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TU Ilmenau
Modellversuch Diplom für Ingenieure

Der deutsche Diplomingenieur war und ist ein Markenzeichen in der Welt: für solide Ausbildung und breite Verwendbarkeit. Mit dem Bologna-Prozess wurde er zugunsten von Bachelor und Master teilweise abgeschafft. Die TU Ilmenau plant nun in einem Modellversuch seine Wiedereinführung, parallel zum jetzigen System.

Von Henry Bernhard | 21.04.2016
    Farbofoto, offizieller Pressetermin, Regierungsmedienkonferenz 2016 in Thüringen mit Rektor Peter Scharff, Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, Finanzministerin Heike Taubert, Linke-Landtagsabgeordneter Bodo Ramelow
    Rektor Peter Scharff (links außen) und Wissenschaftsminister Tiefensee (2. v.l.) begrüßen den Modellversuch, denn sie sind selbst Diplomingenieure. Mit Finanzministerin Heike Taubert und Linke-Abgeordnetem Bodo Ramelow) (imago/Jacob Schröter)
    Die Ilmenauer Technische Universität hat einen hervorragenden Ruf. Eine kleine, aber feine Hochschule: Nur 6.000 Studenten, persönlicher Kontakt zu den Professoren garantiert. Über die Hälfte der Studenten kommt, anders als an den meisten Ost-Unis, aus dem Westen oder dem Ausland. Die Studenten machen wie überall ihren Bachelor und ihren Master – in den Ingenieurwissenschaften ziehen 90% von ihnen das Studium komplett durch. Ein Ansatzpunkt für die Hochschulleitung zu sagen: Eigentlich brauchen wir nicht zwei aufeinanderfolgende Studiengänge, sondern nur einen. Der Prorektor, Jürgen Petzoldt:
    "Deswegen haben wir schon immer laut nachgedacht über die Einführung einzügiger Masterstudiengänge, die ja auch erlaubt sind, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, und genau das passiert jetzt eigentlich. Und der Abschluss "Diplom" ist dabei natürlich ein Nebeneffekt, den wir als Modellversuch ausprobieren wollen, natürlich unter der Maßgabe, dass die Äquivalenz zwischen Master und Diplom immer erhalten bleiben wird."
    Konkret geht es um die Studiengänge Maschinenbau, Elektrotechnik und Ingenieurinformatik. Im zweisemestrigen Grundstudium seien ohnehin alle Studenten vereint, erst danach will die TU in Beratungsgesprächen die Studenten in den jeweils für sie richtigen Ausbildungsweg vermitteln.
    Weniger Verschulung, mehr Eigenständigkeit im Diplom
    "Und wer sich für den Diplomzweig entscheidet: Dort stellen wir uns vor, dass wir viel mehr Eigenaktivität seitens der Studenten ermöglichen wollen, aber auch seitens der Professoren, indem wir dort die Vorstellung haben, dass man dort ein Hauptfach/Nebenfach-Modell fährt, wo wir uns vorstellen, dass das Nebenfach völlig frei studierbar ist – nicht nur bei uns in Ilmenau, sondern an allen Hochschulen der Welt. Das heißt: mehr Eigenaktivität, mehr Selbstgestaltung für das Studium."
    Weniger Verschulung als im Bachelor/Master-System lautet wohl der Subtext dazu. Ein Modellversuch soll es zunächst sein, die Details sind noch nicht ausgearbeitet. Aber unter den Studenten regt sich Widerstand. Der Studierendenrat lehnt die Pläne rundweg ab. Überraschend, denn früher wollten Studenten die Diplom-Studiengänge erhalten, weil der deutsche Diplom-Ingenieur einen so guten Ruf habe. Die Hochschulpolitische Referentin im Studierendenrat, Franziska Chuleck:
    "Kapazitäten – Lehrraumplanung beispielsweise, dass wir jetzt schon Schwierigkeiten sehen, dass Vorlesungen nicht überschneidungsfrei geplant werden, und auch Prüfungsverwaltung, die Prüfungsämter, das wird unglaublich schwer. Außerdem ist es so, dass die TU Ilmenau systemakkreditiert ist, und Diplomstudiengänge sind nicht akkreditierbar; da sehen wir auch unsere Systemakkreditierung in Gefahr."
    Modellprojekt muss noch genehmigt werden
    Außerdem wäre die Wiedereinführung eines Diplomstudiengangs ein Rollback in die Zeit vor den Bologna-Reformen, der die Mobilität nicht wie geplant verbessern, sondern verschlechtern würde. Alle Verbesserungen, die man vorhabe, könne man auch den Bachelor/Master-Studiengängen angedeihen lassen. Diplom-Absolventen hätten später geradezu einen Nachteil auf dem Arbeitsmarkt. Der Prorektor Jürgen Petzoldt sieht das entspannter.
    "Das sehen wir und auch meine Senatoren nicht ganz so verbissen; das Diplom ist noch bekannt; das Diplom ist ein gewisses Markenzeichen, vor allem hier in Mitteleuropa. Wir wurden auch gefragt, "Warum habt ihr das abgeschafft?", aus dem Ausland heraus. Und wir wollen natürlich auch diese Äquivalenz zum Master nach wie vor bescheinigen, so wie wir das auch umgekehrt getan haben."
    Noch harrt das Modellprojekt im zuständigen Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium in Erfurt der Genehmigung. In Ministeriumskreisen munkelt man jedoch, dass die als ausgemachte Sache gilt, weil sich Minister Wolfgang Tiefensee und TU-Rektor Peter Scharff – beides Diplomingenieure – einig seien. Ansonsten soll sich die Begeisterung über die Pläne im Ministerium arg in Grenzen halten.