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Trügerisches Vertrauen

Der Göttinger Anthropologe Bernd Herrmann warnt in der Klimaschutzdebatte vor einem "blinden Vertrauen auf die Zukunftsfähigkeit der Menschen". Auch dürfe die Menschheit im historischen Rückgriff nicht auf die Argumentation verfallen, "alles schon mal da gewesen, alles halb so schlimm, die Menschen sind immer schon damit fertig geworden".

Moderation: Michael Köhler | 02.02.2007
    Michael Köhler: Die Bundesregierung reagiert auf den Weltklimabericht mit einem Forschungsprogramm. Klimaschützende Umwelttechnologien sollen zum Einsatz kommen, und für die Erforschung stellt Forschungsministerin Annette Schavan in den nächsten Jahren 255 Millionen Euro bereit, aus gutem Grund. Nun ist ja der Mensch nicht als Klimaschützer, sonder als eine Art Klimaschädling wohl auf die Welt gekommen. Und wenn wir uns anschauen, wie sich dieses vernünftige Tier Mensch so verhält, dann kann man ja schon mal die Stirn in Falten legen, wenn man den Weltklimaschutzbericht liest.

    Deshalb Frage an Bernd Herrmann,. Professor am Göttinger Institut für historische Anthropologie und Humanökologie, er ist Sprecher des Graduiertenkollegs interdisziplinäre Umweltgeschichte, ihn habe ich gefragt, können wir es nicht, spätestens seit der europäischen Aufklärung sagen wir, besser wissen, dass wir für unsere Lebensverhältnisse verantwortlich sind?

    Bernd Herrmann: Wir haben ja irgendwann im Laufe des 18. Jahrhunderts gelernt, dass der liebe Gott nicht für die Natur zuständig ist, und bestätigt worden ist es dann durch die Generaltheorie von Darwin. So, und nun haben wir das Problem, wir haben einen sich selbst organisierenden Prozess, der in niemandes Verantwortung steht. Und jetzt müssen wir uns überlegen, wollen wir diesen Prozess nicht vielleicht aus Zweckmäßigkeitsgründen an uns ziehen und die Zuständigkeit für diesen Prozess an uns ziehen und zumindest für unsere eigene Art sagen, wir wollen das jetzt so gestalten, dass wir eben die Biologie an dieser und jener Stelle aushebeln, um unsere eigene Langlebigkeit zu garantieren?

    Köhler: Professor Herrmann, ich stelle mal eine Frage an den historischen Anthropologen und Humanökologen: Nur mal so zwei Stichworte: erhöhter Kohlendioxidgehalt in der Luft, höhere Erdoberflächentemperaturen, Anstieg des Meeresspiegels. Das klingt erschreckend und beängstigend, aber kein Mensch will mehr heute mittelalterliche Zustände, wo es vielleicht ähnlich war mit Pestseuchen, Kindersterblichkeit, Hochwasser und geringer Lebenserwartung. Wie hat man früher über stürmische Zeiten gedacht?

    Herrmann: Man muss jetzt mal sortieren. Man muss jetzt sagen, wie man darüber gedacht hat, ist natürlich auch auf der anderen Seite ganz einfach, hierzulande gedacht hat. Wie man jetzt bei den Hinduisten gedacht hat oder bei den Buddhisten gedacht hat, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Also in europäischer Tradition hat man sich das ganz einfach gemacht und hat gesagt, das liegt natürlich in der Verantwortung Gottes, und wusste genau, dass es an den Menschen liegt, die er bestrafen will. Das ist das Erste. Das Zweite ist, wir müssen unterscheiden zwischen den Elementarereignissen, die die Menschen als plötzliche Katastrophen wahrnehmen und versuchen, sich damit zu arrangieren, also die von Ihnen angesprochenen Pestfälle oder zum Beispiel Sturmfluten. Das sind aber alles Ereignisse, die sind von ganz, ganz kurzer Dauer, auch dieses Jahrtausendhochwasser 1342, was ganz Mitteleuropa wahrscheinlich überschwemmt hat.

    Köhler: Ich habe bei Ihnen mal gelesen, das Hochwasser soll am Rhein und in Köln so hoch gewesen sein, dass man mit dem Bötchen oder dem Kahn bis in den Kölner Dom hineinfahren konnte.

    Herrmann: Ja, und das heißt in der Quelle sogar, es stand dort im Dom einem Mann bis an den Gürtel.

    Köhler: Vergessen wir immer so ein bisschen darüber, über solche Weltklimaschutzberichte erstens, dass es das früher auch gab, nur wir nichts davon wussten, und zweitens, dass es ja auch so was gibt, wie Gefahren sind Kultur treibend. Wir haben heute hohe Lebenserwartung. Wir haben geringe Kindersterblichkeit. Wir haben ungeheuren Vorteil daraus gezogen, dass wir Gefahren zu managen wissen.

    Herrmann: Also das finde ich einen ganz wichtigen Gesichtspunkt, und ich glaube, jede Antwort müsste in genau dieser Richtung liegen, ohne jetzt in ein blindes Vertrauen auf die Zukunftsfähigkeit der Menschen auszubrechen. Und ganz wichtig ist es auch bei einem historischen Rückgriff, nicht in jenen Aspekt zu verfallen, der dann sagt, alles schon mal da gewesen, alles halb so schlimm, die Menschen sind immer schon damit fertig geworden. Also das wäre trügerisch.

    Köhler: Haben sich auch unsere Techniken der Gefahrenabwehr geändert, oder hängen wir hinterher, also gibt es Anpassungserfolgreiche und weniger Anpassungserfolgreiche?

    Herrmann: Was Sie jetzt ansprechen und sagen, wie kann man sich darauf einrichten, also zunächst müsste man erstmal sagen, was wollen wir für eine Umwelt haben? Es kann ja sein, dass alle Menschen in der Bundesrepublik begeistert sind und sagen, wenn wir statt der üblichen Platanen in den Straßen künftig irgendwelche Palmen haben, dann ist das genau das, was wir wollen.

    Köhler: Kalifornische Zustände in Berlin?

    Herrmann: Kalifornische Zustände in Berlin. Ja, das ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Dabei müsste man die Gesellschaft allerdings in den Stand versetzen, auf einem gewissen, wie soll man sagen, voraussetzungsvollen Niveau zu argumentieren. Also man müsste wissen, dass die kalifornischen Zustände "Unter den Linden" in Berlin dann auch verbunden wären mit starken Veränderungen der Fauna und der Flora im restlichen Europa, und dass man möglicherweise mit Sonnenschutzlichtfaktoren von, was weiß ich, 50 oder 60 auf der Haut sich nur auf die Straße wagen sollte. Ich glaube, wir sollten das gar nicht so hoch ansetzen, sondern wir sollten mal fragen, was alles schon seit langer Zeit bekannt ist, was wir tun könnten, um Dinge abzuwenden, von denen wir das Gefühl haben - wir wissen es ja nicht -, von denen wir das Gefühl haben, dass wir das eigentlich nicht wollen sollten. Also keine kalifornischen Zustände in Berlin, weil damit dann auch wahrscheinlich ein bestimmtes berlinerisches Charakteristikum verloren gehen würde. Also wenn wir das nicht wollen, dann ist es doch ganz einfach das umzusetzen, was uns findige Ingenieure seit 50 Jahren anbieten, was einfach nicht gemacht wird.