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Tresenlesen-Reunion
Blues Brothers der komischen Literatur

Nach Kräften bemüht sich die Kleinkunstszene, den publikumslosen Zeiten online Paroli zu bieten. Eine Sensation war die Ankündigung der Reunion des Kabarett-Duos „Tresenlesen“ aus Bochum. 20 Jahre nach ihrer Trennung lassen sie auch im Deutschlandfunkinterview Fans auf mehr hoffen.

Von Achim Hahn | 14.04.2020
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Nach 20 Jahren wiedervereint - Frank Goosen und Jochen Malmsheimer als Duo "Tresenlesen" (©Andreas Möltgen)
Frank Goosen (liest im Jahr 2000 aus "Lassiter"):

"'Lassiter glitt vom Barhocker und ging zu ihnen. Ein breites Grinsen in den Zügen.'

(Jochen Malmsheimer macht Zuggeräusch)

Sie schauten ihm entgegen - und jetzt stelle man sich einmal vor, man möchte beschreiben, wie da sechs bis acht wirklich fiese Viehdiebe sitzen: unrasiert, schlechte Zähne, die bringen vor Morgenkaffee schon mal vier Leute um, einfach um wach zu werden. So richtig fieses Gesindel. Und jetzt will man beschreiben, dass die sich amüsieren. Was für ein Verb. Äh, Entschuldigung - was für ein Tu-Wort würde man da wohl benutzen wollen?"
So klang das damals: Ein Ausschnitt aus "Lassiter" - ein Western-Groschenroman; geschrieben in Castrop-Rauxel. Vorgetragen von "Tresenlesen", dem Bochumer Duo, das in den 90er-Jahren in Kleinkunstkreisen und darüber hinaus legendär wurde.
Frank Goosen (liest im Jahr 2000 aus "Lassiter"):

"Da gebe es eine Menge, aber nur Jack Slate, der Meister, weiß, welches Wort da wirklich hingehört: 'Sie schauten ihm entgegen, und kicherten.'"
Ein rares Kleinkunstdokument. Denn vor 20 Jahren hatten sie sich getrennt und seitdem solo Karriere gemacht: Jochen Malmsheimer als einer der wortgewaltigsten deutschen Kabarettisten, ausgezeichnet unter anderem mit dem Deutschen Kleinkunstpreis, und Frank Goosen, Bestsellerautor von oft verfilmten Ruhrgebietsromanen, die er auch in Lesungen sehr komisch vorträgt. Allein für den ersten Satz aus dem "Lassiter"-Heft hatten die beiden damals fünf Minuten gebraucht, um improvisierend über die Lachsalven hinweg zu kommen.
Jochen Malmsheimer (Interview im Jahr 2000): "Tresenlesen ist eine literarische Dienstleistung für jedermann, die einen Abend anbietet, in dem dann Texte aus der Weltliteratur versammelt sind: unterhaltsam, bisweilen komisch, mitunter skurril und in jedem Fall sehr witzig."
Sagte einst Jochen Malmsheimer dienstleistungsbeflissen. Doch das Besondere waren nicht nur ihre hochkomischen Texte, sondern - wie Frank Gossen ergänzt - die Art ihres Vortragsstils:
Frank Goosen (Interview im Jahr 2000): "Also diese geradezu kriminelle Spontaneität, die geradezu starkstromartige Power..."
... mit der die Herren sich unentwegt unterbrachen oder sich in irrwitzige Überleitungen verstiegen, mit Worten und Gesten, Assoziationen und mundgemachten Geräuschen. Das Publikum tobte. In Rage gelesene Kleinkunst und in den Wahnsinn getriebene Dialoge – die Markenzeichen von Tresenlesen.
Tresenlesen-Reunion:

Goosen: "Können Sie uns etwas über das Spiel sagen? Vielleicht das Ergebnis?

(Malmsheimer macht Tonaussetzergeräusche)

Hallo, ich höre Sie nicht."
Fans wussten, dass die kurzfristig angekündigte Reunion der beiden eine Kleinkunst-Sensation sein würde. Zumal ihre Trennung vor 20 Jahren nicht sehr freundschaftlich von statten gegangen war. Aber:
Goosen: "Herr Malmsheimer und ich, wir haben uns zwar nicht gleichzeitig, aber beide mit großer Intensität vor die flache Stirn geschlagen und gesagt: Wann, wenn nicht jetzt?"
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Tresenlesen-Reunion:

Goosen: "Da ist irgendwo ein Tor gefallen."

Malmsheimer: "Tooor im Haberland!"

Goosen: "Ja bitte, Wucht-Brumme!"

Malmsheimer: "Tooor im Haberland! "

Goosen (schreit): "Ja bitte, Wucht-Brumme!"

Malmsheimer: "Tooor - Oh, pardon, bin ich schon drauf? Endlich war es soweit. In der 79 Minute war es der Algerier Yusuf Gibmaldenballab, der den tödlichen Pass von Lippelstedt aufnahm und unhaltbar für Torhüter Fritz Fänger in die Maschen jagte."
Klar, sie sind älter geworden.
Tresenlesen-Reunion:

Goosen: "Das ist jetzt die ..."

Malmsheimer: "... Überleitung aus dem Überleitungsmuseum in Mainz."

Goosen: "So sieht’s aus."
In gebührendem Corona-Abstand sitzen sie auf der Bühne des Bochumer Zeitmaultheaters. Highlight und Abschluss des kleinen Online-Festivals "Größen ausse Gegend". Angeheizt durch toxische Getränke irischer Herkunft, aber natürlich auch ohne Publikum, das merklich fehlt als zusätzlicher Durchlauferhitzer.
Tresenlesen-Reunion:

Malmsheimer: "Jetzt könnte man Lacher einschneiden. Ich hab ja jahrelang, auch als Solist, viel vor Möbeln gespielt. Also ohne Publikum."
So kommen sie ins Plaudern. Zunächst. Tresenlesen-Histörchen. Kleinkunst-Geschichte. Erinnerungen an merkwürdige Auftritte im Weißt-du-noch-damals-Gestus:
Goosen: "Es war vor allem absolut frappierend zu sehen, zu hören, zu spüren, ja gleichsam zu schmecken, wie sehr einem diese Nummern ins Genom übergegangen sind."
Malmsheimer: "Als wären wir vor zehn Tagen auseinandergegangen."
Denn als sich Frank Goosen und Jochen Malmsheimer am Ostersamstag warmgelaufen hatten, ist sie wieder da, die alte Vertrautheit - wie früher, konzeptlos, gehen die improvisierten Pointen Hand in Hand, steigern sie sich in Extase:
Tresenlesen-Reunion:

Goosen: "Zustimmendes Gemurmel erfüllte einen Teil des Spektatoriums. Der Geföhnte ..."
(Malmsheimer macht das Geräusch eines Föhns)
Goosen: "... hub an scheinbar überliefert zu sprechen."
Ein subjektives Best-of, ihre Klassiker als Kleinkunstevent, das der Krise virtuos trotzt. Und der Auftritt von Tresenlesen lässt auf eine echte Live-Reunion zweier ehemals guter Freunde hoffen, wie sie sagen.
Malmsheimer: "Ich sag mal: Man kann heute Dinge denken, an die ich vor drei Wochen nicht zu denken gewagt hätte. Also ..."
Goosen: "... allein die Tatsache, dass diese Wiedervereinigung stattgefunden hat, zeigt ja, es ist tatsächlich nichts unmöglich."