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Tschechische Republik
Schwieriges Gedenken an Jan Palach

Am 16. Januar 1969 verbrannte sich der Student Jan Palach in Prag aus Protest gegen die Lethargie nach dem Ende des Prager Frühlings. Viele Tschechen fragen sich, wie er wohl heute über die Verhältnisse in seinem Land denken würde - denn durch Politik und Gesellschaft zieht sich eine tiefe Kluft.

Von Peter Lange | 16.01.2019
    Zeitgenössisches Foto der Beerdigung des Studenten Jan Palach in Prag - ein Sarg wird im Innenhof des Karolinums, der Karlsuniversität, durch eine Menge getragen.
    Begräbnis von Jan Palach 1969 - seine Verzweiflungstat spielt bis heute eine große Rolle im nationalen Gedächtnis der Tschechen (picture alliance / CTK)
    Michal Stehlik, Historiker und stellvertretender Leiter des Nationalmuseums, kann sich schlecht vorstellen, dass das Gedenken an Jan Palach etwas Befriedendes haben wird oder die Menschen zur Besinnung bringt.
    "Unsere Gesellschaft ist so atomisiert, dass sie nicht fähig ist zur Selbstreflexion. Ich bin nicht sicher, ob sie sich noch auf gemeinsame Werte verständigen kann."
    Der Ministerpräsident ist auf Reisen
    Stehlik sieht den Wertekonsens schwinden, der sich in der Gesellschaft vor und nach der Revolution von 1989 herausgebildet hatte. Das dokumentiert auch dieser Jahrestag. Milos Zeman, der Staatspräsident, wird auch diesmal auf eine Rede verzichten, wie schon beim 50. Jahrestag der sowjetischen Invasion im vergangenen August. Ministerpräsident Andrej Babis, ehemals Mitglied der KP und stasi-belastet, ist zufällig auf Indien-Reise und erspart sich damit ein weiteres Pfeifkonzert seiner Gegner. So bleibt es im Wesentlichen der Karlsuniversität überlassen, das Gedenken an ihren Studenten Jan Palach zu erneuern. Ihre Philosophische Fakultät war damals das Zentrum des Widerstands gegen den Abbau der mühsam erkämpften Freiheiten nach der sowjetischen Okkupation.
    "Die Studenten forderten das Ende der Zensur und die Rückkehr der Professoren, die aus politischen Gründen entlassen worden waren."
    Wo würde Palach heute stehen?
    Aus der erlebten Machtlosigkeit und der Lethargie der Menschen, die die sogenannte "Normalisierung" tatenlos hinnahmen, zog Jan Palach eine furchtbare Konsequenz. Am 16. Januar 1969 übergoss er sich auf dem Wenzelsplatz mit Benzin und zündete sich an. Drei Tage später starb er an seinen Brandverletzungen.
    "Die Tat von Jan Palach müssen wir als einen Appell verstehen, der uns vor Gleichgültigkeit, Passivität und Hoffnungslosigkeit warnt", sagte damals der Dissident und spätere Staatspräsident Vaclav Havel. "Seinen Tod begreife ich als Warnung vor dem moralischen Selbstmord von uns allen."
    Eine Mahnung, die viele auch heute für angebracht halten. Wo würde Jan Palach wohl heute politisch stehen? Er wäre wohl ähnlich frustriert wie damals, meint der Historiker Michal Stehlik:
    "Allerdings nicht verursacht durch den Charakter des Regimes, sondern durch den Zustand der Gesellschaft. Er hätte es schwerer gehabt, seinen Weg zu finden zwischen scheinbaren Freiheiten und sozialer Ungerechtigkeit."
    1989 - eine Palach-Woche leitet den Umsturz ein
    Die nächsten Tage sind gefüllt mit Ausstellungen, Gedenkfeiern und Diskussionen.
    Auf dem Hof der Karlsuniversität wird heute eine Gedenktafel enthüllt an der Stelle, wo vor 50 Jahren der Sarg von Jan Palach stand, dem dann Zehntausende zum Olschansker Friedhof folgten. Es war für 20 Jahre die letzte große Demonstration für Demokratie und Freiheit, bis zur Palach-Woche von 1989, als das Ende des kommunistischen Regimes eingeläutet wurde.