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Trittin wirft Schäuble Schwächung der EU-Kommission vor

Jürgen Trittin (Bündnis 90/Grüne) wirft Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor, die EU-Kommission durch seine Idee eines mächtigeren Währungskommissars schwächen zu wollen. Das werde der Rest Europas nicht mitmachen. Trittin warnt zudem vor einer zunehmenden Isolation Deutschlands in der EU.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 18.10.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie muss Europa umgebaut werden, damit sich etwas Ähnliches wie die aktuelle Schuldenkrise nicht wiederholt? Eine hochkarätige Arbeitsgruppe, die aus den Präsidenten der EU-Kommission, des Europäischen Rates, der Euro-Gruppe und der EZB besteht, ist dabei, Vorschläge zu erarbeiten. Heute sollen sie erstmals auf dem EU-Gipfel diskutiert werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble allerdings reichen diese Vorschläge nicht aus. Er grätschte mit eigenen Ideen dazwischen.
    Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Schönen guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Trittin, kommen wir erst mal zu dem Vorstoß von Finanzminister Schäuble, die nächste Hilfstranche für Griechenland auf ein Sperrkonto zu legen. Ist das eine gute Idee, oder wird damit faktisch das Prinzip Leistung gegen Gegenleistung aufgehoben?

    Trittin: Wir haben Vereinbarungen mit Griechenland, an die sollte man sich halten. Ich glaube, das, was dahinter steht, das ist genau das Problem: Die Haltung, dass man glaubt, wir kämen aus der Krise raus, wenn wir alle nur noch sparen, sparen, sparen würden. Und genau dieses geht an der Ursache der Krise vorbei. Selbstverständlich muss Griechenland seine Einnahmefähigkeit erhöhen. Selbstverständlich muss auch Spanien, muss Italien seine Einnahmen erhöhen und Ausgaben kürzen. Aber man muss bei dieser Sache auch bedenken: Die Krise im Euro-Raum, die ist nicht durch ausgabewütige Griechen entstanden. Sie ist entstanden, weil in ganz Europa, auch in Deutschland, massiv Bankschulden verstaatlicht worden sind, und genau hier steht Herr Schäuble am meisten auf der Bremse.

    Heckmann: Ja, da kommen wir gleich zu, Herr Trittin. Lassen Sie uns einen Punkt nach dem anderen vielleicht abarbeiten. Zunächst noch mal die Frage nach dem Sperrkonto. Ist das ein guter Ausweg, einen Weg aus dem Dilemma zu finden? Denn einerseits soll ja geholfen werden, andererseits sind nicht alle Voraussetzungen in Athen erfüllt.

    Trittin: Es ist eine symbolische Debatte. Verstehen Sie? Es geht einfach um etwas, wo man - - Man hat keinen Troika-Bericht, man wird gar nicht auszahlen, es wird auch gar nicht groß entschieden werden auf dem Europäischen Rat, aber man streut eine solche Debatte aus rein innenpolitischen Motiven. Es hat mit der Realität und mit der Bewältigung der Euro-Krise gar nichts zu tun.

    Heckmann: Aus welchen innenpolitischen Motiven?

    Trittin: Es hat was zu tun damit, dass man die eigenen Leute in der CSU beruhigen will, die heute eigentlich schon der Auffassung sind, dass man Griechenland auch um den Preis des Zerfalls des Euros rausschmeißen sollte. Von solchen Vorschlägen haben wir haufenweise!

    Heckmann: Herr Trittin, die Koalition hat ja ein ums andere Mal auch betont, in den letzten Tagen und Wochen und Monaten, es werde auch nicht mehr Geld geben dann für Griechenland und deswegen könne es auch keine Verlängerung der Fristen geben, wie von Athen ja gefordert und auch von der IWF-Chefin Christine Lagarde. Denken Sie denn, dass dieses Versprechen eingehalten werden kann?

    Trittin: Nein. Da kann man heute schon von ausgehen, dass die Fristen für Griechenland verlängert werden, und das ganze Gerede um Sperrkonten und sonst was soll nur bemänteln, dass mal wieder etwas, was die Regierung behauptet hat, übrigens ungezwungen behauptet hat, nicht eintreten wird.

    Heckmann: Das heißt, die Bundesregierung wird noch mal kräftig die Kasse aufmachen?

    Trittin: Nein! Man wird die Fristen verlängern, damit Griechenland seine Sparauflagen erfüllen kann.

    Heckmann: Das kostet 30 Milliarden!

    Trittin: Griechenland wird am Ende des Tages im Euro bleiben, und weil man dieses weiß, ist das ganze Gerede um noch ein Sperrkonto oder noch eine Schraube nur dazu angetan, die politischen Fundamente dieses gemeinsamen Europas in Deutschland, aber auch im Rest Europas zu beschädigen. Es ist ein Zustand mittlerweile eingetreten, dass wenn die deutsche Bundesregierung auf internationalen Konferenzen auftritt, sei es G-20, sei es innerhalb der Gemeinschaft der Europäer, sei es beim Internationalen Währungsfonds, sie völlig isoliert sind, und dieser Zustand ist für eine Exportnation wie die Bundesrepublik Deutschland ein Zustand, der ist absolut gefährlich und droht, uns in eine Situation reinzubringen, unter der wir dann auch ökonomisch schwer zu leiden haben.

