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Türkei
AKP-Politiker verteidigt Verschärfung der Sicherheitsgesetze

Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu hat Kritik an der geplanten Verschärfung der Sicherheitsgesetze in der Türkei zurückgewiesen. Der Staat sei zur Terrorbekämpfung verpflichtet und müsse seine Bürger schützen, sagte er im Dlf. Nur so sei eine freiheitliche Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Dirk Müller | 20.07.2018
    Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments
    AKP-Mitglied Mustafa Yeneroglu hat das Vorgehen seiner Regierung während des Ausnahmezustandes in der Türkei sowie die nun geplante Verschärfung der Sicherheitsgesetze verteidigt (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Dirk Müller: Juli 2016, die Türkei nach dem Putschversuch. Recep Tayyip Erdogan verhängt in der Türkei den Ausnahmezustand. Grundrechte werden eingeschränkt, ebenso die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit. 130.000 Staatsbedienstete werden entlassen, Lehrer, Beamte, Polizisten. Soldaten, Akademiker gehören dazu, auch Richter und Staatsanwälte. 77.000 Menschen werden verhaftet, Menschenrechtler, Journalisten und Oppositionspolitiker. 15 Universitäten sind geschlossen worden. Alles im Zusammenhang mit den Vorwürfen, der Gülen-Bewegung nahezustehen, diese unterstützt und gedeckt zu haben.
    Inzwischen ist Präsident Erdogan zugleich Regierungschef geworden. Als erste größere Amtshandlung hat er den Ausnahmezustand nun offiziell beendet. Ändert sich dadurch etwas? – Das wollen wir wissen von Mustafa Yeneroglu. Er sitzt im türkischen Parlament für die regierende AKP-Partei von Präsident Erdogan. Guten Morgen!
    Mustafa Yeneroglu: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Yeneroglu, werden ab heute weniger Menschen verhaftet?
    Yeneroglu: Das muss man natürlich alles vor dem Hintergrund der Situation in der Türkei beurteilen. Wir haben im Jahre 2016, wo der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, über 700 tote Sicherheitsbeamte gehabt, die aufgrund von Terrorakten umgekommen sind. Der Staat kann ein Mindestmaß an Sicherheit nur dann bieten, ein Mindestmaß an Sicherheit muss der Staat haben, um eine freiheitliche Rechtsstaatlichkeit gewährleisten zu können.
    Deswegen war es eine Verpflichtung des Staates, unter den damaligen Verhältnissen den Ausnahmezustand auszurufen, um wieder den prinzipiellen staatlichen Pflichten nachzukommen.
    Jetzt haben wir eine Situation, wo der Staat der Überzeugung ist, dass man eine belastbare Situation haben kann und das Land wieder in den Normalzustand zurückbringen kann.
    "Es ist ja nicht so, dass Menschen grundlos verhaftet werden"
    Müller: Deswegen meine Frage. Werden jetzt weniger Menschen verhaftet?
    Yeneroglu: Es geht nicht darum. Es ist ja nicht so, dass Menschen grundlos verhaftet werden. Es ist so, dass Menschen auf Grundlage von bestimmten Ergebnissen der Justiz verhaftet werden, und das ist in jedem anderen Land auch so.
    Müller: 77.000 Menschen ist ein relativ großzügiges Ergebnis der Justiz. Wir haben schon häufiger mit Ihnen auch im Deutschlandfunk darüber geredet. Mir geht es jetzt darum: Wenn der Präsident den Ausnahmezustand offiziell beendet, …
    Yeneroglu: Herr Müller!
    "Die Bekämpfung des Terrorismus, die läuft nach wie vor weiter"
    Müller: Herr Yeneroglu, bitte noch ganz kurz. Wenn er offiziell den Ausnahmezustand beendet, ist das ein Zeichen dafür, dass aus Ihrer Sicht die Sicherheit nach Ihrer Definition wiederhergestellt ist und der Staat nicht mehr so restriktiv und repressiv vorgehen muss?
