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"Trümmerfrauen"-Studie
Wer Deutschland wirklich vom Schutt befreite

Selbstlos und tatkräftig räumten die Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg den Schutt weg und bauten die deutschen Städte wieder auf – so will es die Legende. In einer umfassenden Studie entlarvt die Historikerin Leonie Treber den Mythos Trümmerfrau als Inszenierung und zeigt, wer die Ruinen wirklich beseitigt hat.

Von Andrea Lueg | 09.02.2015
    Die sogenannten "Trümmerfrauen" arbeiten im Mai 1945 in Berlin an der Beseitigung der Trümmer von im 2. Weltkrieg zerstörten Häusern.
    Berlin 1945: "Trümmerfrauen" arbeiten in Berlin am Wiederaufbau der Stadt (picture-alliance / Ursula Röhnert)
    Das Bild der Trümmerfrauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit bloßen Händen aufräumten, den Schutt wegschafften, selbstlos, optimistisch und fröhlich, steht für einen Neuanfang nach einer Zeit, für die man sich schämen muss. Und es wirkt so identitätsstiftend. Diese in unserer Erinnerung fest verankerte Ikone demontiert die Sozialhistorikerin Leonie Treber mit klarem wissenschaftlichem Blick in wenigen Schritten. Die Trümmerfrau – ein Mythos. Trebers These lautet: Frauen räumten nur einen Bruchteil der Trümmer, den Großteil erledigten Männer und Maschinen. Die Frauen machten das nicht freiwillig, und es waren auch nur sehr wenige von ihnen, vor allem in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone damit beschäftigt.
    Trümmerräumung war eine hoch stigmatisierte Arbeit, eine Strafarbeit, denn in der NS-Zeit waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge dazu gezwungen worden, und nach dem Krieg hatten deutsche Stadtverwaltungen und alliierte Besatzungsmächte dieses System der Trümmerräumung als Strafarbeit zunächst nahtlos übernommen. Es wurden NSDAP-Mitglieder und deutsche Kriegsgefangene eingesetzt. Später suchte man Freiwillige – Männer und wenige Frauen - und verpflichtete Arbeitslose zum Einsatz. Sie erhielten bessere Lebensmittelkarten. Sie wurden nur regional begrenzt und in einem kurzen Zeitraum 1945/46 eingesetzt. Soweit die Realität, die Treber ohne jede ideologische Eintrübung anhand zahlreicher Quellen darlegt.
    Wirklich spannend wird das Buch, wenn Treber skizziert, wie die Ikone der Trümmerfrau kreiert und von unterschiedlichen Gruppen instrumentalisiert wurde. Dabei entsteht an keiner Stelle der Eindruck, es gehe um eine Abwertung der Frauen, die nach dem Krieg in Deutschland unter großen Schwierigkeiten ihre Kinder aufgezogen und überhaupt deren und ihr eigenes Überleben gesichert haben. Im Gegenteil.
    "Es ist schwierig, wenn man heute von Trümmerfrauen spricht und pauschal eine Leistung für das Wirtschaftswunder zuschreibt, das ist viel zu einfach und wird weder den Frauen, die diese Arbeit unter sehr widrigen Umständen in einem kleinen Teil von Deutschland gemacht haben gerecht, noch wird es der ganzen Diskussion gerecht."
    Medienkampagne in Tageszeitungen
    Um die harte und schwere, teilweise gefährliche Aufräumarbeit in eine positiv angesehene Aufgabe für Frauen umzudeuten, musste ein entsprechendes Bild geschaffen werden. So begann ab 1945/46 eine regelrechte Medienkampagne in Tageszeitungen und Frauenzeitschriften, in der sowohl der Begriff als auch das Bild von der Trümmerfrau eingeführt wurden. Viele Fotos waren gestellt, die Frauen teils geschminkt und die Arbeitskleidung vorteilhaft. Die Bilder, die bis heute unser Gedächtnis prägen, sind so entstanden. Doch sie entsprachen keineswegs dem Selbstbild der wenigen Frauen, die in dieser Zeit als offiziell sogenannte Bauhilfsarbeiterinnen schufteten, wie die Autorin zeigt.