    Heckmann: Herr Trittin, kommen wir mal zu den beiden anderen Vorschlägen von Wolfgang Schäuble, die so ein bisschen in die Zukunft weisen sollen. Unter anderem möchte er ja, dass der EU-Währungskommissar nationale Budgets blockieren kann. Das wäre ja ein erheblicher Eingriff in nationale Rechte, nämlich in das Budgetrecht. Denken Sie eigentlich, dass er davon ausgeht, dass so etwas durchgeht, wenn man sich die Positionen so in Paris oder London anguckt?

    Trittin: Ich glaube nicht, dass das durchgehen wird. Das setzt eine Vertragsänderung voraus. Er will vor allen Dingen eines, und das muss man sich klar machen: Es geht hier um einen Machtkampf. Herr Schäuble will die Kommission – und das ist neben dem Europäischen Parlament und neben dem Europäischen Gerichtshof die europäische Institution -, er will die Europäische Kommission nicht stärken, sondern schwächen, indem er Kompetenzen, die heute die gesamte Kommission hat, auf einen Kommissar verlagert. Und von wem ist dieser Kommissar in der Berufung abhängig? Letztendlich vom Rat, das heißt von den Mitgliedsstaaten und damit sozusagen auch und gerade besonders abhängig von Deutschland. Er will also anstelle der Kommission einen Sparkommissar von deutschen Gnaden in Europa installieren, und das ist bei allem Respekt vor dem Europäer Schäuble etwas, was der Rest Europas nicht mitmachen wird.

    Heckmann: Die andere Seite ist, dass Wolfgang Schäuble das EU-Parlament, auch die Entscheidungen dort ändern möchte. Da sollen die Parlamentarier je nach Sachfrage unterschiedlich zusammentreten, nämlich wenn es um Euro-Fragen geht, sollen eben nur die Parlamentarier aus Euro-Ländern zusammentreten und abstimmen. Ist das eine Idee, die etwas hat aus Ihrer Sicht, oder eine Idee, die Europa noch weiter auseinanderdriften lässt?

    Trittin: Hier wird an der falschen Baustelle gearbeitet. Wir müssen mehr Kompetenzen in Europa vergemeinschaften. Das heißt, wir dürfen nicht länger zugucken, dass wir zum Beispiel sagen, wir haben eine Wirtschafts- und Währungsunion, wir haben gemeinsam abgestimmte Haushalte, aber alles, was da geprüft wird, sind die Ausgaben und nicht die Einnahmen. Deswegen ist der richtige Weg, dass wir zum Beispiel anfangen, in der Steuerpolitik, angefangen bei den Unternehmenssteuern, eine gemeinsame Besteuerung durchzusetzen und hier Kompetenzen machen. Dann brauchen wir auch kein Parlament mit Abgeordneten erster und zweiter Klasse. Dann entscheidet zum Beispiel über zentrale Fragen der Steuerpolitik das Europäische Parlament mit Abstimmung des Rates. So ist der richtige Weg, dieses gemeinsame Europa auf breitere und verlässlichere und vor allen Dingen demokratischere Füße zu stellen, anstatt quer durch das Parlament den Spaltpilz zu ziehen.

    Heckmann: Herr Trittin, Frankreichs Präsident Hollande, der warnt vor einem zu strikten Sparkurs, heute nachzulesen in mehreren europäischen Zeitungen. Er spricht von einer solidarischen Integration, die stattfinden müsse, fordert Eurobonds, eine europäische Bankenaufsicht bereits bis Ende des Jahres, damit die Banken den Euro-Rettungsschirm ESM in Zukunft direkt anzapfen können - also völlig andere Vorstellungen als die in Berlin. Bricht also die deutsch-französische Achse, die traditionelle, doch jetzt auseinander?

    Trittin: Der Aufsatz oder die Äußerungen von Hollande zeigen, wie sehr sich Deutschland mittlerweile wirtschaftspolitisch und europapolitisch durch die Bundesregierung isoliert hat. Alle Feststellungen des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank zu den Krisenstaaten lauten, die sind auf einem guten Weg, sie machen ihre Hausaufgaben, aber sie kommen nicht dagegen an, dass gegen sie spekuliert wird, dass sie sehr hohe Zinsen zu bezahlen haben. Das heißt, sie müssen noch mehr sparen, ihre Schulden wachsen aller Anstrengung zum Trotze. Und sie haben zu wenig Wachstum. Und diesem realen Problem kommt man nicht mit Sparen bei, man wird es sogar noch verschärfen mit Sparen, und auf diesen Umstand hat Hollande hingewiesen. Er hat recht: Wir brauchen eine Bankenunion. Die brauchen wir schnell. Wir brauchen eine europäische Bankenaufsicht, die alle Banken in Europa letztendlich erfasst, und wir brauchen, wie übrigens die vier Präsidenten aller europäischen Institutionen dem Europäischen Rat und Frau Merkel gerade ins Stammbuch geschrieben haben, Maßnahmen gegen den wachsenden Zinsdruck. Und deswegen ist es falsch, dass die Bundesregierung einen Altschuldentilgungsfonds bis zum heutigen Tag entgegen dem Vorschlag der Präsidenten blockiert.

    Heckmann: Der Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke Ihnen für das Interview.

    Trittin: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.