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TTIP
"Regionale Siegel sind bedroht"

In der Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP hat der Verbraucherzentrale Bundesverband vor einer Abschaffung der Herkunftsbezeichnungen für regionale Spezialitäten gewarnt. Produkte wie Schwarzwälder Schinken oder Lübecker Marzipan müssten eindeutig definiert sein, sagte Verbandschef Klaus Müller im Deutschlandfunk. Verbraucher sähen in regionalen Waren auch ein Stück Heimat.

Klaus Müller im Gespräch mit Thielko Grieß | 06.01.2015
    Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen
    Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (dpa / picture alliance / Daniel Naupold)
    Der Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband stellte zugleich klar, dass die derzeitigen Regeln in der EU zum Schutz von Regionalprodukten missverständlich seien. Bisher existierten mehrere Gütesiegel nebeneinander, sagte Müller. Durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA seien regionale Siegel umso mehr bedroht.
    Müller sprach sich dafür aus, den Schutz von Waren aus bestimmten Regionen zunächst innerhalb der Europäischen Union zu verbessern. Dann könne man ihn auch im Rahmen des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP bewahren, sagte er.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Ende des Jahres soll das Handels- und Investitionsabkommen mit den USA unter Dach und Fach gebracht werden. TTIP lautet die Abkürzung, es ist eines der am heißesten und emotional diskutierten Themen des letzten Jahres gewesen. Nun hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt darauf aufmerksam gemacht, dass demnächst regionale Spezialitäten wie Schwarzwälder Schinken oder fränkischer Bocksbeutel nicht mehr unbedingt aus deutschen Landen, sondern auch aus Missouri, Arkansas oder Texas kommen könnten. Thielko Grieß sprach gestern Abend darüber mit Klaus Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.
    Thielko Grieß: Aus welcher Gegend kommen Sie ursprünglich und welche regionale Spezialität gibt es dort?
    Klaus Müller: Ich komme ursprünglich aus dem Bergischen Land, oder wenn Sie das so wollen aus dem Rheinland, und da fällt einem natürlich immer zuerst das Kölsch ein. Als Köln-Freund kennt man das gut.
    Grieß: Warum sind die Regeln so lax, dass beim Kölsch zum Beispiel die Gerste nicht in der Nähe des Doms angebaut werden muss?
    Müller: Weil wir natürlich hier ganz unterschiedliche Interessen haben, und die Interessen haben sich leider auch in diesem Wirrwarr an Siegeln und Kennzeichnen in der Europäischen Union durchgesetzt. Das heißt, wir kennen allein drei verschiedene Kennzeichen, wo wahrscheinlich noch nicht mal die Experten wirklich durchblicken, was ist wann wo produziert, was kommt woher und worauf kann man sich wirklich verlassen. Trotzdem: Für die Verbraucher ist es wichtig, in der globalisierten Welt, auch Lebensmittelwelt ein bisschen Heimat wiederzufinden und darauf sich eigentlich auch verlassen zu können.
    "Deutschland könnte hier ein Motor sein"
    Grieß: Aber auf dieses System, so wie es gerade existiert, kann sich der Verbraucher ja nun gar nicht verlassen.
    Müller: Solange man das System nicht wirklich intuitiv, das heißt, irgendwie aus dem ff heraus verstehen kann, nein, dann ist das richtig schwierig. Hier hätte die Europäische Union guten Grund nachzubessern und Deutschland könnte hier ein Motor sein.
    Grieß: Dann können wir ja den Verhandlungen, den TTIP-Verhandlungen, den Freihandelsabkommen-Verhandlungen dankbar sein, dass sie auf diesen wunden Punkt hinweisen.
    Müller: Nein, nein. Es gibt zwei unterschiedliche Dinge, die man trennen muss. Das eine ist: Wenn das Freihandelsabkommen kommt, gibt es gerade einen Bedarf an mehr Orientierung, an mehr Verlässlichkeit. Das heißt, sowohl die Amerikaner wollen wissen, was ist kalifornischer Wein - der kommt dann auch nur aus Kalifornien - und was ist die berühmte Rostbratwurst aus Thüringen oder das Lübecker Marzipan oder die Aachener Printen. Man muss sich darauf verlassen können und insofern wäre es wichtig, wenn die Europäische Union ihre Hausaufgaben macht, bevor sie das Freihandelsabkommen verhandelt, nämlich zuerst eindeutig klärt, wo sind regionale Produkte drin, wo steht's drauf.
