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Trittin: ESM und Fiskalpakt sollten getrennt verhandelt werden

Man sei gut beraten, den dauerhaften Stabilitätsmechanismus ESM nicht mit dem Fiskalpakt zu verknüpfen, sagt Jürgen Trittin (Bündnis90/Die Grünen) vor dem heutigen Gipfel zum Thema im Kanzleramt. Der Fiskalpakt brauche einen Schuldentilgungsfonds, sagt Trittin - und wirft der Regierung Blockade vor.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 24.05.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: In Berlin und in Brüssel folgt derzeit Gipfeltreffen auf Gipfeltreffen. Gestern erst kamen die Spitzen von Bund und Ländern im Kanzleramt zusammen, um die Energiewende auf die Spur zu setzen, bei der es zuletzt kaum vorangegangen war. Gestern Abend dann der EU-Sondergipfel in Brüssel, heute treffen sich im Kanzleramt die Spitzen von Koalition und Opposition. Zentrale Frage hier: Unter welchen Bedingungen ist die Opposition bereit, dem sogenannten Fiskalpakt und dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM zuzustimmen, denn die Koalition braucht hierfür sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Jürgen Trittin, er ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Trittin, die SPD stellt Forderungen auf, will sie aber ausdrücklich nicht als Bedingungen verstanden wissen. Im Gegenteil: Die SPD sagt, sie spüre auch in der Opposition ihre Verantwortung. Sind Bündnis 90/Die Grünen auch so günstig zu haben bei der Abstimmung über Fiskalpakt und ESM?

    Trittin: Wir sind seit Monaten der Auffassung, dass wir einen europäischen Stabilisierungsmechanismus dringend brauchen. Den könnten wir in dieser Woche schon verabschiedet haben. Das liegt nicht an uns, sondern ausschließlich an der Koalition, die in dieser Frage nicht in der Lage ist, die eigenen Reihen zu überzeugen.
    Etwas anderes ist es mit dem Fiskalpakt. Ursprünglich wollte Frau Merkel heute am Donnerstag den Fiskalpakt im Deutschen Bundestag verabschieden. Mit diesem Plan ist sie krachend gescheitert. Das hat einen einfachen Grund: Es macht keinen Sinn, wenn man einen Fiskalpakt verabschiedet, nicht sicher zu sein, ob zum Beispiel das zweitgrößte Land der Europäischen Union, Frankreich, dabei ist und unter welchen Bedingungen Frankreich dabei ist. Und es muss mal vorgelegt werden, zu welchen Bedingungen dann zum Beispiel deutsche Bundesländer genötigt werden, die Schuldenbremse auch tatsächlich einzuhalten. Diese Unterlagen liegen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat bis heute nicht vor und deswegen ist man gut beraten, die Frage Ratifizierung des ESM, der zur Jahresmitte spätestens in Kraft treten muss, und den Fiskalpakt, der erst Ende des Jahres überhaupt in Kraft treten kann, nicht miteinander zu verknüpfen.

    Heckmann: Also Ihre Ansage ist völlig klar: Der Fiskalpakt wird vor der Sommerpause nicht mehr verabschiedet?

    Trittin: Wir haben hier gesagt, man muss aus dem Fiskalpakt etwas Vernünftiges machen. Das setzt eine Einigung nach meiner Auffassung mit Frankreich voraus. Das setzt voraus, dass es zusätzliche Maßnahmen über die Umwidmung bestehender Mittel hinaus zur Erzielung von Investitionen und Wachstum gibt, und dieses muss einnahmefinanziert geschieht. Deswegen bedarf es eines Fortschritts bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer. Und schließlich reicht es auch nicht aus, einfach zu sagen, wir wollen die Neuverschuldung begrenzen. Da ist der Fiskalpakt ja gar nichts Neues, das haben wir ja in Deutschland schon lange in der Verfassung. Wir brauchen auch einen tatsächlichen Schuldenabbau, wenn wir den Ländern in der Krise tatsächlich dauerhaft helfen wollen. Hierfür spricht alles, für einen Schuldentilgungsfonds, den man nach dem Vorbild des Sachverständigenrats der Bundesregierung auf den Weg bringen kann. Auch hier blockiert die Bundesregierung.

    Heckmann: Und dieser Schuldentilgungsfonds, Herr Trittin, wäre eine Bedingung auch vonseiten der Grünen, dem Fiskalpakt dann zuzustimmen?

    Trittin: Wir halten dieses für den richtigen Weg. Wir sehen doch sehr genau, dass das vernünftige Instrument, was Eurobonds wären, zurzeit aus europarechtlichen Gründen nicht umzusetzen ist. Da bräuchten sie eine Vertragsänderung für. Wenn sie das nicht hinbekommen, dann bleibt es aber so, dass zum Beispiel Spanien und Italien sich zurzeit mit Zinssätzen auseinanderzusetzen haben, die sind so hoch wie im Mai 2010. Das heißt, die Krise ist in einem Umfang zurück, den viele von uns nicht zu träumen gewagt hätten. Hier muss gegengesteuert werden. Man wird diese Zinsen nur runterbekommen, wenn man tatsächlich Schulden abbaut, und da bietet das Modell eines Schuldentilgungsfonds – den könnte man übrigens in Deutschland sehr gut finanzieren, auch da wieder einnahmefinanziert über eine Vermögensabgabe – eine Perspektive, die viele europäische Staaten mitgehen können.

    Heckmann: Aber die Frage war, ob es zur Bedingung gemacht wird von Ihrer Seite aus.

