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Tsipras in Berlin
"Diese Regierung verdient eine ehrliche Chance"

SPD-Fraktionschef Oppermann hat im DLF dafür plädiert, die griechische Regierung im Schuldenstreit weiter zu unterstützen. Man müsse den Reformwillen der Regierung Tsipras ernst nehmen. Ein Ausscheiden des Landes aus der Eurozone würde ein "politisches Desaster" für das gesamte europäische Projekt bedeuten.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.03.2015
    Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann.
    "Beide Seiten müssen sich aufeinander verlassen können", betonte Thomas Oppermann (SPD), nach dem Treffen der Bundeskanzlerin mit dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras in Berlin. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Er hoffe, die Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Merkel und dem griechischen Regierungschef Tsipras gestern in Berlin hätten neues Vertrauen aufgebaut. "Beide Seiten müssen sich aufeinander verlassen können", betonte Oppermann.

    Darüber hinaus sprach sich der Fraktionschef der SPD im Bundestag im Interview mit dem Deutschlandfunk gegen Entschädigungszahlungen an Griechenland aus. Diese Debatte gehöre nicht in die Diskussion um die Hilfen für das verschuldete Land. Trotzdem müsse Deutschland für die Verbrechen der Nationalsozialisten Verantwortung übernehmen.
    "Wir müssen alles dafür tun, das Europa zusammenbleibt"
    Das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen müsse verbessert werden, forderte Oppermann. Das Projekt "Aussöhnung" sei ein mögliches Instrument dafür. In der Vergangenheit hätte es Versäumnisse bei der Aufarbeitung des deutsch-griechischen Verhältnisses gegeben, kritisierte der SPD-Politiker.

    Am Abend hatten Tsipras und Merkel sechs Stunden lang die griechische Schuldenkrise erörtert. Regierungssprecher Seibert sagte nach dem Treffen, es habe eine umfassende Aussprache in guter und konstruktiver Atmosphäre gegeben. In wesentlichen Fragen der Schuldenkrise gab es aber offenbar keine Annäherung. Am zweiten Tag seines Besuchs in Berlin kommt Tsipras heute mit Vertretern der Opposition zusammen. Auf dem Programm stehen Gespräche mit der Linken-Vorsitzenden Kipping und Fraktionschef Gysi sowie den Parteichefs der Grünen, Peter und Özdemir.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Kaum ein Staatsbesuch ist mit so viel Spannung erwartet worden wie dieser. Alexis Tsipras, der Syriza-Ministerpräsident Griechenlands, zu Gast bei der Christdemokratin Angela Merkel, der deutschen Kanzlerin. Es hat gestern ein längeres Abendessen gegeben als Rahmen für ein längeres Gespräch dieser beiden Regierungschefs.
    Jetzt begrüße ich am Telefon Thomas Oppermann, den Fraktionschef der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag. Herr Oppermann, guten Morgen!
    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Wir haben ja gerade gehört, mit wem sich Alexis Tsipras alles trifft. Mit Ihnen nicht! Würden Sie auch gerne ein Treffen noch ausmachen?
    Oppermann: Das ist offenbar nicht vorgesehen. Aber er trifft Frank-Walter Steinmeier und damit sind dann auch alle Parteien abgedeckt.
    Grieß: Sie hatten am Wochenende, Herr Oppermann, einen glasklaren Reformwillen verlangt von der griechischen Regierung. Ist dieser Wunsch ins Griechische übersetzt worden?
    Oppermann: Ich glaube, dass es dafür auch die richtigen griechischen Vokabeln gibt. Ich glaube, das ist eigentlich unmissverständlich. Denn was wir jetzt brauchen ist natürlich eine griechische Regierung, die die Probleme im eigenen Land, die auch nur im eigenen Land lösbar sind, endlich angeht. Und ich sage, wenn diese Regierung, die das ja nach eigenem Bekunden auch vorhat, wenn die sich aufmacht, dann müssen wir sie dabei unterstützen.
    Grieß: Also brauchen wir eine neue griechische Regierung?
