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Tue Gutes füreinander und sprich nicht drüber

Zwei Mal im Jahr kommt zum politischen Gedanken-Austausch der christdemokratische Leichlinger Kreis zusammen. Es gibt weder Satzung, Vorsitzende oder eine genaue Mitgliederzahl. Und obwohl dem Zirkel einige CDU-Größen angehören, wird die Öffentlichkeit gemieden.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 04.08.2011
    Der Duft von gebackenen Waffeln zieht schon durch das Treppenhaus. Im Schankraum steht Birgit Witprächtiger vor einem runden Esstisch und gießt mit einer Kelle Öl auf das Waffeleisen. In wenigen Minuten treffen hier im Bürgerhaus einige prominente CDU-Politiker ein – für Frau Witprächtiger ist das kein Grund zur Aufregung:

    "Nö. Für mich sind das ganz normale Menschen. Begrüßen einen alle, sind alle sehr nett, ist jetzt für mich nichts Besonderes ..."

    Das Leichlinger Bürgerhaus ist eine alte Fabrikantenvilla aus dem 19. Jahrhundert, mit knarrenden Holz-Dielen und hohen Decken. Der örtliche Gospelchor probt regelmäßig im Salon nebenan und zwei Mal im Jahr kommt zum politischen Gedanken-Austausch der christdemokratische Leichlinger Kreis zusammen, darunter so illustre Persönlichkeiten wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen, Kanzleramtschef Ronald Pofalla oder auch Generalsekretär Hermann Gröhe, der bei seiner Ankunft freundlich lächelnd erklärt, warum der Leichlinger Kreis um Diskretion bemüht ist:

    "Das ist wichtig, dass es Bereiche gibt, wo man sich austauschen kann, ohne dass man bei jedem Satz überlegt, möchtest Du den morgen irgendwo in der Zeitung lesen."

    Der Zirkel meidet die Öffentlichkeit. Ob denn dieser Radiobeitrag unbedingt sein müsse, so die erste Reaktion auf die Interviewanfrage. Der Leichlinger Kreis hat keine Rituale. Auch keine Satzung, keinen Vorsitzenden und keine genaue Mitgliederzahl. Als Freundeskreis wollen sich die Mitglieder präsentieren. Zoff, so versichern sie an diesem Nachmittag alle, gebe es fast nie bei ihren Treffen, und es werde auch nicht etwa bis tief in die Nacht gezecht, im Gegenteil. Der Leichlinger Kreis tagt ohne Alkohol, serviert werden nur Kaffee und Wasser ...

    "Also, einfach ein gemütlicher Nachmittag, weil's am einfachsten war, sich sonntags nachmittags zu treffen, denn da sind die wenigsten Termine."

    Herbert Reul ist der Gründer des Leichlinger Kreises, den er kurzerhand nach seinem Wohnort benannt hat. Das war damals in den achtziger Jahren, als es in der Jungen Union Rheinland Krach zwischen den Konservativen und den Modernisierern gab. Die "eher Fortschrittlichen", wie Reul das nennt, taten sich dann zusammen und gründeten ihren Bund:

    "Es ist kein Geheimbund. Es ist nichts Geheimnisvolles. Es weiß jeder, dass es uns gibt. Und es gibt ja auch keine böse oder wichtige oder große strategische Bedeutung, die dahinter steckt."

    Herbert Reul: ehemals Generalsekretär der NRW-CDU, jetzt Europaparlamentarier in Brüssel. Nach wie vor pflegt er gute Kontakte bis nach Berlin. Aber an die große Glocke hängen will Reul das nicht. Und auch den Leichlinger Kreis beschreibt er so derartig bescheiden, dass es schon wieder auffällig ist:

    "Was sind Seilschaften? Wenn es heißt, man kennt sich, man schätzt sich. Und wenn mal einer in Schwierigkeiten ist, dann hilft man sich auch. Aber wenn Seilschaften heißt, Karriere planen und gemeinsam organisieren, dann würde ich sagen, das haben wir nie gemacht."

    Tue Gutes füreinander und sprich nicht drüber, dieser Grundsatz gilt auch für die Mitglieder des Leichlinger Kreises.


    Norbert Röttgen und Ronald Pofalla sind an diesem Sonntagnachmittag verhindert, aber Armin Laschet, stellvertretender CDU-Oppositionschef im Düsseldorfer Landtag ist nach Leichlingen gekommen. Hauptsache dabei sein – eine Frage der Ehre?

    "Ob für den Generalsekretär der CDU das noch eine Ehre ist, oder für den Bundesminister oder andere, das weiß ich nicht, aber der Zusammenhalt ist halt gerade wegen der langen Zeit da und da spielts auch keine Rolle, ob einer einfacher Delegierter oder Bundesminister ist. Man ist hier von gleich zu gleich, und das ist das Schöne."

    Alle seien sie miteinander auf Augenhöhe, aber ob die Presse die Kaffeetafel sehen darf, das möchte Armin Laschet dann doch nicht allein entscheiden:

    "Ja, das muss der Reul entscheiden, das kann ich ja schlecht ... ."

    Armin Laschet eilt davon, holt sich die Erlaubnis und kommt dann winkend zurück. Von wegen Kaderschmiede, Geheimbund, Seilschaften – Herbert Reul ist emsig darum bemüht, die Harmlosigkeit seines Kaffeekränzchens zu unterstreichen, und der Gesprächsstoff für diesen hochsommerlichen Sonntagnachmittag stehe auch noch gar nicht fest:

    "Kann ich jetzt gar nicht sagen. Das wird man ja sehen. Es gibt ja keine Tagesordnung, wenn man sich so trifft."

    Dabei passiert in der CDU gerade einiges, mit dem Herbert Reul gar nicht zufrieden ist. Atomausstieg, Schulpolitik, Bundeswehrreform – die Union müsse aufpassen, ihren Markenkern nicht zu verlieren, sie müsse Volkspartei bleiben und dürfe nicht jedem modernen Thema hinterherlaufen:

    "Ich bin betroffen davon, dass wir über wichtige politische Fragen in der Partei zu wenig diskutieren, sondern die von oben verordnet werden. Das war mal anders gedacht. Und ich bin unsicher, ob die Entscheidung, die wir in der einen oder anderen Frage treffen, wirklich durchdacht ist bis zum Ende in ihren Auswirkungen."

    Das sei seine ganz persönliche Kritik, betont der 58-Jährige – nicht dass es hinterher heißt, der Leichlinger Kreis habe Angela Merkel kritisiert. Unwirsch wischt Herbert Reul alle Fragen nach der Bundesvorsitzenden beiseite:

    "Das interessiert die wahrscheinlich auch gar nicht. Und wenn, mit mir hat die noch nie darüber geredet, und ich glaube, mit den anderen auch nicht. Warum auch? Es ist ein Kreis von Freunden, der sich treffen kann, und wenn wir das alles anmelden müssen in der Partei, dann muss ich sagen, das wäre eine Partei, da würde ich sofort austreten."

    Kurz bevor die Kaffeetafel beginnt, möchte Armin Laschet jetzt aber schnell noch das Buffet zeigen – er kommt gerade auf die Schinken-Stullen zu sprechen, als Herbert Reul noch ein letztes Mal um Diskretion bittet:

    "Jetzt verrat mal nicht so viele Geheimnisse ... "

    Dann fällt die schwere Holztür zum Salon im Bürgerhaus zu, und in aller Verschwiegenheit zieht sich der Leichlinger Kreis zurück.