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Tübingen
Die erste kommunale Verpackungssteuer kommt

Als erste deutsche Kommune führt Tübingen eine Verpackungssteuer ein: 50 Cent pro Becher und Teller und 20 Cent pro Besteck-Set fallen künftig an. Dadurch soll die Vermüllung der Stadt eingedämmt werden. Doch die kommunale Verpackungssteuer könnte schon bald überflüssig werden, sagen Verpackungssteuer-Gegner.

Von Thomas Wagner | 31.01.2020
Coffee-to-go-Becher auf dem Boden
Wer in Tübingen einen Kaffee im Pappbecher kauft, muss bald 50 Cent Verpackungssteuer darauf zahlen (picture alliance/dpa - chromorange/Christian Ohde)
Es geht um die vielen "Berge" mitten in Tübingen.
"Die Abfallberge in Tübingen…da sollte man schauen, dass man das vermeidet, in dem man vielleicht weniger Müll produziert."
"Ich finde auch, dass man einfach unnötige Verpackungen einspart."
Stimmen aus der Fußgängerzone rund ums Rathaus der Stadt Tübingen. Innendrin, im Rathaus, fasst der Gemeinderat kurze Zeit später einen Beschluss, der, wenn alles gut geht, die Abfallberge zukünftig dahin schmelzen lassen soll.
"Ich freue mich, dass wir in Tübingen als der ersten Stadt in Deutschland einen Anlauf unternehmen, dem To-Go-Unfug einen Riegel vorzuschieben."
Und zwar, so Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer, durch die bundesweit erste kommunale Verpackungssteuer, die der Gemeinderat gestern Abend mehrheitlich beschlossen hat. Betroffen sind Betriebe, die To-Go-Angebote bereithalten, also beispielsweise den Kaffee im Einwegbecher, den Burger in der Pappbox, die Pizza im Pappkarton.
50 Cent Steuer auf Becher
"Die Verpackungssteuer von 50 Cent für Becher und Teller und 20 Cent für jedes Besteck-Set fällt immer dann an, wenn ein Betrieb Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr im Stadtgebiet verkauft. Die Klagen über die Vermüllung der Stadt, die Kosten für die Entsorgung des Mülls und die Zahl der Mülleimer – alles wurde immer mehr. Und der Grund ist die To-Go-Kultur, die sich überall ausbreitet: Zwei Minuten benutzen und dann wegwerfen – und wir haben gesagt: Das muss aufhören, in dem wir das Wegwerfen besteuern."
Der entsprechende Gemeinderatsbeschluss, in der Nacht mit 25 zu 14 Stimmen beschlossen, kam allerdings erst im zweiten Anlauf zustande: Bereits im Oktober stand das Thema auf der Tagesordnung.
Dann die Frage: Darf eine Stadt wie Tübingen überhaupt eine solche Steuer erheben? Ein Rechtsgutachten musste her, in dem nun steht: Die entsprechende kommunale Satzung widerspricht weder Bundesrecht noch entsprechenden EU-Richtlinien. Eine wichtige Entscheidungsgrundlage, war doch die Stadt Kassel im Mai 1998 mit ihrem Entwurf einer kommunalen Verpackungssteuer seinerzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Bunte Trinkhalmen und Plastiklöffel
Einweg-Plastik-Verbot / "Wir brauchen eine deutliche Verteuerung von Kunststoff"
Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe hält das EU-weite Verbot von Einweg-Plastik zwar für einen richtigen ersten Schritt. Es fehlten aber noch entscheidende Maßnahmen, um die Abfallberge zu verkleinern, sagte er im Dlf.
Mittlerweile habe sich aber die Rechtslage geändert, hieß es gestern Abend im Tübinger Gemeinderat. Dort ging dem Beschluss zur Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer allerdings eine überaus kontroverse Debatte voraus.
"Wir wollen genau das gleiche Ziel erreichen: Natürlich muss man’s eindämmen", so Ernst Gumrich, Fraktionssprecher der bürgerlich geprägten "Tübinger Liste", die gegen die neue Steuer stimmte. Denn eine neue bundesweite Steuer auf Einwegverpackungen, die bereits angekündigt sei, werde die neue Tübinger Verpackungssteuer schon bald überflüssig machen.
"Die bundesweite Regelung kommt. Svenja Schulze hat in jedem Interview gesagt: Ich werde eine Steuer erheben auf die Verpackungsmaterialien. Dann bleiben Herrn Palmer mit seiner jetzt beschlossenen Steuer nur noch die Holzlöffel und die Holzstäbe, weil, alles aus Plastik fällt dann unter die Bundessteuer. Es passiert ja."
Es passiert eben nicht, so das Gegenargument von Oberbürgermeister Palmer gestern in der Gemeinderatssitzung. Denn eine Nachfrage beim Bundesumweltministerium habe ergeben: Es gebe für ein entsprechendes bundesweites Gesetz bislang nicht einmal einen Referentenentwurf.
Anreiz auf Mehrwegsysteme umzusteigen
Ohnehin wurde die Tübinger Verpackungssteuer durch einen SPD-Antrag entschärft: Demnach gibt es eine Obergrenze des zu entrichtenden Steuerbetrages von 1,50 Euro pro Fast-Food-to-go-Menü – egal, wie viele Holzgäbelchen, Einweg-Pappschälchen dabei verwendet werden – um, wie es hieß, keine soziale Härten für Fast-Food-Kunden zu vermeiden.
Schwimmhilfe aus buntem Schaumstoff.
Plastikmüll / Leichter Kunststoff, schwer zu recyceln
Leistungsfähige Schaumstoffe sind in vielen Produkten zu finden. Aber ein großes Problem ist noch nicht gelöst: Wie recycelt man diese Stoffe? Die Industrie hat dazu durchaus Ideen – doch die sind umstritten.
Zustimmung kam erstaunlicherweise von denen, die eigentlich am ehesten von der neuen Verpackungssteuer betroffen sind – von Schülerinnen und Schülern, vertreten im Jugendgemeinderat, die wohl am häufigsten in Fast-Food-Restaurants anzutreffen sind. Nikodim Brickwell, Vertreter des Tübinger Jugendgemeinderates:
"Generell geht’s ja nicht darum, dass wir überhaupt kein to-go mehr wollen, aber wir wollen Mehrwegsysteme. Und die gibt’s momentan nicht, weil das nicht wirtschaftlich ist für die Unternehmen und für die Konsumenten einfach unpraktisch."
Gerade durch die neue kommunale Verpackungssteuer bestehe für Fast-Food-Anbieter aber ein großer Anreiz, auf Mehrwegsysteme umzusteigen, die ja gerade nicht besteuert werden.
"Und dann können wir alle etwas gegen die Vermüllung tun und weiter to-go essen."