    Oppermann: Nein! Diese Regierung ist ja anders als die vorherigen nicht mit dem klientelistischen, zum Teil korrupten System, mit der Schattenwirtschaft in Griechenland verbunden, sondern die sind ja angetreten, das zu überwinden - nach eigener Bekundung. Und auch wenn das eine eigenartige Koalition aus linksradikalen, linkspopulistischen und rechtsradikalen Partnern ist, muss man sie doch als gewählte Regierung ernst nehmen. Und wenn die jetzt sagen, wir wollen das alte System beenden und wir wollen zu berechenbaren Verhältnissen in Griechenland kommen, wir wollen einen intakten, handlungsfähigen Staat, eine effektive Steuerverwaltung aufbauen und Korruption, Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft überwinden, dann, finde ich, ist das erst mal ein Ansatz, den wir in aller Ernsthaftigkeit von anderen Regierungen in Griechenland so noch nicht gehört haben. Diese Regierung verdient in diesem Punkt eine ehrliche Chance.
    "Wir brauchen eine Liste der Reformen"

    Grieß: Nun gibt es allerdings auch gegen einen Minister schon Korruptionsvorwürfe. Herr Oppermann, ist Ihr Misstrauen seit gestern Abend weiter gewachsen?
    Seitliche Aufnahme von Panos Kammenos' Gesicht, sprechend, kräftiger Mann im Anzug.
    Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos steht unter Korruptionsverdacht. (JOHN THYS / AFP)
    Oppermann: Nicht wegen dieses einen Falles. Wir werden abwarten, was sich dahinter verbirgt. Es gibt natürlich noch mehr Punkte, die man anführen könnte, ob wirklich Herr Kammenos und seine Partei, die ja eigentlich eine Abspaltung von der Nea Dimokratia sind, ob die nun wirklich auch vorhaben, die Probleme in Griechenland zu überwinden, das bleibt alles abzuwarten. Aber jetzt geht es erst mal darum, dass konkrete Dinge gemacht werden müssen. Wir brauchen eine Liste der Reformen.
    Grieß: Wie lange wollen Sie auf die eigentlich noch warten?
    Oppermann: Nun glaube ich, dass Herr Tsipras, wenn er sie gestern nicht vorgelegt hat, zu dieser Zeit sie doch im Kopf haben wird. Das muss jetzt in der Eurogruppe vorgelegt werden, das wird bewertet und dann werden wir sehen, ob diese Reformen ernsthaft sind und ob sie helfen, die griechische Misere zu überwinden.
    "Alles dafür tun, dass Europa zusammenbleibt"
    Grieß: Jetzt war gestern sehr viel von deutsch-griechischem Geist und Freundschaft die Rede. Die Kanzlerin hat noch einmal betont, dass jedes Land in der Eurogruppe gleichberechtigt sei. Das kann ja eigentlich nur heißen, dass es einen Kompromiss geben muss, bei dem sich und für den sich auch Deutschland bewegen muss und wird. An welchen Stellen?
    Oppermann: Erst mal ist tatsächlich wichtig, dass dies nicht in erster Linie ein Konflikt zwischen Deutschland und Griechenland ist, sondern die Aufstellung muss heißen "Griechenland und Europa". Es geht darum, ob Griechenland weiter die Solidarität der Eurozone bekommt, das heißt weiter finanzielle Mittel bekommt, um die derzeitige Phase überstehen zu können und dann auch die Reformen tatsächlich angehen zu können. Das steht auf der Tagesordnung. Und deshalb sagen wir auch noch mal ganz deutlich: Wir müssen die Probleme innerhalb der Eurozone suchen. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wäre ein politisches Desaster nicht nur für die Eurozone, sondern für die ganze Idee von Europa, gerade auch mit Blick auf die vielen internationalen Krisenherde um uns herum. Da müssen wir alles dafür tun, dass Europa zusammenbleibt.
    Grieß: Wäre ein Desaster, wäre aber ein denkbares Desaster?
    Oppermann: Natürlich kann man das nicht ganz ausschließen. Es liegt zuerst bei der griechischen Regierung, ob sie die Voraussetzungen erfüllt, um in der Eurozone zu bleiben. Und das setzt voraus, dass die Vereinbarungen, die jetzt getroffen werden, dann auch tatsächlich eingehalten werden. Das setzt ein Minimum an Vertrauen voraus. Ich hoffe, dass das gestern zwischen der Kanzlerin und Herrn Tsipras entstanden ist. Man braucht ja, auch wenn man politisch weit auseinander ist, doch mindestens ein gemeinsames Verständnis von den Problemen und beide Seiten müssen sich aufeinander verlassen können. Wenn Herr Tsipras sagt, das machen wir jetzt, dann müssen wir auch darauf vertrauen können, dass er das macht und nicht am nächsten Tag ein Minister seiner Regierung das Gegenteil behauptet.