    Trittin: Wir verhandeln über diese Geschichte. Wir gehen davon aus, dass eine solche Position zum Beispiel von dem italienischen Ministerpräsidenten genauso getragen wird. Man wird der Frage, ob Europa weiter durch die deutsche Weigerung aus ideologischen Gründen in die Krise schlittert, dieser Frage wird man nicht tatenlos zusehen und es wird keinen Fiskalpakt geben ohne eine deutliche Änderung der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa.

    Heckmann: Herr Trittin, monatelang hatten SPD und auch Grüne für sogenannte Eurobonds getrommelt. Jetzt sagt die SPD, das ist nicht aktuell, erst bei einer echten Wirtschafts- und Finanzregierung sei das umsetzbar, obwohl wie gesagt monatelang dafür geworben worden ist. Kommen Sie da noch mit?

    Trittin: Ökonomisch sind Eurobonds richtig. Sie sind der einzige Weg, die Spekulationen gegen einzelne Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu beenden, oder der sauberste Weg. Das geht nicht ohne eine Vertragsänderung. Für eine solche Vertragsänderung brauchen wir Zeit. Diese Zeit haben wir zurzeit nicht. Deswegen sagen wir, wir brauchen einen Schuldentilgungsfonds. Auch hier werden Schulden in gemeinsame Anleihen überführt, alle Schulden über 60 Prozent des Bruttosozialprodukts, und mit konkreten Tilgungsplänen versehen. Dieses ist ein Weg, aus dieser Spekulation gegen einzelne Mitgliedsstaaten rauszukommen. Wir werden am Ende an solchen Instrumenten überhaupt nicht vorbeikommen, oder wir tun das, was aktuell die Situation ist, dass wir nämlich unkontrolliert in eine Gemeinschaftsverschuldung gehen. Bereits heute liegen 271 Milliarden Staatsanleihen aus Krisenstaaten in den Büchern der Europäischen Zentralbank und Sie wissen, dass Deutschland dafür immer mit mindestens einem Viertel haftet.

    Heckmann: Die Koalition, Herr Trittin, spricht von sachfremden Forderungen, die da vonseiten der Opposition auf den Tisch gelegt werden. Finanzminister Schäuble sagt, die Opposition wisse ganz genau, dass für eine europaweite Finanztransaktionssteuer Einstimmigkeit erforderlich sei, und die gebe es nun mal nicht, auch wenn er sich jede Woche darum bemühe.

    Trittin: Der Herr Finanzminister stellt die Opposition dümmer da, als sie ist. Die Opposition hat gefordert, die Finanztransaktionssteuer im Wege der verstärkten Zusammenarbeit einzuführen. Dann gibt es kein britisches Veto.

    Heckmann: Das heißt, nicht europaweit!

    Trittin: Dann können diejenigen, die dieses machen wollen, dies tun. Dabei sein werden mindestens Deutschland und Frankreich, dabei sein werden zentrale Bereiche von Zentraleuropa. Und wenn sie diese Strategie kombinieren mit der Einführung eines Schuldentilgungsfonds, dann werden auch Italien und Spanien dabei sein. Sie werden einen relevanten Teil, wenn nicht die gesamte Euro-Zone auf ihrer Seite haben, wenn man diesen Weg gehen will. Das Problem von Herrn Schäuble sind nicht die anderen Mitgliedsstaaten; das Problem von Herrn Schäuble ist der Koalitionspartner FDP. Das versucht er, mit seinen Verweisen auf die Opposition vergessen zu machen.

    Heckmann: Aber die einzige Folge wäre, dass Versicherungen, Finanzinstitute nach London beispielsweise abwandern würden.

    Trittin: Der Finanzmarkt im Rest und in der Euro-Zone ist interessant genug, dass es diese Abwanderungsdinge nicht fürchten muss. Es wird weiterhin Leute geben, die ihre Derivate und Ähnliches hier handeln werden.

    Heckmann: Noch einen kurzen Blick, Herr Trittin, auf den Energiegipfel gestern im Kanzleramt. Angela Merkel hat ja angekündigt, dass man sich jetzt halbjährlich treffen werde. Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann hat zwar Kritik am Tempo der Koalition geübt, aber sich auch optimistisch gezeigt, dass das Ganze jetzt in die Gänge komme. Sind Sie auch so optimistisch?

    Trittin: Na ja, man kann das auch so sagen: Gut, dass wir darüber gesprochen haben, und wenn du nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis. Hier sind in Wirklichkeit gleich drei Arbeitskreise gebildet worden. Aber in den zentralen Fragen, wie überwinden wir die Blockade beim Netzausbau, überführen wir Netze endlich in öffentliche Hand, damit der Investitionsstau da beseitigt wird, in der Frage, wie vergüten wir Speicherleistungen, damit es bessere Regelenergie gibt, in all diesen Fragen gibt es keine Lösung, obwohl mittlerweile selbst in einzelnen Bundesländern Modelle für Kapazitätsmärkte auf dem Tisch liegen. Dieser sogenannte Gipfel hat meines Erachtens nicht gebracht, außer der Ansage, dass man demnächst mal wieder darüber reden will.

    Heckmann: Und ist der neue Umweltminister Altmaier der richtige an diesem Platz, ganz kurz noch?

    Trittin: Ich wünsche Peter Altmaier erst mal alles Gute. Das Umweltministerium hat einen Minister verdient, der sich die Umwelt zu Herzen nimmt. Ob er das wird, das wird man in 100 Tagen beantworten können.

    Heckmann: Der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke Ihnen und schönen Tag.

    Trittin: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.