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Trauma Tschernobyl

Umwelt. - Der 26. April 1986 ging als finsterer Tag für Mensch und Umwelt in die Geschichte ein: Nur haarscharf entgingen Teile der Ukraine, Weißrusslands und Russlands damals dem größten anzunehmenden Unfall, dem so genannten GAU, als das Atomkraftwerk in Tschernobyl außer Kontrolle geriet und explodierte. Auf Einladung der Wissenschafts-Pressekonferenz in Bonn kamen deutsche und russische Wissenschaftler zu dem denkwürdigen Jahrestag zusammen, um über das Unglück, seine Folgen und die Zukunft des Havaristen zu diskutieren.

    Ein Schwerpunkt der heutigen Wissenschaftspressekonferenz zum Thema "15 Jahre Tschernobyl" in Bonn beleuchtete den weiteren Umgang mit dem havarierten Reaktor. Das Problem drängt, denn der Sarkophag, der um den explodierten Kraftwerksblock herum errichtet wurde, weist inzwischen gefährliche Schwachstellen und Lecks auf. So soll in den kommenden Jahren ein zweiter Mantel um den bisherigen Sarkophag errichtet werden, der die Ruine vor weiteren Witterungseinflüssen schützen wird.

    Der Bau der neuen Schutzhalle wird zunächst in einiger Entfernung vom Unglücksreaktor begonnen werden, um die Arbeiter nicht der noch immer starken Strahlung vor Ort auszusetzen. In einem zweiten Schritt soll der rund 250 weite und etwa 100 Meter hohe, bogenförmige Bau langsam über die alte Reaktorkapsel geschoben werden. Während die Finanzierung des zweiten Schutzwalls gegen die radioaktive Ruine weitgehend geklärt ist, geht die Planung seiner Umsetzung kaum über die ersten Maßnahmen hinaus, denn noch fehlen zu viele Details über den Zustand des alten Sarkophages und möglicherweise notwendiger Vorbereitungen daran. So ist im Lauf der Jahre einiges Regenwasser in das Bauwerk eingedrungen und muss abgepumpt und dekontaminiert werden, um nicht das Grundwasser zu gefährden. Überdies müssen die Westwand der Reaktorhülle sowie verschiedene Träger noch erheblich verstärkt werden, bevor die neue Strahlenglocke montiert werden kann

    Breiten Raum nahm bei dem Treffen in Bonn auch das Resümee der bisher bekannten gesundheitlichen Auswirkungen der Katastrophe auf die direkt Betroffenen wie auch auf die Nachbarländer ein. Die Zahlen dazu schwanken allerdings stark: So weisen Studien zwischen 1800 und 4000 Fälle von bösartigen Schilddrüsengeschwulsten aus, wobei besonders viele Kinder an dem Krebs erkrankten. Dagegen konnte bislang kein Anstieg von Leukämien verzeichnet werden, wohl aber eine allgemeine Tendenz zu einer Häufung an Leiden, die bislang nicht als typische Strahlenfolgen gelten, darunter Herz-Kreislauf- und Magenerkrankungen sowie verschiedene Gehirnleiden. Während Fachleute diskutieren, ob ein Zusammenhang zwischen diesen Krankheiten und der Strahlenexposition in der Ukraine besteht, belegen zumindest neue Forschungsergebnisse, dass auch nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima eine ähnliche Häufung solcher Krankheitsbilder auftrat.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]