    "Wir müssen die Aussöhnung voranbringen"
    Der neue griechische Premier Tsipras legt während einer Zeremonie in Kessariani Blumen an einem Denkmal nieder, das an erschossene Widerstandskämpfer während der Besatzung Griechenlands durch die Nationalsozialisten erinnert.
    Premier Tsipras legt während einer Zeremonie in Kessariani Blumen an einem Denkmal nieder, das an erschossene Widerstandskämpfer während der Besatzung Griechenlands durch die Nationalsozialisten erinnert. (AFP Photo / Intime News / Chalkiopoulos Nikos)
    Grieß: Aber ich höre heraus, dass Sie da wenig gehört haben gestern, das dieses Vertrauen stärkt. - Herr Oppermann, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie sich vorstellen können, dass sich Deutschland bewegt im Punkt Reparationen/Zwangsanleihe.
    Oppermann: Wir sind uns sicher darüber einig, dass diese Debatte nicht in die Diskussion um griechische Beihilfen im Rahmen der Schulden- und Finanzkrise gehört. Das war ein Fehler, der da gemacht worden ist. Gleichwohl: Diese Verbrechen der nationalsozialistischen Besatzungsmacht, dafür müssen wir Verantwortung übernehmen, und zwar unabhängig von der Frage, ob Reparationen gezahlt wurden oder ob es Rechtsansprüche auf Reparationen gibt. Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, dass das rechtlich und politisch geklärt ist. Gleichwohl: Wir müssen etwas tun, …
    "Versäumnisse bei der Aufarbeitung des deutsch-griechischen Verhältnisses"
    Grieß: Was denn?
    Oppermann: …, um das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen zu verbessern, die Aussöhnung voranzubringen. Ich glaube, diese Grausamkeiten der Nationalsozialisten in Griechenland, die stehen immer noch zwischen den Deutschen und den Griechen, und deshalb sind wir bereit, etwas dafür zu tun. Das Projekt "Aussöhnung", die Stiftung "Zukunft" ist ein mögliches Instrument, mit dem wir die Arbeit der Verbesserung unserer Beziehungen voranbringen können.
    Grieß: Warum tut sich Deutschland so schwer mit Gesten bei diesem Thema? Warum tut sich Deutschland so schwer, Griechenland so zu behandeln wie andere Länder auch, die unter der NS-Herrschaft massiv gelitten haben, wie etwa Polen?
    Oppermann: Das kann ich Ihnen auch nicht genau erklären. Aber ich glaube, es gibt in der Vergangenheit Versäumnisse bei der Aufarbeitung des deutsch-griechischen Verhältnisses. Das war ja immer wieder auch mal Thema ganz unterschiedlicher Regierungen. Ich glaube, jetzt ist aber erkannt worden, auch durch die umfassende Berichterstattung über das, was während der Besatzungszeit in Griechenland passiert ist, dass wir auf diesem Gebiet etwas tun müssen. Es wird keine Reparationen geben, es wird keine Entschädigungszahlungen geben, aber es wird jetzt verstärkte Aktivitäten geben, um die Zukunft dieser beiden Länder zu sichern, um die Menschen, die Deutschen und die Griechen wieder stärker zusammenzubringen.
    Grieß: Wenn Sie sagen, Herr Oppermann, dass es falsch war, die Schuldenkrise mit dieser Frage nach Reparationen und historischer Schuld zu vermengen, kann es dann eine gute Geste sein, mit dieser Geste zügig bei der Hand zu sein?
    Oppermann: Nun würde ich jetzt sie in jeder Hinsicht erst mal von der derzeitigen Debatte trennen. Wir sollten jetzt mal überlegen, was wir machen, und es dann zu einem richtigen Zeitpunkt auch auf den Weg bringen.
    Grieß: Danke schön, sage ich für dieses Interview, an Thomas Oppermann, den SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag. Herr Oppermann, danke schön für das Gespräch!
    Oppermann: Ich danke auch. Guten Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.