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Tschetschenien
Menschenrechtler Ojub Titijew vor der Verurteilung

Ojub Titijew wird heute wahrscheinlich zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er ist einer der letzten prominenten Menschenrechtler in Tschetschenien. Machthaber Ramsan Kadyrow will ihn aus dem Verkehr ziehen, weil er Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und veröffentlicht.

Von Thielko Grieß | 18.03.2019
Der Menschenrechtsaktivist Ojub Titiew bei einer Anhörung
Der Menschenrechtsaktivist Ojub Titiew bei einer Anhörung (picture alliance/Yelena Afonina/TASS/dp)
Ojub Titijew hegt keine Illusionen darüber, wie der Prozess gegen ihn enden wird. Der Angeklagte sagte in der vergangenen Woche im Gerichtssaal der tschetschenischen Stadt Schali:
"Es wird natürlich eine Verurteilung sein. In den letzten Jahren hat es sowohl in unserer Republik Tschetschenien wie auch in unserem Land im Ganzen, praktisch keine Freisprüche gegeben. Das sagt viel über die volle Kontrolle aus, die die Staatsanwaltschaft über das Gerichtssystem des Landes ausübt. Wenn die Staatsanwaltschaft eine Sache vor Gericht bringt, ist dies gleichbedeutend mit einem Urteilsspruch."
Die Staatsanwaltschaft hat vier Jahre Haft in einer Strafkolonie gefordert, außerdem die Zahlung von 100.000 Rubeln, was etwa 1.300 Euro entspricht.
Dürftige Beweislage
Dabei ist die Beweislage gegen den heute 61-jährigen Titijew dürftig: Der Leiter des regionalen Büros des Menschenrechtszentrums Memorial in Grosny wurde Anfang Januar des vergangenen Jahres von Beamten einer speziellen Polizeieinheit angehalten, die sein Auto ohne Anwesenheit von Zeugen durchsuchten und Titijew ein erstes Mal festnahmen. Wenig später fanden die Beamten in seinem Auto eine Tüte mit knapp 200 Gramm Marihuana und nahmen ihn ein zweites Mal fest.
Einer der Polizisten gab später vor Gericht an, er habe schon durch das Fenster eine verdächtige Tüte erkannt. Die Tüte mit dem Marihuana allerdings lag nachweislich unter einem Autositz und konnte nicht von außen gesehen werden. Dies ist nur eine von vielen Kuriositäten, die teils die Hürde zur Absurdität mit Leichtigkeit nehmen. So ist Titijew als strenger Nichtraucher und Verfechter einer gesunden Ernährungs- und Lebensweise bekannt. Eine Blutprobe ergab: Er hat die Droge nachweislich nicht konsumiert. Ein Zeuge, der vor Gericht bestätigen sollte, er habe den Angeklagten mit einem Joint auf offener Straße gesehen, ist laut Beschreibungen von Beobachtern selbst unter Drogeneinfluss zur Sitzung erschienen. Titijew erkannte der Zeuge nicht. Im Protokoll der Sitzung aber steht nun das Gegenteil – es wurde offensichtlich so geändert, damit es zur Anklage passt.
Oppositionelle und in Ungnade Gefallene gefoltert
Ojub Titijew, der seit Jahrzehnten in Tschetschenien lebt, ist Nachfolger der 2009 im Kaukasus ermordeten Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa. Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und zu veröffentlichen, betrachtet er als seine Lebensaufgabe: Er begann schon während des zweiten Tschetschenien-Kriegs. Kurz vor seiner Festnahme widmete er sich Aussagen von Tschetschenen, deren Verwandte in Geheimgefängnissen verschwunden waren. In ihnen wurden Oppositionelle und in Ungnade Gefallene gefoltert. Möglich ist, dass sich der Herrscher der Teilrepublik, Ramsan Kadyrow, für die Recherchen revanchieren will.
Denkbar ist aber auch, dass Kadyrow Vergeltung üben lässt für den Verlust zweier seiner Propaganda-Kanäle, auf denen er Millionen Follower hatte: Facebook sperrte zwei seiner Konten, darunter eines auf Instagram, auch als Folge von Veröffentlichungen über Menschenrechtsverstöße. Kadyrow erklärte im vergangenen August:
"Menschenrechtler stören das friedliche Zusammenleben unserer Bevölkerung. Ich sage ihnen offiziell: Wenn das Gericht seine Entscheidung trifft, wird Tschetschenien für Menschenrechtler verbotenes Territorium sein, wie auch für Extremisten und Terroristen und dergleichen."
Titijews Familie wurden ebenfalls Prozesse angedroht. Ein Teil hat Tschetschenien verlassen. Sein Neffe ist inzwischen wegen angeblichen Drogenbesitzes angeklagt.