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Traurige Menschenwesen aus der Sicht des distanzierten Zuschauers

Félix Vallotton gehörte zur A-Liga der Schweizer Maler am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er war wie Van Gogh oder Bonnard ganz französisch orientiert, mondän und subtil. Das Kunsthaus Zürich zeigt Werke unter dem nicht völlig unironischen Titel "Schöne Zeiten".

Von Christian Gampert | 06.07.2013
    Wie leer gefegt wirken diese Bilder, egal, ob da vornehme Damen an der Strandpromenade von Étretat, winzige Menschen im Bois de Boulogne oder ein einsamer Angler an den sandigen Ufern der Loire dargestellt werden. Félix Vallotton kommt vom Holzschnitt. Und das merkt man seiner Malerei in allen Perioden an: Er arbeitet mit großen fahlen Flächen, und die scharfe Linienführung hat etwas Traurig-Lakonisches, bisweilen geht sie sogar ins Comichafte und Parodistische – etwa in den Portraits oder Intérieurs.

    Das Züricher Kunsthaus verfügt über einige Hauptwerke des in Genf geborenen Malers – und durch einen offenbar gezielt herbeigeführten Zufall kann man das Eigene hier nun mit einer Privatsammlung ergänzen, die vor allem kleine, intime Formate zu dieser Ausstellung beisteuert.

    Am Züriberg scheinen ja des Öfteren Millionenbeträge an den Wänden zu hängen, einfach so. Der Sammler, der natürlich bescheiden im Dunkel bleiben will, ist im Besitz einiger wirklich großartiger Bilder, die unsere Sicht auf Félix Vallotton verändern. Zu nennen ist da vor allem eine Strandszene bei Honfleur von 1919: Wie Puppen, wie Staffagefiguren sitzen und stehen da die Menschen vor einem grauen, bleiernen, flachen Meer, ganz hinten schwimmen zwei Segelschiffe wie in einer Pfütze, dahinter ein paar lila Wolken und ein naiv blauer Himmel. Das changiert zwischen Henri Rousseau, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit – und ist doch etwas ganz Eigenes.

    Vor einigen Jahren hat das Kunsthaus in einer großen Rückschau Vallottons Akte in den Vordergrund gestellt, diese großen, vom Leben enttäuschten Frauen, die wie beim Arztbesuch völlig enterotisiert und teilnahmslos dasitzen oder liegen. Zu diesem Thema gibt es hier nur ein einziges Bild und zwei entrückt Patiencen legende Akte.

    Im Mittelpunkt steht stattdessen das Skandalwerk von 1892, "Le bain au soir d'été", eine Badeszene, mit der Vallotton die Damen der Pariser Gesellschaft bis zur Kenntlichkeit karikierte. Die Pariser Haute Volée war nicht amüsiert, zumal Vallotton in dem chinoisen Bild nebenbei Manets "Olympia" und Figuren aus dem "türkischen Bad" von Ingres parodierte.

    Im klassizistischen Moserbau des Kunsthauses kommen all diese Werke wunderbar zur Geltung, vor allem in den kleineren Räumen. Die Ausstellung belegt aber auch, dass Vallotton bei der Künstlergruppe der Nabis, der Erleuchteten, allenfalls eine Randfigur war: Zu eigenständig ist seine von Gauguin animierte Linienführung, zu radikal seine gerade noch gegenständliche Farbflächenmalerei. Mit dieser handwerklichen Avanciertheit ließ Vallotton das Manieriert-Flatterhafte der Belle-Epoque und auch den Impressionismus hinter sich zugunsten einer doch auch niederschmetternden Gesellschaftsdiagnose.

    Die Menschen in seinen Intérieurs sind fast nie von vorn, sondern meist von der Seite zu sehen. Und sie sind Platzhalter in einem bürgerlichen Ambiente, das langsam ausgedient hat. Vallotton spürte das Ende der bürgerlichen Epoche in seiner Gesellschaftsmalerei, aber er konnte diese Diagnose auch als Landschaft verkleiden, als großes Landschaftstheater, "paysage composé". Seine an die Abstraktion kratzenden Sonnenuntergänge sind von eminenter, oft ins Tiefblaue changierender Traurigkeit – bei gleichzeitiger Verwendung eines satten, lebensbejahenden Grüns.

    Das Fin de Siècle mit seiner dekadent-sensualistischen Ambivalenz dauerte ja bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Und es wird im Subtext dieser Ausstellung nochmals analysiert. Vallotton ist da ein unerbittlicher, distanzierter Zuschauer - doch auch ein leichthändig arbeitender Künstler. Er hat keine Angst vor trüben Farben und schlechtem Wetter - die gefrorene Neva ist bei ihm eisgrau, der Himmel darüber fast schwarz. Eine Gebirgslandschaft der Hochalpen ist bei ihm von tektonischer Strenge, wie nach einer Computergrafik gemalt. Überhaupt sind seine Bilder fast bürokratisch geordnet, auch die Portraits und die Akte.

    Und: Vallottons Figuren werden von ihrem Schöpfer nie erotisch aufgeladen, nie in ihrer Schwermut denunziert; sie werden lediglich psychologisch entkleidet und als traurige Menschenwesen kenntlich gemacht.

    Ausstellungsinfos:
    Félix Vallotton. Schöne Zeiten
    im Kunsthaus Zürich
    Vom 5. Juli bis 15. September 2013