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TSG will was werden

Er versteht sich mit beiden Flügeln seiner Partei und er beweist Kampfgeist. Auf Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der Hessen-SPD für die Landtagswahl im September, ruhen große Hoffnungen. Aus dem Scheitern seiner Vorgängerin Andrea Ypsilanti hat er eine wichtige Lehre gezogen: Nie mehr alles ausschließen.

Von Anke Petermann | 14.03.2013
    "Auf den Wechsel, fertig, los" - Thorsten Schäfer-Gümbel enthüllt ein Plakat mit dem Wahlslogan für den 22.September, dem gemeinsamen Termin für Bundestags- und Hessen-Wahlen. Beim Fototermin auf dem Wiesbadener Schlossplatz schart sich die auf unter dreißig Abgeordnete geschrumpfte Fraktion um ihren Chef und Hoffnungsträger.

    Nicht nur, wenn die Fotografen drauf halten, wirken die Wiesbadener Sozis in diesen Tagen gelöst. Ist das tatsächlich dieselbe Truppe, über die der Spiegel Ende 2008 unter der Überschrift "innere Brutalisierung" schrieb? Nämlich dass sie von Angst, Hass, Intrige und inneren Flügelkämpfen zerrieben werde? Thorsten Schäfer-Gümbel, damals von der gescheiterten Parteichefin Andrea Ypsilanti als Krisenmanager und neuer Frontmann nach vorn geschoben, würde sich die Worte des Nachrichtenmagazins nicht zu eigen machen,

    "… aber es war ganz sicherlich so, dass wir einen hohen Vertrauensverlust auch in den eigenen Reihen zwischen den unterschiedlichsten Mitgliedern hatten. Und der wesentliche Punkt, warum wir das überwinden konnten, ist, dass ich dafür gesorgt habe, dass viele Themen, die auch heiß diskutiert wurden, auf den Tisch kamen, dass ich alle an den Tisch geholt habe und mit ihnen diskutiert habe und dadurch ein Team neu entstanden ist."

    Vorbei der Personenkult
    Der Kandidat wirkt uneitel, und wenn die Fotografen zu lange draufhalten, verliert Schäfer-Gümbel die Geduld. Vorbei der Personenkult um das rote Y. Als Teamplayer bindet der Mittvierziger vom linken Flügel den rechten personell mit ein. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion avanciert der eher konservative Günter Rudolph zu Schäfer-Gümbels engstem Mitarbeiter. Der sagt über den Fraktionschef:

    "Er setzt auf Dialog, er steckt in den Inhalten, er fordert viel, er gibt viel. Er hat vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl in Partei und Fraktion gefördert, dass man sich Luft und Freiräume lässt zu diskutieren, aber nach draußen das Bild vermittelt, die Wähler und Wählerinnen sollen wissen, wofür die hessische SPD steht, für ein gerechtes starkes Hessen. Es ist ein Wir-Gefühl entstanden, da macht es wieder Spaß, Politik zu gestalten, und wir sind durchaus auch erfolgreich …"

    Der Fraktionsmanager hechtet ans Telefon, um die nächsten Termine zu koordinieren. Nach einem Jahr hatte Schäfer-Gümbel die SPD aus Keller geholt, beschreibt ein Anhänger die Innenwirkung des bis dahin unauffälligen Hinterbänklers TSG, wie ihn seine Anhänger nennen. Manche hessischen Genossen glauben nach den sensationellen sozialdemokratischen Erfolgen bei den Oberbürgermeisterwahlen in Frankfurt am Main und Wiesbaden schon, dass Liftboy TSG sie direkt in den zehnten Stock katapultiert habe. Doch er selbst warnt vor neuerlicher Selbstüberschätzung, denn die war der Ypsilanti-SPD anno 2008 zum Verhängnis geworden.

    "Diese schwere Zeit, die die hessische SPD hinter sich hat, auch mit hohem Vertrauensverlust, die haben wir ganz sicherlich hinter uns verlassen, aber nicht vergessen. Ich glaube, dass das ein ganz wesentlicher Teil auch unserer Stärke ist, dass wir nicht versuchen, das zu verdrängen, sondern wir arbeiten damit und versuchen, aus den Erfahrungen dieser Zeit auch Vertrauen aufzubauen."

    Im Dialog, so Schäfer-Gümbels Devise. Einen Dialog der ganz eigenen Art fordern ihm die gefeuerten Mitarbeiter der pleitegegangenen Frankfurter Rundschau ab. Verantwortlich für ihre Misere machen sie neben dem Mehrheitsgesellschafter DuMont die SPD-eigene Verlagsgesellschaft DDVG, die sich nun auch noch weigere, sofortige Abfindungen zu zahlen. Gute Arbeit, von der man leben kann, steht ganz oben im Wahlprogramm der Hessen-SPD. Da kratzt es besonders an der Glaubwürdigkeit, wenn Gewerkschafter in der sozialdemokratisch eingefärbten Ex-Belegschaft der Rundschau Anklage erheben:

    "Ihre Partei war es, die in Rot-Grün die Arbeitsmarktreform durchgeführt hat, die für diese Verunsicherung sorgt und dafür sorgt, dass jetzt schon jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor arbeitet. Diese Kollegen der Frankfurter Rundschau, die hier stehen, da sind noch Kollegen dabei die 192, als das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt gelaufen ist, die Arbeit niedergelegt haben und zum Opernplatz gelaufen sind und demonstriert haben, und insofern ist die Enttäuschung riesengroß."

    Der Landeschef der Hessen SPD stellt sich der Entrüstung, kontert in stoischer Ruhe auch Beschimpfungen.

    "Ich nehm’ das alles auf, ich ducke mich da auch nicht weg, auch wenn ich da 0,0 Einfluss auf die Entscheidungen habe. Dennoch werde ich meiner Verantwortung innerhalb unserer Gremien gerecht, weiter drauf hinzuweisen, dass Sozialverantwortung nicht nur für andere gilt, sondern auch für Gesellschaften, die der SPD gehören."

    Die Lehre aus dem Ypsilanti-Debakel

    Von seiner Partei hat der SPD-Landesvorsitzende die Demonstranten mit seinem Auftritt nicht überzeugt, von seiner Person schon. Viktor Kalla, früher Betriebsratschef der Frankfurter Rundschau:

    "Er ist ein Politiker, der nicht diesem herkömmlichen Bild entspricht, das würde ich positiv bewerten, und ich glaube ihm auch, dass er betroffen ist, dadurch, und dass es nicht Schauspielerei ist. Von daher haben wir Hochachtung vor ihm, was er durchsetzen kann, wird sich zeigen."

    Das Wahlprogramm für gute Arbeit und Bildungsgerechtigkeit will Schäfer-Gümbel mit den Grünen durchsetzen. Und wenn’s dafür nicht reicht?

    "Ich will Rot-Grün, und dafür streiten wir, und damit ist auch alles gesagt."

    Das Ausweichmanöver lässt alles offen, auch eine Tolerierung oder Koalition mit der Linkspartei. Nie mehr alles ausschließen – so die Lektion, die der SPD-Spitzenkandidat aus dem Scheitern seiner Vorgängerin Ypsilanti gelernt hat.