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Trash-TV und Hochkultur

Am Bayerischen Staatsschauspiel überträgt Regisseur Jens-Daniel Herzog Schillers Berabeitung des tragikomisches Märchen "Turandot" in die Gegenwart. Das Ergebnis ist eine schrille Farce auf dem teils bitterbösen Terrain der TV-Unterhaltungsshows.

Von Cornelie Ueding | 05.07.2009
    Das sensationelle Vincero-Casting flimmert als Video über den Monitor, der Pfannen- und Tellerwäscher träumt sich backstage – nein, nicht zum Millionär, aber doch zum Traummann der schönen unnahbaren Turandot. Da stürzen ein paar Rüpel in die Bühnenküche und er kann sich in einer turbulenten Pfannen- und Kochlöffelschlacht nur mit Mühe behaupten. Doch ungebrochenen Muts strebt er, allen Warnungen zum Trotz, dem höchsten aller Ziele zu: Er stellt sich den Rätseln der Turandot – und löst sie. Und damit fangen die Probleme erst richtig an, denn die Stolze will nicht. Zahllose Möchtegern-Gatten mit Rang und Namen, die ihrem scharfen Verstand nicht gewachsen waren, hat sie kühlen Herzens enthaupten lassen – so viel ist ihr die Freiheit wert – und da kommt dieser Unbekannte, Hergelaufene (selbstredend ein unerkannter Prinz) und will sie ihr nehmen.

    In München übersetzt Regisseur Jens-Daniel Herzog das alte Märchen in eine zeitgemäße Version: Die Welt ist eine Bühne, die Bühne aber ist eine in und um sich selbst rotierende: Fernsehshow. Eine auf Dauer gestellte Kreuzung von TV-Casting-Show und Quiz-Serie.

    Damit erreicht Herzog eine frappierende Verlebendigung, eine furiose Slapstick- und Kalauer-gespickte Beschleunigung dieses scheintot im Schiller-Nachlass dümpelnden "tragikomischen Märchens", das eigentlich nur noch die Philologen zu interessieren schien. Mehr noch: mit seiner Turandot-Inszenierung tritt er den szenischen Beweis an, dass die eigentliche Modernität Schillers nicht im üblichen Freiheits- und Idealismus-Klischee begründet ist, sondern in einer hier geradezu exemplarisch vorgeführten Spiel-Lust. In einer Lust an der Spielsüchtigkeit. Besonders, wenn es sich um gefährliche Spiele, um Spiele auf Leben und Tod handelt. Wenn sich zum Exempel zwei verstockte Liebende, die hochmütige und hochintelligente Prinzessin und der nicht minder risikofreudige Prinz Kalaf, mit Ratespielen auf des Messers, ja des Richtschwerts Schneide, wechselseitig lustvoll und selbstzerstörerisch traktieren.

    Erst ihre drei Fragen –im Worttakt glatt vom "Gegenspieler" geknackt – dann, als Jackpot, die Gegenfrage nach seiner Identität, die aus dem Sudio-Serail in Peking russisches Roulette werden lässt. Am nächsten Morgen sinken sich, nach letzter Prüfung, statt befreiter Liebender - zwei horrifizierte Gespenster in die Arme. Denn was anfangs Spiel, zwar Spiel auf Leben und Tod, aber immerhin Spiel war – hat sich auf Mathis Neidhardts Drehbühne voller backstage-Kammern hinter dem Show-Room in einem labyrinthischen Laufwerk aus Eifersüchteleien, Hofkabalen, Bespitzelungsattacken und skurrilen Gegenmaßnahmen verfangen. Aus Akteuren werden hopsende, zuckende, skurril erstarrende, dann wieder panisch getriebene Nervenbündel. Herzogs Showdown-Spielstil erweist sich als wirkungsmächtiges Erbe der Commedia-dell'arte-Mechanik: Es ist, als ob die schwindelerregende Verkehrung von Schein und Sein, backstage und Schau-Seite, die Figuren gleichzeitig antreiben und zerreiben würde.

    Ständig geistern sie in neuen Verkleidungen und Rollen im Laufrad der Performance von Set zu Set. Bis ihnen die Puste ausgeht und sie in der gnadenlosen, auch gnadenlos komischen Mechanik des Spiels alle zu Opfern oder Nebenfiguren werden. Nicht mal das trippelnde Fernsehballett entkommt dem Gang dieser bitterbösen Geschichte. Einzelne steigen sie zwar aus dem Tatu – aus dem Spiel auszusteigen erweist sich indes als weit schwieriger. Denn nun zeigt das Spiel mit witzigen Lügengespinsten die ernste Kehrseite: aus Ränken und Intrigen folgen Verletzungen, Demütigungen, psychische und physische Folter, Zerstörung und Selbstzerstörung. Die unglückliche Konkurrentin Turandots um die Liebe Kalafs ist am Ende nur noch entleibt, als verzerrtes Gesicht auf der Mattscheibe erhalten. Und selbst ihr Bild wird ausgeknipst – damit es die TV- und mediengerecht inszenierte Happy-end-Show nicht stört.

    Ein bitterer Schlussmoment, der letzte dieser schrillen Farce, die es versteht, die Gefühls-Skala zwischen Klamauk und Entsetzen, Gelächter und Mitleid, Entertainment und Irritation so gekonnt zu erweitern, dass auch das Bild von Schiller als Verfasser pathosgeladener Tragödien ad absurdum geführt wird. "Nur" ein Auftragswerk für das Theater in Weimarer, "nur" die Bearbeitung eines Märchens von Carlo Gozzi – aber über 200 Jahre später eröffnet Herzogs Münchner Turandot-Inszenierung den Blick für die andere, fast Dürrenmatt-artige, groteske Seite Schillers. Auch in den großen Dramen. Im Jubiläums-Jahr ein überfälliges – theatralisches Geschenk.