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Neue Entwicklungen auf der Gamescom

Maximilian Schönherr im Gespräch mit Manfred Kloiber | 16.08.2014
    Manfred Kloiber: Ein großer Computerspielehersteller hat seine festen Kanäle, über die er ein neues Spiel bekannt macht. Wie machen das die Kleinen?
    Maximilian Schönherr: Da geht kein Weg an YouTube vorbei, dem Videoportal von Google. Und zwar müssen die Entwickler ihr Spiel dort selbst zeigen, also einen Trailer anfertigen. Damit den auch andere finden, muss auf den Trailer in sozialen Netzen hingewiesen werden. Diesen Weg beschreiten die Independents und hoffen auf den Zufall, der ihr Spiel zum Geheimtipp werden lässt.
    Kloiber: Realistisch?
    Schönherr: Unrealistisch, meinte Mike Rose auf dem Kongress. Um wirklich groß herauszukommen, führt kein Weg an den "Big Youtubers" vorbei. Er hat über sein Spieleportal Gamasutra über 100 Spielerezensenten auf Youtube befragt und stellte unter anderem fest: Gerade die ganz Großen, die mit einigen Hunderttausend und mehr Abonnenten, bekommen – anders als Zeitschriftenredaktionen – praktisch keine Emails. Mike Rose rief dazu auf, diesen Kanal zu den ganz Großen auf Youtube zu nutzen. Mir sagte er im Interview aber auch folgendes:
    ((Gespräch mit Mike Rose))
    Kloiber: Das heißt, einige der großen Spielerezensenten fordern Geld, um dann eine vermeintlich neutrale Besprechung machen?
    Schönherr: Das ist in der Fachpresse nicht viel anders, da läuft das dann meistens über Werbung: "Wir schalten eine Werbung, wenn ihr das und das Spiel besprecht." Aber so offen, wie das jetzt auf Youtube bekannt wurde – das ist schon eine neue Qualität. Ich habe auf dem Game Developers Kongress merkwürdige und bemerkenswerte Sachen gehört. Zum Beispiel der Vortrag zweier Vertreter der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) über Kriterien für Altersbeschränkungen in verschiedenen Ländern.
    Kloiber: In Deutschland achtet die USK auf Nazi-Symbole und Gewalt ...
    Schönherr: ... in Brasilien aber kamen Spiele auf den Index, weil sie die Demokratie lächerlich machten, in Australien, weil es nicht erlaubt ist, dass ein Held Drogen nimmt und dadurch stärker wird. Die der deutschen USK vergleichbare iranische Behörde hat eine eigene Klassifizierungsschwelle, nämlich Spiele für Menschen die a) über 25 Jahre alt und b) verheiratet sind. Im Iran fallen Spiele durch, die kein Happy End haben, also Leere und Aussichtslosigkeit zurücklassen.
    Kloiber: Und Russland?
    Schönherr: Spiele mit homosexuellem Inhalt gehen da nicht.
    Am Dienstag bot auf dem Kongress der Internetbuchhändler Amazon einen ganztägigen Workshop über die Programmierung von Spielen auf den neuen Geräten, vor allem dem Amazon Fire Smartphone mit seinem 3D-Bildschirm. Es ist begrüßenswert, dass sich zu Apple und Google jetzt ein dritter großer Player gesellt. Aber wie Amazon sich präsentierte, war schon etwas unterirdisch. Die Firma zieht eine Binnenwährung auf, die Amazon Coins, zelebriert neue Werbestrategien innerhalb der Apps und nennt das Gesamtpaket der Rundumvermarktung dann "Ökosystem". Für europäische Ohren ist das der Hohn. Schließlich ein Themenbereich mit mindestens drei hervorragenden Vorträgen: die Immersion.
    Kloiber: ... also wie ein Computerspiel uns fesselt und reinzieht.
    Schönherr: Das betrifft vor allem neue VR-Systeme, also Spiele, in die man mit dem ganzen Körper eintaucht, zum Beispiel über eine Datenbrille. Jed Ashforth von Sony fasste einige Erfahrungen mit virtueller Realität zusammen. Weil es notwendig ist, den Spieler in den ersten Minuten zu binden, weil er sonst gleich wieder geht, muss man zum Beispiel bei einem Autorennspiel die virtuelle Figur am Steuer so platzieren, dass sie mit der Körpergröße des realen Spielers harmoniert. Sonst sitzt der zu tief und fühlt sich nicht wohl. Auch die Klaustrophobie ist bei VR ein ernstes Problem; man sollte entsprechend disponierten Personen die Option anbieten, die Wände halbdurchsichtig zu machen.
    Kloiber: Diese Probleme gibt es bei normalen Bildschirmspielen nicht?
    Schönherr: Kein Vergleich. Ashforth bat die Entwickler auf der Konferenz inständig, den Kopf der Person, also ihres Avatars in Ruhe zu lassen. Es waren – und sind jetzt auf der Gamescom – einige neue VR-Systeme, unter anderem eins, was aussieht, wie ein Laufstall, zu sehen, die stellen eine neue Qualität dar. Wenn man da noch biometrische Messdaten mit einfließen lässt, etwa Handschweiß, Hirnwellen, Blutdruck, Augenbewegungen, ist die virtuelle Realität verdammt real. Eine abgeschwächte Form davon sind Spiele mit Bewegungs- und Augentracking. Andy Bastable von Microsoft Research baut die realen Spieler mit dem Kinect Sensor und neuer Software innerhalb weniger Sekunden nach. Der spielt dann in dem Sportwettkampf eine Figur, die ihm selbst ähnelt. Das ist verblüffend, weil ein sehr dünner Mann mit Dreitagebart dann einen sehr dünnen Mann mit Glatze und Dreitagebart spielt. Die größten Sensibilitäten der User, erzählte Andy Bastable, betreffen aber nicht seinen Bart – wenn der mal von der Software nicht optimal getroffen ist, stellt das kein Problem für den Spieler dar. Wohl aber seine Glatze. Und bei Frauen die Frisur. Sie nehmen alle einen Pferdeschwanz in Kauf, auch wenn das System sie gar nicht von hinten ansieht und nur raten kann.