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Trittin hält Koalitionen mit SPD und Linkspartei für möglich

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, hält die Debatte über eine Zusammenarbeit seiner Partei mit der Linken für notwendig. Er rechne damit, dass die SPD nach der Bundestagswahl auch im Westen mit der Linkspartei koalieren werde, sagte Trittin. Auf diese Situation müssten sich die Grünen bei der Suche nach handlungsfähigen Mehrheiten einstellen. Dabei sollten die inhaltlichen Positionen jedoch pragmatisch abgeglichen werden.

Moderation: Dirk Müller | 07.02.2008
    Müller: Wenn es schon die Sozialdemokraten nicht hinbekommen, dann können wir doch den Anfang machen, werden sich einige Grüne vielleicht gedacht haben - den Anfang mit den Linken. Ein Tabubruch wäre das: ein Tabubruch, der aber zurück an die politische Macht führen könnte - Beispiel Hessen. Dann hätten wir rot/grün, allerdings erst einmal ohne die Sozialdemokraten. Der Tabubruch - angestoßen von Jürgen Trittin - hat allerdings heftigen Gegenwind in der Partei ausgelöst.
    Jürgen Trittin ist jetzt bei uns am Telefon, der stellvertretende Fraktionschef der Grünen. Guten Morgen!

    Trittin: Guten Morgen!

    Müller: Herr Trittin, hat in Wirklichkeit Oskar Lafontaine Sie überredet?

    Trittin: Das ist alles Unsinn! Wir haben eine Wahl gehabt am 18. Januar in zwei westdeutschen Bundesländern und seitdem haben wir in Deutschland eine veränderte Situation. Diese veränderte Situation sieht so aus, dass wir aus einem Vier-Parteien-System in Westdeutschland heute in Ost- wie Westdeutschland ein Fünf-Parteien-System haben.

    Das wäre für sich erst mal nur eine Neuigkeit. Das beinhaltet aber eine zusätzliche Schwierigkeit - übrigens für alle Parteien. Unter diesen Bedingungen wird Mehrheitsbildung sehr viel schwieriger und dieses wird doppelt dadurch erschwert, dass die Mehrheitsbildung gefunden werden muss mit einer Partei, die dezidiert erklärt, sie wolle ihre politischen Inhalte nicht in reale Politik überführen. Das ist die Linkspartei. Auf diese Situation müssen sich alle Parteien - auch die Grünen - entsprechend einstimmen. Das ist die einfache und simple neue Situation, nach der man nach dem 18. Januar nicht einfach so weiter machen kann, als wäre man noch vor dem 18. Januar. Ich glaube diese Erkenntnis sickert ganz langsam bei allen Beteiligten in allen Parteien nun auch durch.

    Müller: Herr Trittin, Sie wollen offenbar in diesem Denkanstoß, in dieser Analyse der neuen Situation ja Vorreiter sein. Aber wir wollen mit Ihnen reden, reden jetzt mit Ihnen, weil Sie uns auch weiterhelfen müssen. Wir hatten Schwierigkeiten, genau festzustellen was Sie gesagt haben gegenüber den Linken oder über die Linke. Was wollen Sie mit den Linken machen?

    Trittin: Erst einmal habe ich etwas gesagt zu den aktuellen Wahlen. Bei den aktuellen Wahlen streiten wir in Hamburg dafür, dass wir eine klare und eigene rot/grüne Mehrheit haben. Diese Chance haben wir in Hamburg. Das ist das, worauf wir alle Kraft in dieser Situation verwenden müssen und wir müssen eine ganz klare Botschaft schicken: Derjenige, der in Hamburg beispielsweise Linkspartei wählt, eine Partei, die sich nicht mal entschließen konnte, in Hamburg über eine Tolerierung zu entscheiden - das ist die Situation dort -, eine solche Wahlstimme ist im Ergebnis eine Stimme, die am Ende Ole von Beust an der Mehrheit halten wird - wahrscheinlich in einer Großen Koalition. Das ist die Situation. Also muss man das vermeiden.

    Das gleiche gilt im Übrigen auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Ich halte die Linkspartei bei der Bundestagswahl aus vielen Gründen heraus für schlicht und ergreifend nicht nur nicht regierungswillig - das erklärt sie ja selber; sie will Opposition sein und sonst gar nichts -, ich halte sie auch angesichts ihrer Position zu Europa nicht für regierungsfähig.

