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Trio Shirley Holmes
Reine Energie

"Heavy Chansons"und "Schnelle Nummern" heißen die bisherigen Alben von Shirley Holmes: Die Berliner Band von Gitarristin Mel und Bassistin Miss Ziggy plus Schlagzeuger Chris spielt eine laute, schnelle, tanzbare Mischung. Phlegmatische Gemüter können ihren Ruhepuls mit dieser Musik ordentlich steigern.

Von Anja Buchmann | 28.07.2019
    Zwei Frauen und ein Mann stehen vor einer mit Graffiti bemalten Wand.
    Die Songs entstehen häufig beim gemeinsamen Jammen im Proberaum (Christoph Mangler)
    Ziggy: "Wie eine Therapiestunde - wir haben es schon öfter gespiegelt bekommen von Fans: Ich bin zu einem Konzert gekommen, ich war so schlecht drauf, so wie das Leben manchmal ist. Und nach eurem Konzert, da geht es mir einfach gut, es ist wie eine Therapiestunde. Das haben wir öfter gehört, deshalb dachten wir, das kann man jetzt auch mal aufnehmen."
    Die Wurzeln
    Energie ist natürlich nicht nur Schnelligkeit und Lautstärke – wird aber oft damit verbunden. Und was diese beiden Parameter angeht, plus Intensität, da ist Shirley Holmes ganz weit vorn. Zwei Frauen, ein Mann, die Band benannt nach der Nichte von Sherlock Holmes. Was aber keine wirkliche Bedeutung hat, der Name Shirley Holmes ist einfach so bei diversen Berliner Küchengesprächen von Mel und Ziggy aufgekommen. Kennen gelernt haben sich die beiden über einen gemeinsamen Produzenten. Und es passte von Anfang an, musikalisch und persönlich. Dabei waren Ziggys erste musikalische Schritte eindeutig klassischer Natur; sie stand sogar kurz davor, klassisches Cello in den USA zu studieren. Hat sie dann doch nicht gemacht.
    "Sehr schön ist es aber auch, mit diesem Hintergrundwissen ihre Performance zu sehen oder auch bei der Probe. Eine, die 20 Jahre ihres Lebens Klassik gemacht und dann geht sie auf einmal ab wie Schmitz’ Katze."
    Drummer Chris - geborener Bayer, wohnhaft in Bremen - hat sich, nach jahrelangem Dasein als Gitarrist, das Schlagzeugspielen wieder neu drauf geschafft, um bei Shirley Holmes spielen zu können. Und zusammen sind sie ein Team und machen: "Sport mit Gitarre"
    Musik: "Smells like team spirit"
    Musik: "Voll auf die Mütze"
    "Smells like Team Spirit" aus dem jüngsten Album von Shirley Holmes, das da heißt Schnelle Nummern. Das Debut "Heavy Chansons" erschien schon 2011, war im Ganzen noch etwas roher, etwas ungeschliffener. Meint auch Band-Chefin Mel: "Heavy Chansons, das erste Album ist soundlich auf jeden Fall etwas "rougher". Das passt in die Zeit. Dementsprechend, die ‚schnellen Nummern‘ sind etwas runder, wahrscheinlich etwas poppiger, mehr Elektro-Elemente, aber eben trotzdem voll auf die Mütze."
    Shirley Holmes ist: Melodischer Punk, Grunge, 90ies Rock, meist deutsche, manchmal englische Texte; zuweilen leichte Anklänge an den Neue Deutsche Welle-Sound von Bands wie ‚Ideal‘ . Letzteres passt insofern, als Sängerin Mel in der gleichen Stadt wie Annette Humpe aufgewachsen ist: In Hagen, dem Tor zum Sauerland. Die Band selbst beschreibt den Klang bzw das Soundideal der einzelnen Instrumente als: ‚Gitarrensound der 90er mit Snare-Sound der 80er, der Rotzigkeit von heute und dem Druck von 2047 - Druck, Bass, fett, laut, modern. Gitarristin Mel hat sich inzwischen ein größeres Arsenal an Effektgeräten für ihr Instrument zusammen gesucht – die diversen Pedale und ihre klanglichen Möglichkeiten stehen aber nach wie vor nicht im Vordergrund.
    "Eigentlich hatte ich überhaupt nie ein Interesse an diesen ganzen Dingen. Mir reichte immer ein Verzerrer und ab die Post. Aber mittlerweile verstehe ich, dass es doch auch Spaß macht, noch andere Pedale rumliegen zu haben. Aber wir sind jetzt nicht so eine Band, die diese Riesenkoffer mit 40 Effekten dabei hat."
    Therapeutisches Texten
    Die Songs entstehen häufig beim gemeinsamen Jammen im Proberaum aus kleinen Riffs und Melodien. Ebenso die Texte, sie werden oft assoziativ entwickelt.
