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"Trotz der Energiewende haben wir die Lage im Griff"

Auch an den extrem kalten Tagen ist es zu keinem Blackout im deutschen Stromnetz gekommen. Der Härtetest werde dennoch erst in den nächsten zehn Jahren bestanden, wenn weitere Atomkraftwerke abgeschaltet würden, betont der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth.

Matthias Kurth im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 13.02.2012
    Jörg Münchenberg: Von 17 deutschen Atomkraftwerken sind nach der Energiewende derzeit nur neun am Netz, und die bange Frage war, hält das Netz auch im Winter bei langen Frostperioden, oder kommt es dann eben doch auch mal zum Blackout. Hoch Dieter brachte nun genau die von Experten befürchtete Konstellation: extrem kalte Tage, wenig Wind. Aber am Ende konnte Deutschland sogar noch Strom nach Frankreich exportieren. Am Telefon nun der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Herr Kurth, ich grüße Sie.

    Matthias Kurth: Ja, guten Tag.

    Münchenberg: Herr Kurth, auch die Bundesnetzagentur hatte ja vor einem möglichen Blackout gewarnt. War das im Rückblick nicht doch alles ein wenig übertrieben?

    Kurth: Also erstens haben wir nicht vor dem Blackout gewarnt, sondern wir haben nur Bedingungen beschrieben, wie es nicht zu einem Blackout kommen soll, und wir haben schon im Sommer - übrigens lange bevor es kalt wurde und bevor der Winter kam - genau beschrieben, was erforderlich ist. Unter anderem auch die Bereitstellung von sogenannten Kaltreserve-Kraftwerken in der Größenordnung von 2000 MW. Die wurden dann in der Folge auch reserviert und werden jetzt in Anspruch genommen. Also wir waren die einzigen, die weder vom Winter noch von der Kälte überrascht wurden.

    Münchenberg: Kann man es denn im Rückblick jetzt vielleicht auch so formulieren, dass es nur Zufall war, dass das Netz gehalten hat, eben weil es trotz der harten Kälte eben auch sehr viel Sonne gegeben hat?

    Kurth: Nichts im Leben ist Zufall. Ich glaube schon, dass eine ordentliche Planung größere Chancen hat, unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten, als auf den Zufall zu vertrauen. So weit ist es noch nicht und wir haben mit den Übertragungsnetz-Betreibern schon im Sommer Dinge durchgespielt, die jetzt noch gar nicht eingetreten sind. Aber es wäre natürlich auch völlig leichtsinnig zu sagen, es ist ja nichts passiert, deswegen ist alles gut. Wir haben uns für eine realistische Risikobetrachtung eingesetzt, die weder Panikmache macht, noch in vordergründige Sicherheit wiegt. Wir haben beschrieben, dass die Energiewende ehrgeizig ist, dass das Netz unter Stress steht, wir haben Maßnahmen beschrieben bei den Kraftwerken, aber auch im Netz, die werden jetzt ergriffen. Solche Maßnahmen sind zum Teil nur für den Notfall gedacht gewesen. Wir können sie anwenden und wir können mit diesen außergewöhnlichen Anstrengungen unsere Versorgungssicherheit gewährleisten.

    Münchenberg: Aber trotzdem noch mal im Rückblick: War es denn zu einem Zeitpunkt mal so richtig eng, dass ein Blackout zu befürchten war?

    Kurth: Nein! Ich mache nicht in Dramatik und das hilft auch niemandem weiter. Wir haben gute Ingenieure auf unseren Leitwarten, wir haben ein gutes Klima zwischen den Übertragungsnetz-Betreibern und uns, wir beobachten die Lage, auch dann, wenn sie angespannt ist, und wir finden sachgerechte Lösungen. Von Panikmache ist nicht die Rede und damit ist auch niemand gedient.

    Münchenberg: Trotzdem gab es ja mal für den Süden Deutschlands durchaus Warnungen, sich mit dem Energieverbrauch vielleicht etwas zurückzuhalten, zum Beispiel an Bürger von süddeutschen Kleinstädten.

    Kurth: Also wir haben derartige Warnungen nicht ausgesprochen. In Frankreich, obwohl die 80 Prozent Kernenergie haben, gibt es schon Aufrufe zum Stromsparen und zum Heizsparen. Das gab es in Deutschland nicht. Also ich würde da nicht übertreiben. Ich glaube, trotz der Energiewende haben wir die Lage im Griff - jetzt. Ob wir sie in den nächsten Jahren, wenn weitere Kernkraftwerke abgeschaltet werden, auch noch im Griff haben, das müssen wir erst unter Beweis stellen. Insoweit warne ich auch davor zu sagen, wir haben jetzt den Härtetest bestanden. Den Härtetest werden wir erst in den nächsten zehn Jahren bestehen.

    Münchenberg: Nun wird es ja trotzdem Jahre dauern, Herr Kurth, bis die neuen Stromtrassen dann von der Küste in den Süden verlegt worden sind. Heißt das im Umkehrschluss, man muss also jetzt doch jeden Winter bangen?

    Kurth: Absolut! Also ich glaube nicht, dass man hier sagen kann, weil wir jetzt mit großem technischen Know-how, mit großer Vorsicht, mit großer Umsicht die Situation beherrschen, man könnte sich jetzt sozusagen beruhigt ausruhen. Das wäre eine völlige Fehlbeschreibung der Lage. Wir müssen sehr viel handeln, sowohl beim Netzausbau als auch beim Kraftwerkszubau, und da ist die jetzige Situation kein Ruhekissen, auf dem man sich zurücklehnen kann.

    Münchenberg: Aber noch mal ganz kurz, letzte Frage: Nun waren die letzten Tage ja äußerst kalt. Das deutsche Netz hat wunderbar durchgehalten. Wie gesagt, wir konnten auch Strom exportieren. War das nicht der Fall, dass wir bewiesen haben, es funktioniert?

    Kurth: Das ist ja wieder wie gesagt diese kurzatmige Betrachtung. Alle sagen jetzt, oh, jetzt jubeln alle, weil wir mal Strom nach Frankreich exportieren konnten. Das ist zwar richtig, aber nur weil in Frankreich eine Höchstlast war. Übers Jahr gerechnet haben wir 20 Prozent mehr Strom aus Frankreich eingeführt. Diese Kurzatmigkeit, das finde ich nicht sachgerecht. Wir sind auch auf Strom aus Frankreich angewiesen, umgekehrt die manchmal auf unseren Strom. Wir hatten viel Solarstrom, im Moment haben wir gar keinen Solarstrom. Der Windstrom war unterdurchschnittlich, die Erneuerbaren sind nicht immer am Netz, wir müssen damit rechnen, dass weder Wind noch Sonne am Netz ist. All diese Faktoren sind sehr, sehr variabel und ich würde alle Hellseher und Propheten davor warnen, aufgrund von Momentbetrachtungen und von Einem-Winter-Betrachtungen nun zu sagen, alles ist doch bestens. Wir haben erheblichen Handlungsbedarf und das ist keine Panikmache, wenn wir jetzt darauf hinweisen. Wir waren übrigens die Ersten, die auch im Sommer schon darauf hingewiesen haben, dass es Probleme im Winter geben kann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.