größeren Zahl von Flüchtlingen auch im Landesinneren sein, das kann zum Beispiel dann eine solch größere Aufnahmeeinrichtung sein, in der zunächst einmal die Ausweispapiere und Anliegen der Flüchtlinge geprüft wird. Bei jemand, wo klar ist, das muss geprüft werden, das ist nicht aus erster Hand abzulehnen - wenn heute jemand aus zum Beispiel Afghanistan oder dem Irak kommt, dann wird immer ein sorgfältiges Asylverfahren durchgeführt -, dann kommen ...
    Transitzone sieht wie ein Erstaufnahmelager aus
    Kapern: Herr Herrmann, bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich da noch mal dazwischen gehe. Wir sind ja jetzt wieder beim Verfahren. Ich hatte Sie ja nach der optischen Anmutung einer solchen Einrichtung gefragt. Wie muss man sich das vorstellen, Stacheldrahtzaun, Wohncontainer, Scheinwerfer, damit nachts keiner stiften geht? Wie sieht so etwas aus?
    Herrmann: Das sieht nicht anders aus als heute auch eine große Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge in unserem Land aussieht. Es geht ja nur darum, nicht dort Haftanstalten oder dergleichen zu kreieren, sondern es geht darum, dass die Leute nicht wie im Moment erst mal quer durch Deutschland verteilt werden und dann hinterher festgestellt wird, der ist ja beispielsweise aus Mazedonien, ein sicheres Herkunftsland, und soll umgehend wieder zurückkehren, sondern dass sich so eine Frage, der ist aus Mazedonien und hat deshalb eigentlich überhaupt keine Chance, hier zu bleiben, dass die schon an der Grenze festgestellt wird, oder in der Nähe der Grenze in einer Erstaufnahme-Einrichtung und von dort aus unmittelbar zurückgeführt wird.
    "Da kann dann schon ein Zaun drum gemacht werden"
    Kapern: Das heißt, Herr Minister, Sie gehen davon aus, dass ein Flüchtling beispielsweise aus Mazedonien, der weiß, dass er keine Chance hat, einen Asylanspruch in Deutschland durchzusetzen, in einer Erstaufnahmeeinrichtung ohne jede Umzäunung freiwillig bleibt?
    Herrmann: Da kann dann schon ein Zaun drum gemacht werden. Mit Verlaub, das war noch im letzten Jahr in Deutschland selbstverständlich auch bei den großen anderen Erstaufnahme-Einrichtungen. Flüchtlinge sind dort geblieben, bis entsprechend ihr Asylverfahren durchgeführt worden ist. Die momentane Situation, dass hier Tausende quer durch Deutschland unterwegs sind, ist ein insgesamt illegaler Zustand. Es ist nämlich so: Wenn einer ohne Ausweispapiere, ohne gültiges EU-Visum in unser Land kommt, dann hält er sich illegal auf. Und die einzige Möglichkeit, dass das legalisiert wird, ist, dass er einen Asylantrag stellt. Dass im Moment Leute quer durch unser Land reisen, die weder einen gültigen Pass haben noch offiziell einen Asylantrag gestellt haben, ist einfach eine illegale Situation, und dazu hat überhaupt niemand ein Recht, sich auf dieser Grundlage quer durch Deutschland zu bewegen.
    Kapern: Nun wird sich das ja unter Flüchtlingen, die mutmaßen müssen, dass sie kein Recht auf einen Asylantrag in Deutschland haben, herumsprechen, wenn es solche Transitzonen geben würde. Und da gibt es dann die Vermutung, dass die dann eher den Grenzübergang über die grüne Grenze wählen statt über die offiziellen Grenzübergänge, wo möglicherweise freundliche bayerische Beamte auf sie warten. Was tun Sie denn dann?
    Herrmann: Dann werden die genauso, wie das im Moment der Fall ist, an der grünen Grenze entsprechend aufgegriffen von der Bundespolizei, und sie werden dann in diese Transitzonen gebracht.
    Kapern: Wie viele Tausend Bundespolizisten brauchen Sie, um die grüne Grenze völlig dichtzumachen?
    Herrmann: Das braucht am Anfang sicherlich einen großen Polizeiansatz. Das ist gar keine Frage.
    Herrmann fordert Polizeieinsatz
    Kapern: Wie viele sind das?
    Herrmann: Ich habe hier keine konkreten Vorstellungen von den Zahlen. Das wird man gemeinsam mit der Bundespolizei erarbeiten. Wir werden einen sehr konkreten Plan vorlegen. Aber klar ist auch: Wir brauchen diesen Einsatz, und wir müssen wieder rechtmäßige Zustände in unserem Land herstellen. Das ist übrigens auch aus Gründen der inneren Sicherheit notwendig. Da geht es nicht nur um die Zahl der Flüchtlinge. Klar ist aber auch: Wenn das seine Wirkung tut - das sieht man ja auch an den Flughäfen -, dann kommen irgendwann einmal bestimmte Leute gar nicht mehr, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, und das ist ja auch der Sinn der Sache. Diejenigen, die ganz klar nach der deutschen Rechtslage keine Chance auf Asyl haben, die sollen sinnvollerweise gar nicht mehr erst kommen!
    Kapern: ... sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU. Herr Herrmann, vielen Dank, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag nach München.
    Herrmann: Danke, das wünsche ich Ihnen auch. Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.