Dienstag, 23. April 2024

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Trumps Rede an die Nation
"Parteipolitische Polarisierung ist großes Problem für die US-Politik"

Die Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation habe gezeigt, wie gespalten das Land sei, sagte der Politologe Johannes Thimm im Dlf. Donald Trump und die Republikaner hielten sich nicht mehr an die politischen Spielregeln und Rituale. Auch die Institution des Impeachment sei beschädigt worden.

Silvia Engels im Gespräch mit Johannes Thimm | 05.02.2020
Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi zerreißt nach der Rede zur Lage der Nation von Präsident Donald Trump eine Abschrift von dessen Ansprache
Symbolischer Höhepunkt der "State of the Union": Nancy Pelosi zerreißt eine Abschrift von Donald Trumps Rede (imago / UPI Photo)
Die alljährliche Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation, die "State of the Union", hat eine lange Tradition. Sie geht bis auf den ersten US-Präsidenten George Washington zurück. Auch in der Verfassung ist diese Form der Rede bereits erwähnt. Sie dient der Information beider Häuser des Kongresses. Doch angesichts der tiefen Spaltung der politischen Lager in den USA entfaltete sich in diesem Jahr die gewünschte überparteiliche Würde der Veranstaltung nicht.
Donald Trump auf einer Veranstaltung am 3. Januar 2020 in Florida
Politikberater zum Impeachment-Verfahren - "Demokraten haben sich zu weit aus dem Fenster gelehnt"
Im Impeachment-Verfahren hätten die meisten Republikaner hinter Donald Trump gestanden, sagte Politikberater Peter Rough im Dlf. Denn es sei der Eindruck entstanden, dass die Demokraten den Prozess für ihren Wahlkampf instrumentalisieren wollten.
US-Präsident Donald Trump feierte nicht nur seine politischen Erfolge, sondern kritisierte – anders als bisalng üblich - die Vorgängerregierung unter Barack Obama. Den symbolischen Schlusspunkt setzte dann die Mehrheitsführerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nanci Pelosi: Sie zerriss unmittelbar nach Trumps Rede demonstrativ eine Abschrift von dessen Ansprache.
Im Gespräch mit dem Dlf analysierte der Politikwissenschaftler Johannes Thimm die diesjährige "State of the Union" und ihre Begleitumstände. Thimm ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Medienpräsident Trump kreiert Reality-TV-Momente
Silvia Engels: Dass US-Präsident Trump in seiner Rede einmal mehr seine so empfundenen Erfolge feiert, überrascht nicht. War es genau die erwartete Wahlkampfrede?
Johannes Thimm: Na ja, die Rede zur Lage der Nation, die "State of the Union", ist ja ein jährliches Ritual, das natürlich jeder Präsident nutzt, um die eigenen Erfolge in den Vordergrund zu stellen. Und das gilt natürlich besonders in einem Wahljahr. Trotzdem war jetzt diese "State of the Union" in zweierlei Hinsicht doch ein bisschen anders, als wir das gewohnt sind.
Der Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur Pete Buttigieg macht schon seit längerem Wahlkampf im US-Bundesstaat Iowa.
Ergebnisverzögerung bei US-Vorwahlen - Verlorene Chance in Iowa
Die US-Demokraten haben mit ihrem Unvermögen, ein Vorwahlergebnis im Bundesstaat Iowa zu präsentieren, ein Debakel im Rennen um die US-Präsidentschaft hingelegt, meint Jan Bösche.
Zum einen ist Präsident Trump natürlich ein Medienpräsident und er hat die "State of the Union" genutzt, um diese Reality-TV-Momente zu kreieren, diese Überraschungen. Er hat ein Stipendium für eine Viertklässlerin angekündigt. Er hat einen sehr konservativen kontroversen Radiomoderator mit der Medal of Freedom ausgezeichnet. Und er hat eine Frau im Live-Fernsehen mit ihrem Mann, der in der Armee dient, wiedervereint, der aus dem Einsatz zurückgekommen ist. Das ist der erste Aspekt, diese Reality-TV-Momente.
Und der zweite Aspekt ist das, was eben in dem Beitrag auch schon angeklungen ist: Die Tatsache, dass die ganze "State of the Union" ein Ausdruck darüber war, wie gespalten das Land ist, und dass tatsächlich die Stimmung sehr vergiftet ist und auch die Spielregeln dieser Rituale nicht mehr so eingehalten werden, wie das mal der Fall war.
Trump wirbt um schwarze Wähler
Engels: Da kommen wir gleich hin. Bleiben wir erst noch bei der Rede Trumps. Eines hat er ja gar nicht erwähnt, nämlich dass in einigen Stunden zur Abstimmung stehende Amtsenthebungsverfahren. War das geschickt, diesen ja formaljuristisch erheblichen Vorgang gar nicht zu erwähnen, auch wenn es wahrscheinlich gut für Trump ausgehen wird?
