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TU Darmstadt
Späte Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit

Während der NS-Zeit wurden an deutschen Hochschulen Hunderte jüdische oder politisch missliebige Studierenden und Doktoranden zwangsexmatrikuliert. Die Aufarbeitung der Verstrickung der Hochschulen in die NS-Politik hat lange gedauert - wie das Beispiel der TU Darmstadt zeigt, die die Akademiker nun wieder rehabilitiert.

Von Ludger Fittkau | 27.01.2015
    Rotes Schild mit der Aufschrift "Technische Universität Darmstadt" vor einem großen Gebäude.
    Der Kanzler der TU rehabilitierte Darmstädter Studierende, die während der NS-Zeit aus rassischen oder politischen Gründen exmatrikuliert worden waren. (dpa/picture alliance/Frank May)
    "Die aus rassisch oder politischen Gründen während des Nationalsozialismus durchgeführten Aberkennungen erkläre ich damit für ungültig."
    Manfred Efinger, Kanzler der TU Darmstadt, vor wenigen Tagen während einer feierlichen Veranstaltung auf dem Campus. Er rehabilitiert Darmstädter Studierende, die während der NS-Zeit aus rassischen oder politischen Gründen exmatrikuliert worden waren. Und Wissenschaftler, denen ihre Dissertationen oder Ehrensenator-Titel aberkannt wurden.
    "Mit der öffentlichen Verlesung der Namen rufen wir die Opfer von Unrecht wieder in das Gedächtnis der TU Darmstadt zurück und nehmen sie symbolisch wieder in die akademische Gemeinschaft auf."
    Es geht um Angehörige der Darmstädter Hochschule, die bis heute vergessen waren. Dass sie erst jetzt als Nazi-Opfer anerkannt werden, berührt TU-Kanzler Manfred Efinger hörbar:
    "Allein im Fall von Karl Mayer geht aus den Akten hervor, dass dieser sich 1949 an die Hochschulleitung wandte und um Rückgabe seines Ehrensenator-Titels bat. Hier lud die TH Darmstadt ein zweites Mal Schuld auf sich. Sie verweigerte die Rückgabe. Vorrang hatten die Befindlichkeiten anderer Darmstädter, noch Lebender, die sich dagegen aussprachen."
    An vielen Hochschulen fand bis in die 1970er-Jahre hinein keine systematische Aufarbeitung der Verstrickungen in den NS-Staat statt. Das unterstrich bei der Darmstädter Veranstaltung der renommierte Historiker Christof Dipper. Der Grund: Erst zu diesem Zeitpunkt verließen viele Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter endgültig ihren Arbeitsplatz, die noch selbst während der Nazi-Zeit an Unrechtshandlungen der Hochschulgremien beteiligt gewesen waren. Und deswegen kein Interesse an der Aufarbeitung hatten. Christof Dipper:
    "Wir finden deswegen die erste kritische Selbsterforschung einer Universität am Beispiel Tübingen im Jahre 1977."
    Mitarbeit an Hitlers "Wunderwaffe"
    Die Technischen Universitäten begannen noch später mit der Aufarbeitung ihrer Nazi-Geschichte als nicht-technische Unis wie Tübingen. Christof Dipper nennt einen simplen Grund: Es fehlten an den TUs lange Zeit einfach die historischen Lehrstühle, die das leisten konnten.
    "Die Aachener brauchten auch einige Zeit, 2003 gibt es die erste wirklich kritische Darstellung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Und den Sprung über die Zäsur 1945 machte 2011 die ursprüngliche Technische Hochschule Hannover, die sich mittlerweile längst als Universität versteht."
    In den vergangenen fünf Jahren arbeitete schließlich auch die TU Darmstadt ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus auf - genauso wie die Frage, was mit Tätern und Opfern nach 1945 geschah. Dabei wurde deutlich: Darmstadt war die deutsche Hochschule, die sich in einem Akt der "Selbstmobilisierung" am Stärksten bei der Entwicklung von Hitlers "Wunderwaffe" engagierte - dem V2-Raketenprojekt der Nazis in Peenemünde. Das zeigt die Historikerin Melanie Hanel in ihrer Dissertation:
    "Damit war die TU Darmstadt mit weit über 90 Mitarbeitern beziehungsweise Absolventen die größte universitäre Gruppe, die in diesem Projekt mitgearbeitet hat."
    Diese Verstrickung in die NS-Rüstungsproduktion sowie die Ausgrenzung jüdischer oder politisch unliebsamer Hochschulangehöriger wurde von der TH Darmstadt nach dem Krieg weitgehend verdrängt - wie an den meisten anderen Hochschulen auch. Wie das genau geschah, erforscht die Darmstädter Historikerin Isabel Schmidt:
    "So beschrieb sich die TH Darmstadt stets als handlungsunfähiges Opfer, das von den Nationalsozialisten unterdrückt wurde. Die Professoren, so die vereinbarte Erzählweise, waren gezwungen worden, sich an den Forschungen zu beteiligen. Dass die Hochschule sich während des Nationalsozialismus freiwillig in die Kriegsforschung einbrachte, sich somit selbst mobilisierte und davon gewinnbringend profitierte, war sehr rasch vergessen."
    Genauso vergessen wie die Opfer. Doch an die wird jetzt in Darmstadt mit den Ergebnissen des Forschungsprojektes "TH Darmstadt und Nationalsozialismus" erinnert. Mit viel Schmerz - weil es im Grunde viel zu spät ist.