    "Was aber auch spannend ist, kann ich für mich jetzt sagen: Wenn ich zum Beispiel eine Melodie entwickle, singe ich irgendetwas, was gerade aus mir rauskommt, ein Kauderwelsch. Manchmal sind es aber auch zusammenhängende Wörter. Um dann im Nachhinein, das dauert bei mir immer eine Weile, im Nachhinein zu merken, das ist ja etwas, was Dich wirklich beschäftigt hat und ich den den Sinn dahinter erst einmal mitkriege. Weil ich wirklich ganz oft, wenn ich etwas mache, überhaupt nicht über diese Wörter nachdenke, das ist reine Melodie für mich. Und das ist dann eben spannend zu sehen, was kommt eigentlich aus dir raus, und worum geht es für dich in dem Song, dass das Unterbewusstsein das alles scheinbar schon längst verstanden, abgespeichert und umgesetzt hat, während ich noch an der Oberfläche krame. Also auch für uns ist Shirley Holmes eine Therapiestunde."
    Ob der Text zu "homicidal actress", einem alten Song von Shirley Holmes therapeutisch war, sei mal dahin gestellt. Jedenfalls erinnert sich Ziggy noch an den Hintergrund: "Wir haben 2009 vor allen Dingen an dem Album gearbeitet, dem ersten Album, da gab es mehrere Amokläufe und mir war plötzlich erschienen vor meinem geistigen Auge das Bild einer Schauspielerin, die nicht mehr gebucht wird, irgendwie frustriert ist durch die Nachbarschaft zieht und deren Wut und Frustration und Trauer sich entlädt. Daraus ist dieser Text entstanden."
    Musik: "Homicidal Actress"
    Musik: "Nadines Korsett"
    "Musikmachen mit deutschen Texten bedeutet nicht automatisch, dass man einen Schein im Pro-Seminar Roter Faden machen will." - so beschreiben Shirley Holmes ihre Texte, die zuweilen kleine Geschichten andeuten, diese nicht immer weiter verfolgen, sondern frei assoziieren. Texte, die natürlich mit Alltags-Themen, mit Lebensthemen zu tun haben – aber dennoch sehen sich die drei als politisch.
    Zwei Frauen und ein Mann stehen in einem gekachltem Raum und blicken in die Kamera.
    Shirley Holmes spielt auf einigen Festivals dieses Jahr (Cchristoph Mangler)
    Politische Grundhaltung
    "Auf jeden Fall politisch. Vielleicht nicht primär in dem Sinne, dass wir offensichtlich sehr ausführlich differenziert Themen adressieren, sondern eher immer den Umweg über die humoristische Schiene nehmen. Aber politisch in jedem Fall, insofern als wir in bestimmten Kontexten häufig auch auftreten, also politischen Kontexten im Sinne von Festivals, die sich gegen Rechts engagieren oder auch ‚queer-Festivals‘. Nicht nur, aber eben auch. Und generell sehen wir uns auf jeden Fall auch als eine Band, die diese Gesellschaft durchaus auch an vielen Stellen kritisch wahrnimmt. Das drückt sich auch in einigen Texten aus."
    So etwa bei "Mein Trip mit P.Watzlawick". Ein Song, der an den Kommunikationswissenschaftler und Therapeuten erinnert und an seine Geschichten in der "Anleitung zum Unglücklichsein". Texteschreiberin Ziggy:
    "Deutschland hat sich sehr verändert durch viele Geflüchtete, die einen Ort gesucht haben an dem sie sicher sind, viele können damit besser und andere schlechter damit umgehen. Es geht in dem Text vor allen Dingen um die besorgten Bürger. Ich fand die Art, vielleicht nicht liebevoll aber doch zumindest humorvoll zu umarmen, mit einem positiven Text - am Ende des Tages also Paul Watzlawick -, zu spiegeln dass Angst vielleicht nicht immer der beste Ratgeber ist, und dass manche Dinge vielleicht auch anders zu sehen sind. Die ‚Anleitung zum Unglücklichsein‘ von Watzlawick, eigentlich ein sehr schönes Vehikel, um diese Gefühle anzusprechen und auf eine irgendwie humorvolle Weise zu zeigen, dass wir das eigentlich eher etwas absurd finden.
    Musik: "Mein Trip mit P.Watzlawick"
    Musik: "Binichbinichbinich"
    "Binichbinichbinich, die aktuelle Single von Shirley Holmes, inklusive Zitat von The Offspring und "Pretty fly for a white guy", die das einfache Leben in der Gegenwart feiert, im Gegensatz zum gern beschworenen Hamsterrad des modernen Lebens. Schlagzeuger Chris: "Dieses Hamsterrad, dass man so unter Druck steht in der heutigen Zeit, immer alles schneller und auf Leistung und man muss einfach nur noch funktionieren. Durch dieses ständige funktionieren einfach, die Frage aufkommt: Was mache ich da eigentlich, alles läuft auf Autopilot und man weiß eigentlich gar nicht mehr wo es hingeht. Und nebenbei verliert man diese Frage: Wer bin ich oder was bin ich."
