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Trauma des Hamas-Terrors
"Es gibt eine Flucht der klugen Köpfe"

Der nicht enden wollende Konflikt mit den Palästinensern und vor allem die Herrschaft der radikalen Hamas im Gazastreifen lässt viele israelische Künstler und Intellektuelle verzweifeln. Entsetzt sind sie auch über die Reaktion der eigenen Bevölkerung, die religiösen Parteien immer mehr Raum gibt.

Von Christian Gampert | 17.12.2014
    Raketen aus Gaza-Stadt - hier am 15. Juli 2014
    Raketen aus Gaza-Stadt - hier am 15. Juli 2014 (afp / Thomas Coex)
    "Ich hab immer an eine bessere Zukunft geglaubt. Und jetzt verliere ich zum ersten Mal die Hoffnung. Man kann sich eine andere Realität gar nicht mehr vorstellen. Das ist ganz neu für mich, und das ist wirklich niederschmetternd."
    Das sagt der Tänzer und Choreograph Uri Shafir über die Folgen, die der Gaza-Krieg in diesem Sommer für ihn hatte. Nach dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen 2005 hatten viele Israelis an eine Einigung mit den Palästinensern geglaubt. Aber der beständige Raketenbeschuss durch die Hamas, die 2007 in Gaza geputscht hatte, lässt der Linken in Israel die Argumente ausgehen. Furchtbar finden linke Israelis nicht nur, dass die Bevölkerung von Gaza unter dem Terrorregime der Hamas leidet – und unter den Vergeltungsschlägen der israelischen Armee natürlich; furchtbar finden sie auch die Reaktion der eigenen Bevölkerung.
    "Die meisten Israelis zeigen ein posttraumatisches Verhalten. Wir nehmen gar nicht mehr wahr, dass wir unter einem Trauma leiden. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie es ist ohne Sirenen und In-den-Bunke-Rennen. Das ist das Furchtbarste, dass die Leute das akzeptieren. Sie haben keine Wahrnehmung mehr dafür, dass das Leben ganz anders sein könnte."
    Uri Shafir tanzt bei der bekannten Yasmeen Godder, er hat deutsche Vorfahren, die zum Teil im Holocaust ermordet wurden. Auf die Frage, ob nach dem Gazakrieg nun die nächste Intifada bevorstehe, antwortet er:
    "Ich denke, sie hat schon angefangen. Vielleicht hat sie noch nicht den Umfang der vergangenen Intifadas, aber die Palästinenser befinden sich durchaus in einem mentalen Zustand der Intifada."
    Messerattacken in Moscheen und in Autos, die in Warteschlangen fahren, das ist offenbar nur der Anfang. Ob die im März bevorstehenden Wahlen zur Knesset da etwas ändern? Der Choreograph Nadar Rosano ist skeptisch.
    "Es gibt eine kleine Hoffnung, dass Netanjahu verschwindet. Sogar die Leute, die immer für seine Partei gestimmt haben, beginnen zu sehen, was in den letzten 20 Jahren passiert ist. Nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch im Sozialen. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, man kann hier nicht mehr leben."
    Zwischen 10.000 und 15.000 meist junge Israelis sollen derzeit in Berlin leben - weil es billiger und unheimlich hip ist. Auch Rosano war einige Zeit in Berlin, arbeitet aber wieder in Tel Aviv. Und schimpft auf die religiösen Splitterparteien.
    "Es gibt eine Flucht der klugen Köpfe. Deshalb haben all diese beinahe faschistischen Parteien immer mehr Raum. Niemand hält ihnen den Spiegel vor oder tadelt sie. Es wird hier immer schlimmer."
    Nadar Rosano gehört zu denen, die für den sofortigen Rückzug aus den besetzten Gebieten wären auch ohne Bedingungen. Allerdings wird er nachdenklich, wenn man nach dem möglichen Verhandlungspartner fragt und danach, wie die Diktatur im Gazastreifen beendet werden soll.
    "Vielleicht kann man mit Hamas nicht reden. Wir müssen jemand anderen finden, wie Abu Masen."
    Abu Masen ist der Kampfname von Mahmud Abbas. Er ist der einzige Palästinenser, der in der israelischen Politik einigermaßen Vertrauen genießt. Auch der Historiker Ori Katzir, früher Journalist bei der Tageszeitung "Jedi'ot Acharonot" und zeitweise Sprecher von Ehud Barak, sieht das so.
    "Der Krieg hat wieder gezeigt, dass es keine Versöhnung mit der Hamas geben kann. Hamas erkennt das Existenzrecht Israels nicht an – wie soll man mit einer solchen Organisation eine Einigung erzielen? Das wird weltweit nicht verstanden. Mit der PLO kann man verhandeln. Aber je weniger die Palästinenser sich entscheiden, wer sie denn nun repräsentiert, desto weniger wird sich bewegen. Der einzige denkbare Partner ist Mahmud Abbas."
    Katzir bedauert, dass westliche Regierungen einen de facto nicht existierenden Palästinenserstaat prophylaktisch anerkennen und damit das Terrorregime der Hamas salonfähig machen. Wer die Hamas in Gaza stürzen soll, ist auch ihm unklar. Aber er sagt: Solange Israel weltweit boykottiert werde, weil es gegen eine Terror-Organisation wie die Hamas kämpfe, so lange werde es im Nahostkonflikt keinen Fortschritt geben.