Der Republikaner Mitch McConnell, Mehrheitsführer im Senat, am 31.1.2020 nach der Abstimmung im Senat, keine weiteren Zeugen im Impeachment-Verfahren anzuhören
 
Impeachment vor dem Ende - Gefahr für die Gewaltenteilung in den USA
Die Entscheidung gegen weitere Zeugen-Anhörungen im Impeachment-Verfahren mag US-Präsident Donald Trump erleichtern, meint Jan Bösche. Doch die Demokraten könnten mit der Bereitschaft der Republikaner, ihn zu schützen, im Wahlkampf punkten.
Thimm: Ja, ich denke schon, denn die Tatsache, dass er nicht verurteilt werden wird in diesem Amtsenthebungsverfahren, bedeutet ja nicht, dass er sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, und das sagen auch die öffentlichen Meinungsumfragen. Insofern war es wahrscheinlich eine ganz geschickte Taktik, da gar nicht drüber zu sprechen. Er setzt die Agenda seiner Rede. Er kann sich frei aussuchen, was er erwähnt und was er nicht erwähnt. Inhaltlich war auffällig, dass er sich sehr stark auf seine Wirtschaftserfolge bezogen hat. Das liegt nahe, das ist das stärkste Pfund, mit dem er wuchern kann. Aber es ist auch interessant zu sehen, dass er sehr stark um die Unterstützung von schwarzen Wählern geworben hat, und das hängt sicherlich auch mit dem Wahlkampf zusammen.
Engels: Dann schauen wir jetzt auf die tiefe Zerrissenheit, die Sie schon angesprochen haben. Die US-Demokraten selbst haben ihre Ablehnung deutlicher gezeigt. Demonstrativ zerriss Nancy Pelosi, die Sprecherin der Demokraten im Repräsentantenhaus, im Schlussapplaus das Redemanuskript Trumps. Die Gesprächsfähigkeit zwischen Republikanern und Demokraten scheint ja mehr und mehr verloren zu gehen. Wie gefährlich ist es für die Führbarkeit eines demokratischen Landes, wenn die Gräben so tief werden?
"Auf symbolischer Ebene ein starkes Stück"
Thimm: Ja, die Polarisierung, die parteipolitische Polarisierung ist schon ein großes Problem für die amerikanische Politik. Das ist ja nicht was, was mit Trump begonnen hat. Das gibt es schon seit längerem. Aber es scheint wirklich immer so zu sein, dass es im Moment noch immer stärker wird. Und das hat natürlich jetzt auch mit der Tatsache zu tun, dass diese "State of the Union" wirklich mitten in diesem Amtsenthebungsverfahren stattgefunden hat. Aber auf der symbolischen Ebene war das insgesamt schon ein relativ starkes Stück.
Denn Trump hat die letzte Regierung, die Obama-Regierung deutlich kritisiert in der Rede. Das ist sonst auch nicht üblich. Dieser Prozess, dass die Formalitäten, die förmlichen Spielregeln nicht mehr so eingehalten werden, der hat auch schon ein bisschen vor Trump begonnen. Nämlich als Präsident Obama eine "State of the Union" gehalten hat und ein republikanischer Kongressabgeordneter dazwischen geschrien hat, dass Obama lügt. Das war eigentlich schon der erste Tabubruch in dieser Hinsicht. Diesmal haben wir einen vorläufigen Höhepunkt davon erlebt, was auch dazu geführt hat, dass Nancy Pelosi die Rede am Ende zerrissen hat. Das zeigt, dass sie auch ein bisschen Theatralik kann.
Engels: Theatralik ist das eine, aber was bedeutet das für eine Arbeitsebene? Ist überhaupt noch Politik im Kongress, wo man ja auch mal mit Kompromissen arbeiten muss, denkbar in diesem Jahr, oder steht sowieso alles unter dem Vorzeichen Wahlkampf?
Thimm: Ich erwarte tatsächlich nicht, dass in Sachen Gesetzesvorhaben noch besonders viel passiert in diesem Jahr. Man darf nicht vergessen, dass selbst in solchen Momenten manchmal noch Zusammenarbeit möglich ist. Auch während das Amtsenthebungsverfahren schon lief, haben die Demokraten punktuell für bestimmte Vorhaben gestimmt. Zum Beispiel das Handelsabkommen mit Kanada und Mexiko ist mit der Unterstützung der Demokraten durchgegangen. Man darf sich von der Theatralik auch nicht komplett den Blick verstellen lassen für das, was noch passiert. Aber dennoch ist es so, dass mit der Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus es sehr schwierig ist für Trump, irgendwelche Gesetzesvorhaben durchzubringen. Und es war jetzt schon so, dass seit den Zwischenwahlen, wo die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobert haben, legislativ nicht mehr so viel passiert ist.