    "(...) die betroffenen Frauen waren weit davon entfernt, ihre Arbeit in den Trümmern als eine freiwillige und heldenhafte Tat anzusehen. Gut ein Jahr nach Kriegsende meldeten sich in der Berliner Frauenzeitschrift 'Sie' mehrere Bauhilfsarbeiterinnen in Form von Leserbriefen zu Wort. (...) Voller Verbitterung schilderten sie, weshalb sie diese Arbeiten verrichteten: 'Wir stehen auf den Trümmern, selbst Frauen, die im 63. Lebensjahre stehen, tragen Steine, schieben Loren, klopfen Ziegel ab. Wir nutzen unsere letzten Stiefel, das letzte Kleid ab, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, denn unsere Konten sind gesperrt worden'."
    Treber zeigt in ihrem Systemvergleich allerdings, dass die Trümmerfrau in der DDR von den 50er Jahren an bis 1989/90 eine feste Rolle hatte als positive Identifikationsfigur und Prototyp der neuen sozialistischen Frau. Im Westen verschwindet sie fast in der Bedeutungslosigkeit bis in die 1980er Jahre. Und taucht dann als Ergebnis von zwei parallel verlaufenden Entwicklungen wieder auf. Wie Frauengeschichtsschreibung einerseits und rentenpolitische Debatte andererseits dem Mythos wieder auf die Sprünge helfen, zählt zu den aufschlussreichsten Passagen des Buches. Unter der Regierung Kohl wurde das Babyjahr eingeführt, seitdem wird Frauen das erste Lebensjahr eines Kindes auf die Rente angerechnet. Frauen, die vor 1921 geboren waren, sollten von der Regelung ausgenommen werden. Dagegen regte sich Widerstand. Der Seniorenschutzbund "Graue Panther" prägte das Bild: Wir, die älteren Frauen, sind doch die, die Deutschland wieder aufgebaut haben, und machten sich den Begriff der Trümmerfrau dafür zu eigen. Sie dehnten Bild und Image der Trümmerfrau auf eine ganze Generation aus. Etwa parallel dazu entwickelte sich die Frauengeschichtsschreibung. Frauen setzten sich gezielt und ausführlich mit der Generation der Mütter und Großmütter auseinander. Ein Teil von ihnen betrachtete dezidiert die Frauen als Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus. Und entwarf ein Bild, wonach Frauen zunächst im Krieg unter Luftangriffen litten, und danach als "Heldinnen" Deutschland wieder aufbauten. So wurde nahegelegt, dass die Frauen ebenso unschuldig wie leistungsstark waren. Doch Treber weist diesem Konstrukt mühelos nach, dass es historisch nicht haltbar ist.
    Mythos Trümmerfrau entlarvt
    "Natürlich waren auch Frauen Teil des Systems gewesen und in unterschiedlicher Weise verstrickt, sei es jetzt, dass sie auch Mitläuferinnen waren, dass Frauen auch Täterinnen waren, und dass eben auch Frauen in irgendeiner Weise im Nationalsozialismus gelebt und gewirkt haben."
    Treber zeigt, wie nach der Wiedervereinigung die beiden doch sehr unterschiedlichen west- und ostdeutschen Trümmerfrauen-Traditionen auffallend schnell zu einem gesamtdeutschen Erinnerungsort verschmolzen. Der von Politikern immer dann gerne heraufbeschworen wird, wenn an die Leistungs- und Opferbereitschaft der Deutschen appelliert werden soll. Zunehmend wird die Trümmerfrau aber auch vom rechtsradikalen Milieu instrumentalisiert, um Deutschland als Opfer des Zweiten Weltkrieges darzustellen.
    Es ist Leonie Trebers Verdienst, dass sie die Trümmerfrau als Mythos entlarvt. Und sie belegt dies am Schluss ihres Buches auch mit Bildern, die sie in den Archiven wieder entdeckt hat: Bilder von Männern, die Trümmer räumen, von schwerem Gerät und von politisch belasteten Frauen, die die Alliierten zwangen, Schutt zu schaufeln.
    Leonie Treber: "Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes". Klartext Verlag, 484 Seiten, 29,95 Euro.