    Song mit Gastrapperin Sookee
    Eine Frage, zu der auch das Thema ‚Digitale Medien‘ gehört. Ja, es ist vorteilhaft, sich auch über Instagram, Facebook und Twitter eine Fangemeinde heranzuziehen. Shiley Holmes sind dort auch aktiv - allerdings deutlich weniger als zum Beispiel die Kolleginnen der Band Gurr. Einen Song gibt es auch zum Thema: "Total Digital", eigentlich schon fürs erste Album geschrieben. Irgendwie hat es der Song dann doch erst auf den zweiten Longplayer geschafft; mit einem kleinen textlichen Update plus Gastauftritt der Berliner Rapperin Sookee.
    "Für Sookee war es auch eine kleine Herausforderung. Sie hat nämlich gesagt, dass sie noch nie in ihrem Leben so schnell gerappt hat. Als wir uns getroffen haben, sagten wir: Was haben wir uns eigentlich dabei gedacht. Im Nachhinein vermutet sie, dass es doch noch mal geschnitten worden sei, aber sie hat es wirklich so schnell gesungen und im Studio hatten wir schon so ein bisschen modernisiert. Sookee hat völlig frei ihren Teil dazu gemacht. Wir haben kurz darüber gesprochen, wie wir zum Thema Digitalisierung stehen, was wir uns wünschen und sie hat dann, finde ich, auch eine sehr gute, etwas politische Note rein gebracht und gleichzeitig durch zusätzliche Aktualität ergänzt."
    Musik: "Total digital"
    Gender Equality, Festivals, Vorbilder
    Shiley Holmes spielt auf einigen Festivals dieses Jahr: Unter anderem auf der Breminale, beim Woodstockenweiherfestival im Allgäu und bei Bochum Total, es folgen noch: Das Hamburger Wutzrock oder das Stemweder Open Air. Dennoch: Es könnten noch mehr sein, gerade angesichts der starken Live-Präsenz und Energie der drei Bandmitglieder. Eine Diskussion, die immer wieder geführt wird: Warum sind nach wie vor so wenige Musikerinnen auf Festivals vertreten, warum etwa waren beim diesjährigen Rock am Ring wieder nur männliche Headliner, ebenso wie beim Hurricane? - Bei letzterem haben die Booker ja immerhin nach diversen öffentlichen Kritiken, u.a. von Popjournalist Linus Volkmann, noch ein paar weibliche acts nachgebucht. Shirley Holmes begrüßt sehr die in Großbritannien initiierte "Keychange-Initiative", die eine Gender-Equality bei Festival-Line-ups erreichen will. Denn: Es ist immer noch ein Problem, wie Mel erläutert.
    "Wie sollen sich Strukturen von Grund auf verändern, dieses: Mädchen lernt Geige, Junge lernt Schlagzeug - wenn es nicht ausreichend Vorbilder auf den Bühnen gibt. Ich verstehe, dass das Festival Booking hochkomplex sein kann, viele Faktoren eine Rolle spielen, eben nicht nur ob da Mädels oder Jungs auf der Bühne stehen. Aber ich sehe eben auch Festivals, die ein ausgeglichenes oder zumindest ausgeglicheneres Line-Up hinbekommen. Also scheint das kein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Und ja, ich meine wie viele super gute Musikerinnen es allein in Berlin gibt oder Bands mit Frauen gemischt natürlich auch.
    Aber was man ganz klar sagen muss ist, dass ein Prozess angestoßen wurde und der auch richtig gut ist, dass den Leuten jetzt endlich bewusst wird, dass es Vorbilder braucht. Was uns als Band anbetrifft: Wir haben uns auch wirklich unsere Popöchen aufgerissen, sind sehr aktiv gewesen die ganze Zeit. Man soll sich nicht selbst loben, aber ich mache es jetzt einfach mal: wir sind einfach eine sehr gute Live-Band. Wir bekommen tolle Rückmeldungen nach den Konzerten, dass es ein sauberes Paket ist. Und dann hoffe ich mal, dass wir deshalb gebucht werden und eben nicht deshalb, weil nun mal da auch zwei Frauen mit auf der Bühne stehen."
    Musik: "Wir sind"
    Musik: "Heißgeliebter Schatz"
    Das Trio Shirley Holmes steht für Energie, Intensität und Schnelligkeit. Kraftvolle, dabei trotzdem melodiöse Musik mit ausgesprochenen Live-Qualitäten. Und auch wenn das nicht im Vordergrund steht: Mit Shirley Holmes hat die deutsche und internationale Bandszene eine weitere weiblich geprägte Formation, und somit weitere Vorbilder für nachfolgende Musikerinnen.
    "Wir haben auch Elektro, das wir mit einspielen aber "ab auf die Mütze" das ist schon das Prägende bei uns. Aber schön melodiös und irgendwie auch zärtlich. Zärtlich auf die Mütze, genau."
    Musik: "Voegelein"