    Grieß: Sie halten es für wichtig - gehen wir jetzt mal vom Kölsch weg, weil unter Umständen interessiert das außerhalb von Köln dann doch wieder keinen -, zum Beispiel den Schwarzwälder Schinken. Die Schweine dürfen ja etwa aus Niedersachsen kommen, also sozusagen plattdeutsch gesprochen haben vorher. Das halten Sie für einen Systemfehler. Da soll die EU ihre Hausaufgaben machen?
    Müller: Das ist genau richtig. Wenn Sie dieses Produkt nehmen, dann handelt es sich hier um eine geschützte geografische Angabe. Das heißt, nur eine einzige Produktionsstufe von der Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung muss in diesem bestimmten Gebiet stattfinden, und insofern haben wir hier tatsächlich das Problem, dass falsche Erwartungen geweckt werden, weil die Verbraucher sich eigentlich darauf verlassen wollen, dass das, was sie auf der Packung sehen, tatsächlich auch eingehalten wird, und das ist hier leider nicht der Fall.
    "Die regionalen Siegel sind hier unter einer Bedrohung"
    Grieß: Das ist die Forderung. Aber halten Sie das für realistisch? Die norddeutschen Schweinemäster sind groß und mächtig und gut organisiert. Die werden sich doch dieses Geschäft nicht nehmen lassen wollen.
    Müller: Nein. Das war ja auch genau die Kontroverse in der Vergangenheit. Insofern kann es vielleicht wirklich sein, dass TTIP hier ein bisschen was Gutes hätte, weil wenn man sich tatsächlich darauf einigen muss, dass die Dinge, die schützenswert sind, auch wirklich ernst gemeint sind und nicht so einem leichten Schmu hinterliegen, wenn das der notwendige Druck ist, wenn das die Europäische Union bisher nicht von alleine geschafft hat, dann könnte man dem Ganzen dankbar sein. Das Problem ist, das ist ja nicht das Interesse der Amerikaner. So wie wir den Bundeslandwirtschaftsminister am Wochenende verstanden haben, wäre es ja im Interesse der Amerikaner, dass auch sie aus Texas zum Beispiel Schwarzwälder Schinken importieren könnten, oder aus Michigan irgendwelche besonderen Käsespezialitäten, holländischen Gouda zum Beispiel aus Michigan in den USA. Das kann es ja auch nicht sein. Das heißt, die regionalen Siegel sind hier unter einer Bedrohung: einmal aus dem Schlendrian, wie wir ihn in der EU bisher haben, und womöglich ganz anderen Interessen aus den USA.
    Grieß: Die regionalen Siegel, das haben wir jetzt ja gerade schon besprochen, sollten ja eigentlich klar und verständlich sein. Dahinter steht dann aber manchmal doch etwas anderes. Halten Sie es für möglich, dass sich die Europäische Union - denn um die geht es ja am Ende und eben nicht nur um das Klein-Klein zwischen dem Schwarzwald und der norddeutschen Tiefebene - sich durchringt, diese regionalen Siegel zu reformieren, um sie zu erhalten?
    Müller: Ich glaube, dass wir Dynamiken erleben werden, die ich mir, die Sie sich, die vielleicht auch die Betroffenen selber noch gar nicht ausmalen können, weil ich glaube, wir rütteln hier an etwas sehr, sehr wichtigem für die Menschen: an das Heimatgefühl. Und wir wissen, dass je globalisierter die Welt wird - und das Freihandelsabkommen wird dazu ja noch mal beitragen -, dass sie dann einen Ausgleich suchen, dass das, was in der großen weiten Welt an Warenvielfalt auf sie einströmt, für sie dann beherrschbar wird, wenn sie auch ein bisschen Heimat wiederfinden. Und ich glaube, die Meldung vom Wochenende hat jetzt sehr, sehr viele Landwirte, Einzelhändler, aber auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher wach gerüttelt: Moment, da geht uns was verloren, wenn TTIP käme, wenn wir es vorher nicht ganz sauber und klar präzise regeln. Diese Dynamik könnte noch sehr interessant werden.
    Meurer: Der Vorsitzende der Verbraucherzentrale Bundesverband, Klaus Müller, im Gespräch mit Thielko Grieß über die Frage, ob regionale Spezialitäten im Zeitalter von TTIP noch en vogue sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.