Engels: Dann blicken wir noch auf das voraus, was in einigen Stunden passiert: Wahrscheinlich das Scheitern der Demokraten mit ihrem Versuch, Trump des Amtes zu entheben. Das war immer wahrscheinlich, weil die Senatsmehrheit der Republikaner steht. War es, wenn wir versuchen, schon einmal vorausschauend Bilanz zu ziehen, von den Demokraten klug, diesen Weg des Impeachments zu gehen?
"Institution des Amtsenthebungsverfahrens wurde beschädigt"
Thimm: Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich glaube, die Demokraten haben die Entscheidung getroffen, dass die Vergehen von Trump verfassungsrechtlich doch so relevant waren, dass man sie nicht einfach nur durchgehen lassen konnte. Ob das jetzt wahltaktisch klug war, lässt sich eigentlich jetzt noch nicht wirklich beantworten. Es scheint so zu sein, dass das Impeachment-Verfahren als Ganzes einfach nicht so viel verändert hat – weder zu Gunsten, noch zu Ungunsten von Trump. Sondern die Leute, die ihn vorher abgelehnt haben, lehnen ihn auch weiter ab. Seine Unterstützer hat das nicht davon abgehalten, ihn zu unterstützen. Und ich glaube, dass die politischen Folgen des Amtsenthebungsverfahrens jetzt im Wahljahr nicht so dramatisch sind.
Was man natürlich schon feststellen muss ist, dass die Institution des Amtsenthebungsverfahrens dadurch ein Stück weit beschädigt wurde. Weil das eigentlich eine überparteiliche Geschichte sein soll, die genutzt wird, wenn wirklich der Präsident sein Amt missbraucht. Wenn das zu so einem parteipolitischen Spektakel wird, wo es dann wirklich nur noch darauf ankommt: Ist man jetzt auf der Seite des Präsidenten oder nicht, und es gar nicht mehr darauf ankommt, die Beweislage sich anzuhören und darüber zu urteilen, ob der Präsident seine Macht missbraucht hat, dann ist wieder eine Institution der amerikanischen Politik ein Stück weit beschädigt.
Vorwahlen in Iowa: Pete Buttigieg kann Momentum gewinnen
Engels: Beschädigung ist ein gutes Stichwort. Das greift im Moment noch in einem anderen Zusammenhang, nämlich mit Blick auf die US-Demokraten. Sie haben es ja gestern nicht hinbekommen, die Vorwahlen in Iowa vom Ergebnis her frühzeitig abzubilden. Jetzt liegen mittlerweile Ergebnisse vor. Pete Buttigieg liegt vorne, neben Bernie Sanders. Ex-Vizepräsident Biden rangiert weiter hinten, derzeit auf Platz vier. Was sagt das über das demokratische Präsidentschafts-Bewerberfeld?
Thimm: Vielleicht nur kurz zur Panne. Das ist natürlich wieder so ein Fall, dass je größer die Inszenierung, desto peinlicher dann die Panne. Wenn das so ein Datum ist, wo die gesamte Öffentlichkeit und die Medienlandschaft seit Wochen drauf hinfiebert, ist es natürlich schon sehr peinlich, wenn dann die Übermittlung der Wahlergebnisse nicht vernünftig funktioniert, und das ist natürlich ein gefundenes Fressen für Trump, wo er sich auch drauf stürzen wird.
Zum Ergebnis muss man auch unterscheiden zwischen der objektiven Faktenebene und der Wahrnehmung des Ganzen. Insgesamt lässt sich feststellen: Da geht es nur um ein paar Delegierte in Iowa. Es sind nur wenige aus der gesamten Delegiertenschaar der Vorwahlen. Deswegen ist es jetzt gar nicht so wichtig, was das Ergebnis ist, zumal ja die Delegierten verteilt werden. Da gilt ja das Verhältniswahlrecht und nicht einer der Kandidaten zieht alle seine Delegierten auf seine Seite.
Die zweite Ebene ist allerdings wieder die der Wahrnehmung, und da spielt es natürlich eine große Rolle, was in diesen ersten Vorwahlen passiert. Und es spielt für manche Kandidaten eine größere Rolle als für andere. Pete Buttigieg war vorher noch nicht so bekannt und galt auch nicht als so aussichtsreich, und der kann jetzt schon sehr davon profitieren, wenn er da ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Joe Biden hat erstaunlich schwach abgeschnitten. Da muss man aber auch wieder dazu sagen: Erstens ist Iowa nicht besonders repräsentativ, weil es sehr viel weißer ist als andere Bundesstaaten, und Joe Biden hat im Moment noch die beste Zustimmung unter Minderheiten.
Andererseits sind die Leute, die sich an diesem komplizierten Wahlverfahren beteiligen, natürlich besonders politikinteressiert und deswegen vielleicht auch nicht so ganz repräsentativ. Trotzdem ist es ein schwacher Auftakt, ein enttäuschender Auftakt für Joe Biden und Pete Buttigieg kann jetzt aus diesem Ergebnis sehr viel Momentum gewinnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.