    Müller: Herr Trittin, halten Sie Die Linke für koalitionsfähig, so dass man sie in einer Koalition erproben muss?

    Trittin: Das hätte jetzt gar nicht so lange gedauert; dann hätte ich das Ihnen schon gesagt. Aber kommen wir dazu! 2009 wird nach der Bundestagswahl die SPD das was sie heute erklärt, sie würde im Westen keine Koalition mit der Linkspartei machen, diese Quarantäne aufheben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Diese Situation ist dann die Situation, wo Grüne sich auch zu verhalten werden müssen. Da habe ich lediglich gesagt: das ist keine schlimme Situation, sondern eine Situation, in der die Linkspartei gezwungen wird, ihre Versprechungen in Regierungspolitik zu überführen, wie sie das hier in Berlin ja schon ist. Berlin ist das Bundesland, wo die Linkspartei beispielsweise regiert und wo Wachleute in kommunalen und Landesliegenschaften mit 5.50 Euro bezahlt werden. Die gleiche Partei macht Wahlkämpfe mit Versprechungen über einen Mindestlohn von neun Euro und ähnlichen Beträgen. Diese Situation ist für die Grünen nicht schädlich, sondern eine Situation, die sie sehr gelassen, sehr ruhig angehen können.

    Müller: Jetzt könnten wir dabei diskutieren, inwieweit Sie die Frage beantwortet haben. Deswegen möchte ich sie noch mal stellen, Herr Trittin. Halten Sie Die Linken jetzt für koalitionsfähig?

    Trittin: Die Linken regieren in Berlin. Sie haben in Mecklenburg-Vorpommern regiert. Das sind alles Fakten. Das ist überhaupt gar nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wann diese Partei aus der Quarantäne mit der SPD, unter die sie die SPD gestellt hat, entlassen wird. Da bin ich ziemlich sicher, dass das spätestens im Saarland der Fall sein wird, und dann hoffe ich, dass die Grünen in einer Situation sind, dass sie in dieser Frage tatsächlich eine aktive Rolle spielen können und nicht am Rande des Geschehens stehen. Das ist genau das, was die CDU zurzeit im Saarland plant, nämlich die Grünen rauszudrängen.

    Müller: Die Grünen sollten also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, im Fall des Falles durchaus Ja sagen können zu rot/rot/grün?

    Trittin: Nein. Die Grünen sollen ganz ruhig zu ihren Inhalten stehen. Sehen Sie ich habe überhaupt kein Problem mit grünem Profil. Ich wahrscheinlich am wenigsten von vielen in dieser Grünen-Partei.

    Müller: Das sehen ja einige anders!

    Trittin: Die Grünen sind die Partei der ökologischen Modernisierung. Sie sind die Partei des Atomausstieges. Sie sind die Partei, die übrigens schon für einen Mindestlohn war, als die Gewerkschaften noch nicht dafür gewesen sind. Für diese Inhalte streiten wir. Für diese Inhalte gucken wir bei gegebenen Verhältnissen auch, ob es Mehrheiten mit anderen Parteien, handlungsfähige Mehrheiten gibt. So haben wir das immer gehalten und so werden wir das auch weiterhin halten. Das was wir neu haben - und das ist die strategische Neuaufstellung, zu der die Grünen sich zu verhalten haben - ist der Umstand, dass dieses nicht mehr geschieht in einem Vier-Parteien-System, wie es bisher in Westdeutschland der Fall gewesen ist - im Osten war die Situation immer schon anders -, sondern in einem Fünf-Parteien-System und dass in diesem Fünf-Parteien-System eine Partei dabei ist, sich von einer Position der reinen Opposition dahin zu bewegen, möglicherweise gezwungen zu sein. Sie will das ja gar nicht!

    Müller: Herr Trittin, ich versuche das jetzt noch einmal zum Schluss unseres Interviews. Sind Sie für eine Öffnung der Grünen hin zu den Linken?

    Trittin: Ich bin dafür, dass die Grünen es genauso halten wie mit allen anderen Parteien, ihre Inhalte darauf abzuprüfen, ob Gemeinsamkeiten mit denen zu verwirklichen sind. Das setzt als erstes voraus, dass eine solche Partei überhaupt den Willen hat zu regieren. Das sehe ich bei der Linkspartei zumindest in Hamburg bei der Bundestagswahl nicht. Ich glaube allerdings, dass das im Saarland anders sein wird.

    Müller: Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Trittin: Danke Ihnen!