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Tschechische Feldrecherchen in Mitteldeutschland

Die tschechische Stadt Brno verbindet mit Leipzig mehr als 40 Jahre Städtepartnerschaft. Ein Ausstellungsprojekt bringt nun Künstler aus beiden Orten zusammen. Sie haben sich jeweils von der anderen Stadt inspirieren lassen.

Von Martin Becker | 14.11.2013
    "Das ist das ehemalige Bat'a-Gebäude. Das sollte mal ein Wolkenkratzer werden – aber es gibt einige Gründe, warum es das nicht geworden ist."

    Wir sitzen mitten im Zentrum von Brno, vor einem ganz und gar unspektakulären Bürogebäude. Petra Hlaváčková ist eine von den jungen Kreativen der Stadt, die nicht nach Prag abgehauen sind – einen aufwendigen Architekturführer über ihre Heimatstadt hat Petra geschrieben, und dabei das Scheitern nicht ausgespart: Der Schuhhersteller Bat'a wollte Brno vor vielen Jahrzehnten weltmännisch machen: Mit einem Wolkenkratzer im amerikanischen Stil. Am Ende blieb es bei wenigen Stockwerken. Aus bürokratischen, statischen, sonst welchen Gründen. Aus der Traum. Merken wir uns das.

    "Die Wirklichkeit sah in Brünn anders aus."

    Fahren wir weg aus Brno, nehmen wir den Eurocity in Richtung Partnerstadt – das ist nämlich Leipzig. Seit 40 Jahren. Ähnliche Größe, ähnliche Situation: Die Hauptstadt ist fast in Spuckweite. Das kann Druck machen. In dieser Woche berichtete eine Boulevardzeitung über ein Leipziger Architekturprojekt: Ein hundert Meter hoher Glaswolkenkratzer sollte mitten in die Stadt. Die Planung war schon teuer – und jetzt sind Geld und Interessenten alle. Es wird ihn nicht geben. Aus der Traum.

    Das Spinnereigelände in Leipzig, Ort für Kunst aller Art. Hier bereiten neun Künstler aus Brno gerade ihre Ausstellung vor. Im Sommer waren Leipziger Künstler in Brno und haben über die Stadt gearbeitet. Jetzt sind die Tschechen dran: "SKOK! The tales of (y)our city" zeigt das, was die Besucher aus Brno bei ihren Feldrecherchen in Mitteldeutschland gefunden haben. Medien- und Performancekunst aus Brno über Leipzig. Klingt sperriger, als es ist:

    "Also, dieser Lautsprecher hier, das ist Teil der Installation von der Arbeit von Martin Zet. Das sind auch Originallautsprecher aus dem öffentlichen Raum aus Brno. Das gab ja früher auch diese ganzen Durchsagen, und so, öffentliches Programm, auch viel Propaganda, und so weiter. Er wird das nutzen für seine Soundcollage, und zwar kombiniert er dort die Fahneneide aus der Tschechoslowakei mit den Fahneneiden aus der DDR, also dem einen."

    Christine Rahn hat in Leipzig studiert und in Brno im "Haus der Kunst" gearbeitet. Zusammen mit ihrem tschechischen Kollegen Rostislav Koryčánek hat sie lange nach Künstlern gesucht, die zur Leipzig-Brno-Connection passen. Und das hat geklappt: Handfest sind die Arbeiten, erzählerisch, so gar nicht dieses eitle Kunsttrallala aus den, sagen wir es ruhig, boomenden Hauptstädten. Lenka Klodová beispielsweise hat sich für ihre Arbeit den berühmtesten Komponisten Leipzigs vorgenommen. Ziemlich naheliegend eigentlich. Aber doch ganz anders: Der sogenannte "Bachtease" wird ein Tanz sein im Stil vom "Moulin Rouge" – übrigens zugleich der Name des größten Nachtclubs von Brno:

    "Es ist ein Striptease, wenn man das so sagen darf – und eben nach einer Choreografie von Johann Sebastian Bach, einem der Helden der Stadt."

    Pudelwohl fühlen sie sich in Leipzig, das sagen sie alle, die Künstler aus Brno. Gibt ja auch viele Gemeinsamkeiten. Besonders eben diese eine Sache, wir wissen schon, Spuckweite, Hauptstadt und so. Aber nennen wir sie ruhig Underdogs, nennen wir sie ruhig "second citys": Die Pflänzchen im Schatten der Kapitale kommen ganz gut damit zurecht – auch ohne deutsche oder tschechische Wolkenkratzer.