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Trigeminusneuralgie
Der schmerzhafte Tick

Tic douloureux, der schmerzhafte Tick. So nennt der französische Volksmund die Trigeminusneuralgie. Die Nervenkrankheit verursacht plötzliche, reißende Schmerzen im Gesicht, die durch kleinste Berührungen ausgelöst werden können – beim Zähneputzen, Rasieren, oder auch nur durch einen Luftzug.

Von Jennifer Rieger | 28.02.2017
    Eine Zahnbürste mit Zahnpasta vor einem Mund
    Wer unter Trigeminusneuralgie leidet, kann schon beim Zähneputzen plötzlich reißende Schmerzen bekommen. (picture alliance / dpa / Romain Fellens)
    Zähneputzen – für die meisten eine Routinesache. Doch für Menschen mit Trigeminusneuralgie ist die tägliche Zahnpflege oft eine Qual. Denn schon schwächste Berührungen im Gesicht können blitzartige Schmerzattacken auslösen.

    "Das ist wie wenn Sie an einem Trafo angeschlossen wären. Und es überfällt einen irgendwo, hauptsächlich bei mir jetzt in der Nacht und man kann gar nichts machen."
    Ruth Rüfenacht leidet seit fünf Jahren unter der Nervenkrankheit. Damit ist sie eine von schätzungsweise 1000 Patientinnen und Patienten, die in der Schweiz leben. Trigeminusneuralgie ist selten – von 100.000 Menschen sind etwa 13 betroffen. Doch für diese ändert sich das ganze Leben. Ruth Rüfenacht fuhr früher gerne Motorrad. Heute kann sie das nicht mehr – der Fahrtwind würde den Schmerz auslösen.
    "Und ich merke auch, ich tue alles um diesen Schmerz zu verhindern. Man wird fast ein wenig neurotisch. Weil das ist so ein starker Schmerz, den kann man nicht beschreiben."
    Die Ursache der Trigeminusneuralgie liegt im Nervus trigeminus, dem Drillingsnerv. Er läuft an beiden Seiten des Gesichts entlang und teilt sich in drei Hauptäste: Stirn-, Oberkiefer- und Unterkieferast. Berührungsreize werden von Nervenfasern zum Gehirn geleitet, die normalerweise durch eine dicke Isolationsschicht geschützt sind.
    "Und das Problem bei der Trigeminusneuralgie ist, dass diese Myelinschicht von den Berührungsfasern defekt wird, aus unterschiedlichen Gründen, das heißt die Signale von Berührungsreizen haben plötzlich Zugang zum Schmerzsystem."
    Dominik Ettlin arbeitet am Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich und leitet eine interdisziplinäre Schmerzsprechstunde für Zahn- und Gesichtsschmerzen. Als Mitautor einer klinischen Studie hat er einen neuen Wirkstoff getestet, der die Nervenschmerzen lindern soll. Vorläufiger Name: BIIB074. Bisher wird Trigeminusneuralgie meist medikamentös behandelt, doch die herkömmlichen Präparate haben einen entscheidenden Nachteil: Patienten leiden oft unter starken Nebenwirkungen.
    "Schwindelgefühle, sie haben Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, starke Müdigkeit."
    Das neue Medikament wirkt ähnlich wie die bekannten Wirkstoffe: Es blockiert die Natriumkanäle in den Nervenfasern, die Signale an das Hirn regulieren. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Arzneimitteln tut es das allerdings nur, wenn besonders starke Reize weitergeleitet werden – wie bei den Schmerzattacken der Trigeminusneuralgie. Dadurch werden unerwünschte Nebeneffekte offenbar reduziert. Im Test wirkte das neue Medikament besser als ein Placebo, statistisch konnte die Wirksamkeit allerdings noch nicht nachgewiesen werden.
    "Wo es statistisch deutlich war, das war, dass es eben weniger Nebenwirkungen gab."
    Das kann Ruth Rüfenacht bestätigen. Sie hat als Probandin an der Studie teilgenommen.
    "Eine totale andere Lebensqualität, weil die Schwindel, die waren weg, ich war auch nicht mehr so müde, und es war wirklich so eine Verbesserung. Ich habe mich sehr wohl gefühlt."
    Dominik Ettlin arbeitet mit einem internationalen Team an einer groß angelegten Phase-III-Studie.
    "Und wir sind zuversichtlich, dass wir mit einer größeren Population von Testpersonen dann auch einen deutlicheren Unterschied in der Wirksamkeit gegenüber einer Zuckerpille finden werden."
    Die Studie soll im zweiten Halbjahr dieses Jahres beginnen. Wenn alles gut läuft, könnte das Medikament in fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen – und Patienten mit Trigeminusneuralgie helfen, sich wieder sorgloser die Zähne zu putzen.