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Transmediale
Die Gier nach Daten

Die Transmediale im Berliner Haus der Kulturen der Welt ist das größte deutsche Medienkunstfestival. Es setzt sich in diesem Jahr mit der allgemeinen Datensammelwut auseinander. Nicht nur Geheimdienste, speichern alles, was sie kriegen können, sondern auch viele Unternehmen und staatliche Institutionen. Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Von Oliver Kranz | 29.01.2015
    Die Automatenstimme im Videotrailer der Transmediale zählt auf, was man alles speichern kann: Schlafzeiten, Schritte, Lebensgewohnheiten, Sehenswürdigkeiten und geografische Daten. Die Liste scheint endlos zu sein.
    "Wir gehen davon aus, dass die Datensammelwut heute die gesamte Gesellschaft durchdringt. Das muss nicht unbedingt eine Bedrohung sein. Daten werden ja nicht nur gesammelt, um Menschen zu überwachen, sondern auch um Arbeitsprozesse zu optimieren oder das menschliche Zusammenleben besser planen zu können."
    Kristoffer Gansing ist der Leiter der Transmediale. Er hat dem Programm in diesem Jahr drei Schwerpunkte gegeben: Work, Life and Play. Die Festivalsprache ist englisch.
    "Zu jedem dieser drei Schwerpunkte gibt es eine Reihe von Veranstaltungen. Wir diskutieren zum Beispiel den Einfluss von Algorithmen auf unser Leben. Jevgeni Morozov spricht darüber, wie in der öffentlichen Verwaltung alles von Daten abhängt, die auf verschiedenste Weise erhoben werden. Stephen Graham erklärt sein Modell einer smarten Stadt und diskutiert Sarah Kember, einer Cyberfeministin, die über das Leben in der Smart City geschrieben hat."
    Schon die Überschriften machen klar, dass die Datafizierung unseres Lebens nicht unbedingt negativ gesehen wird. Daten zu sammeln, ist weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, mit welchem Ziel es geschieht. Doch natürlich wirken die Snowden-Enthüllungen nach - das spürt man sofort, wenn man das Haus der Kulturen der Welt betritt. Überall stehen Gitterzäune, die mit einer grauen Gaze bespannt sind. Das große helle Foyer ist ein Labyrinth geworden, in dem man sich schwer zurechtfindet. Und auch die Ausstellung hat etwas Klaustrophobisches. Die Kunstwerke werden in vergitterten Räumen gezeigt, die wie Gefängniszellen wirken.
    "Wir kritisieren die Massenüberwachung auf jeden Fall und versuchen Wege aufzuzeigen, wie man damit umgehen kann", erklärt Robert Sakrowski, einer der Kuratoren der Ausstellung, "ob man es beschleunigt, übertreibt und annimmt und in der Übertreibung zerschlägt vielleicht."
    Die Amerikanerin Jennifer Lyn Morone hat ein Unternehmen gegründet, das alle Daten, die sie selbst generiert, verkauft. Die Gründungsurkunde, ein Einführungsvideo und eine Preisliste sind in der Ausstellung zu sehen. Persönliche Daten, wie Name und Geburtsdatum sind schon für wenige Cents zu haben. Fotos und E-Mails kosten etwas mehr. Für 4.999 Dollar würde Jennifer Lyn Morone ihre Sozialversicherungsnummer preisgeben. Was sie erreichen will, ist einfach:
    "Ich möchte die Leute darauf aufmerksam machen, dass ihre Informationen wertvoll sind. Natürlich bekommt man nicht viel, wenn man einfach nur seinen Namen verkauft, aber in Kombination mit anderen Details, kann der Name schon wichtig sein. Die Datenhändler, die solche Informationen tausendfach verkaufen, möchte ich gern ausschalten."
    Das ist die Stimme des Datenorakels, dass die Künstlergruppe Art is Open Space in der Ausstellung installiert hat. Es wertet Informationen aus, die die Internetnutzer auf verschiedenen Websites hinterlassen haben.
    "Das kann man sich so vorstellen, dass das Orakel ja Daten abgreift, die wir freiwillig geben. Das sind Ortsdaten zum Beispiel. Wo befinde ich mich jeden Tag. Daraus kann man ableiten, wo werde ich mich den nächsten Tag auch befinde zu derselben Uhrzeit."
    Und so wirft das Orakel permanent Prophezeiungen aus, die von einer Computerstimme verkündet und gleichzeitig von einem altmodischen Drucker ausgedruckt werden. Der Ausstellungsraum füllt sich nach und nach mit Papier:
    "Das ist eine ironische Geste an die übertriebene Vorstellung, die wir haben, dass wir Kontrolle erlangen, je mehr Daten wir erfassen. Der Capture-All-Ansatz ist auch etwas grotesk. Also wenn man alles captured, dann wird es zum Original. So etwas kann nicht funktionieren."
    Das Datenorakel begräbt sich in witziger Sturheit in einem Papierberg. Ein Zeichen, dass Medienkünstler auch im Jahr zwei nach den Snowden-Enthüllungen ihren Humor nicht verloren haben.