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Tschechische Rechtsradikale hetzen gegen Roma

Die bestehende Anti-Roma-Stimmung in Tschechien scheint wegen der Wirtschaftskrise zu eskalieren. Rechtsradikale erhalten bei ihren gewalttätigen Protesten zunehmend Unterstützung aus der Bevölkerung. Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen warnen die Behörden vor einer wachsenden Pogromstimmung.

Von Stefan Heinlein | 18.09.2013
    Pavlina Matiova singt das Requiem für Auschwitz. Ihr Auftritt auf der großen Bühne des Prager Rudolfinums ist eine Besonderheit. Die 24-jährige Künstlerin ist die erste und einzige Roma-Opernsängerin in Tschechien:

    "Dieser Auftritt im Rudolfinum ist eine große Ehre. Ich bin so glücklich dort als Roma-Frau auf der Bühne zu stehen."

    Aufgewachsen ist Pavlina Matiova in der nordböhmischen Kleinstadt Rokycany. Nur wenige Roma haben dort eine höhere Schulbildung und ein festes Einkommen. Fast alle leben von Sozialhilfe in den ärmlichen Siedlungen am Stadtrand. Doch auch dort fühlen sie sich nicht mehr sicher seit jedes Wochenende Nazi-Gruppen aufmarschieren. Auch die Familie von Pavlina hat Angst:

    "Das ist fürchterlich. Die Extremisten sind direkt an unserem Fenster vorbeimarschiert. Wir haben uns hinter den Vorhängen versteckt. Ein schreckliches Gefühl. Niemand weiß, wie das alles endet."

    Seit der europäischen Wirtschaftskrise steigt die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Regionen des Landes. Rechtsradikale Gruppen machen dort seit Monaten gezielt Stimmung gegen die Roma. Bei ihren Märschen erhalten sie immer mehr Unterstützung aus der Bevölkerung, warnt Innenminister Pecina:

    "Die Lage hat sich in den letzten drei bis vier Jahren deutlich verschärft, weil die sozialen Probleme schlimmer geworden sind. Die Spannungen zwischen der Roma-Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft sind extrem angestiegen. Die Situation ist sehr ernst – sie droht zu eskalieren."

    Der tschechische Geheimdienst warnt in einer aktuellen Studie vor Gefahren für die innere Sicherheit des Landes. Der Einfluss rechtsradikaler Gruppen auf die Bevölkerung nehme zu. Es genüge ein Funke um die alltägliche Romafeindlichkeit in offene Gewalt umschlagen zu lassen. Nur wenige Roma-Aktivisten wagen diese Entwicklung offen anzuprangern.
    Andrej Lucka:

    "Wir protestieren gegen die Extremisten in unseren Städten."

    Ruft Andrej Lucka in sein Megafon. "Diese Nazis schreien – schwarze Schweine – ab mit den Zigeunern in das Gas. Die Parteien schauen zu, wie Pogrome gegen Roma organisiert werden. Doch nur eine Handvoll Zuhörer kommt zu der Kundgebung vor das Prager Regierungsamt.
    Keine Überraschung für den Roma-Aktivisten. Weder in der Politik noch in den Medien sei die alltägliche Diskriminierung ein Thema. Ein Betroffener:

    "Wir wollen doch nur normal leben und arbeiten. In Tschechien ist das aber kaum möglich. In den meisten Firmen herrscht offener Rassismus. Sie geben uns Roma einfach keine Arbeit."'"

    Doch trotz der Alltagsdiskriminierung und der zunehmenden Gewalt gegen die 200.000 bis 300.000 Roma in Tschechien wird im laufenden Wahlkampf kaum über mögliche Lösungen diskutiert. Keine Partei ist bereit gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung Stellung zu beziehen. Umso überraschter sind viele Beobachter jetzt über die klaren Worte von Milos Zeman. In einem Interview nach den Ausschreitungen in der Industriestadt Ostrava erklärte der Präsident:

    ""Die Neonazis erkennt man an den kahlen Schädeln und ihrem Schrei "Tschechien den Tschechen". Das ist nichts anderes als die frühere Nazi-Parole Juden raus."

    Doch der Weckruf des Präsidenten bleibt bisher ohne Wirkung. Auch in den kommenden Wochen bis zu den Wahlen Ende Oktober haben die Extremisten Protestmärsche in vielen Städten des Landes angekündigt. Laut Umfragen wird diesmal mindestens eine rechtsradikale Partei den Sprung ins Parlament schaffen.