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Tschechische Roma suchen Asyl in Kanada

Tausende tschechischer Roma flüchteten in den vergangenen Monaten aus ihrem Heimatland, weil sie dort drangsaliert und verfolgt wurden. Viele versuchten ihr Glück in Kanada, denn das Asylrecht des Landes gilt als besonders liberal. Doch nun schiebt Kanada einen Riegel vor.

Von Christina Janssen | 15.07.2009
    Die Geschichte von Anna Polakova ist kein Einzelfall: Bis vor wenigen Wochen lebte die 41-Jährige mit ihrem Mann und drei Kindern in Prag. Dann gab die Romafamilie frustriert auf und wanderte aus. Die Gründe:

    "Die Zunahme des Rechtsradikalismus und die breite Unterstützung dafür in der Gesellschaft. Die häufigen Angriffe gegen meine Familie, die tägliche Angst."

    Dabei waren die Polaks eine Vorzeigefamilie: Sie brachten genau das, was die Tschechen von der Romaminderheit in ihrem Lande erwarten: Engagement und wirtschaftlichen Erfolg. Die Mutter als Karrierejournalistin, ihre Kinder als Studenten an der Universität. Die Polaks gehörten zur tschechischen Mittelschicht. Einziges Unterscheidungsmerkmal: ihre dunkle Hautfarbe.

    "Mein Sohn Marek wurde an einem Abend auf dem Nachhauseweg von der Disco von vier Skinheads angegriffen, sie haben ihn verprügelt. Die Polizisten, die zufällig vorbeikamen, haben ihm das Leben gerettet. Mein Sohn lag schon bewusstlos am Boden."

    Die Täter wurden gefasst, der Fall landete vor Gericht. Am Ende zahlten die rechtsradikalen Schläger rund 2000 Euro Schmerzensgeld. Doch das war erst der Anfang:

    "Eine Woche später wurde mein Mann attackiert, und die Täter forderten das Schmerzensgeld zurück."

    Als dann auch noch Tochter Andrea von Rechtsradikalen beschimpft und bedroht wurde, gab es für Anna Polakova nur noch eines: raus aus Tschechien.

    "Ende letzten Jahres war das. Vor einem Drogeriemarkt in Prag. Meine Tochter hatte ihren Hund draußen angebunden. Und als sie rauskam, wurde sie von fünf jungen Männern und einer Frau mit rassistischen Sprüchen beschimpft. Sie haben behauptet, sie sei eine Tierquälerin und dürfe den Hund nicht behalten. Irgendwie ist, konnte sie entkommen, aber danach ist sie völlig zusammengebrochen."

    Die Polaks wohnen seit Juni im kanadischen Hamilton. Ihr Asylantrag in Kanada wurde angenommen. Doch nicht nur aus der Perspektive einzelner Betroffener nimmt der Rassismus in Tschechien zu. Jan Simacek leitet die staatliche Behörde, die für die Integration der Roma zuständig ist. Auch er malt ein Bild in düsteren Farben:

    "Wir sehen, dass sich die Aktivitäten der neonazistischen und rechtsradikalen Gruppen häufen. Im letzten halben Jahr haben wir fast jedes Wochenende ein, zwei Aufmärsche erlebt, und die meisten Städte waren nicht fähig, das zu verhindern".

    Und das hat Folgen: Im vergangenen Jahr haben rund 850 tschechische Roma in Kanada Asyl beantragt, allein im ersten Halbjahr 2009 waren schon doppelt so viele, mehr als 1700. Die Regierung in Ottawa hat monatelang gewarnt und nun gehandelt. Ab sofort brauchen die Tschechen wieder ein Visum. Ein politischer Eklat - Empörung in Prag:

    "So verfährt man nicht mit einem Land, mit dem man die NATO-Mitgliedschaft teilt, mit dessen Soldaten man Seite an Seite in Afghanistan kämpft", so Außenminister Jan Kohout. "Einen Verbündeten erst im letzten Augenblick darüber zu informieren, dass für seine Bürger Visa eingeführt werden - das ist ein beispielloser Vorgang".

    Für den tschechischen Außenminister ist es eine besonders peinliche Angelegenheit: Er hatte seine Landsleute noch am Wochenende wissen lassen, das Thema sei vom Tisch. Zwei Tage später das Dementi. Und der Schuldige ist schnell gefunden:

    "Die Ursachen liegen vor allen Dingen auf der Seite Kanadas - weil Kanada Asylbewerber mit so offenen Armen aufnimmt. Das motiviert diese Menschen natürlich. Andererseits kann man auch nicht die Augen davor verschließen, dass auch die Situation hier dazu beiträgt, dass die Leute aus Tschechien auswandern wollen."

    Dennoch will Tschechien zurückschlagen. Prag hat seinen Botschafter aus Ottawa abberufen und pocht auf die Solidarität der Europäischen Union:

    "Entweder führt jetzt die ganze EU Visa für Kanada ein oder das Prinzip der Solidarität ist außer Kraft gesetzt. Dann hätten wir jedes Recht, das im Alleingang zu tun."
    Außenminister Jan Kohout will noch in dieser Woche nach Brüssel reisen, um sich im Visastreit mit Kanada Rückendeckung zu holen.