    Yeneroglu: Die Bekämpfung des Terrorismus, die läuft nach wie vor weiter. Wie gesagt, wir können das immer nur unter den realen Verhältnissen des Landes selbst beurteilen. Wir haben letztes Jahr über 7.000 Terroristen gehabt, die im Kampf, sei es Daesch, der sogenannte "Islamische Staat", sei es die PKK, eliminiert werden mussten. Man muss sämtliche Zahlen, die Sie hier genannt haben, in den Raum werfen, vor dem Hintergrund der realen Verhältnisse im Land selbst beurteilen.
    Müller: Die Zahlen gehören ja auch zu den realen Verhältnissen – 130.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.
    Yeneroglu: Die Zahlen gehören zu den realen Verhältnissen.
    Müller: 130.000 – das ist …
    Yeneroglu: Und in etwa 40.000 wurden wieder eingestellt.
    Müller: Weil es ein Fehler war? Weil sich die Justiz vertan hat?
    Yeneroglu: Aber das ist doch gerade die Aufgabe des Rechtsstaats. Dafür ist doch der Rechtsstaat da. Wenn solche Maßnahmen ergriffen werden in einer Ausnahmesituation, Ergebnisse geschaffen werden, um erst mal Tatsachen zu schaffen, dass die Sicherheit gewährleistet ist, dann haben die Menschen wie in jedem anderen Land auch die Möglichkeit, sich gegen diese Maßnahmen zu wehren, und genau diese Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, zeigen im Ergebnis, dass der Rechtsstaat funktioniert.
    Müller: Das waren Justizirrtümer, 40.000 Menschen, die zu Unrecht verhaftet beziehungsweise entlassen wurden?
    Yeneroglu: In einer Ausnahmesituation ist es so, dass die Entscheidungen erst mal durch die Exekutive gefällt werden. Dann hat die Judikative das Recht, die Möglichkeit, diese Ergebnisse zu prüfen, und kommt zu diesen und jenen Ergebnissen und verlangt von der Justiz, von der Exekutive, diese Ergebnisse dann umzusetzen, und das passiert.
    Müller: Herr Yeneroglu, Sie kennen gut die europäischen Verhältnisse. Sie kennen noch besser die deutschen Verhältnisse. Wir hören das an Ihrem Deutsch auch, wie sehr Sie mit dem Land verbunden sind. Wenn wir über diese Zahlen reden – ich sage das noch einmal: 130.000 und 77.000 -, ist das eine Zahl, die Sie nicht vollkommen erschreckt?
    Yeneroglu: Selbstverständlich! Jeden anderen wird das erschrecken, so wie es mich zum Beispiel erschreckt, dass im Jahre 2017 (*Anmerkung der Redaktion: Herr Yeneroglu sprach ursprünglich von 2016, meinte aber 2017. Wir haben die Jahreszahl angepasst), ohne dass irgendetwas im Freistaat Bayern passiert war, eine Präventivhaft von bis zu drei Monaten als gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, dass Menschen theoretisch unbefristet im Gefängnis sitzen können.
    Und wenn in Bayern gilt, dass man eine offene Gesellschaft – Entschuldigen Sie! Die offene Gesellschaft kann nur dann geschützt werden zum Schutz der Gesellschaft, wenn wir einen starken Staat haben, und das gilt vor allem für solche Länder, wo der Terrorismus tagtäglich wütet.
    Müller: Drei Monate in Bayern – da sind wir jetzt ein bisschen überfragt. Da schauen wir uns jetzt alle hier in der Redaktion an. Das ist bei uns jedenfalls in der Form so noch nicht angekommen. – Bleiben wir noch mal beim Ausnahmezustand in der Türkei. Wir haben dort eine Aussage des Oppositionspolitikers Gürsel Tekin aufgezeichnet:
    Gürsel Tekin: "Man institutionalisiert dadurch den Ausnahmezustand. Man hebt diesen auf, hat aber Regelungen, die alles beim alten belassen. Das ganze Land wird einbezogen, indem man sämtlichen Provinzgouverneuren große Befugnisse gibt."
    Müller: Gürsel Tekin spricht jetzt von diesen neuen Anti-Terror-Gesetzen, die auf den Weg gebracht werden. Er behauptet, das ist gleichzusetzen mit der Aufrechterhaltung des Ausnahmezustands. Besteht diese Gefahr?
    Yeneroglu: Nein! Zunächst einmal ist es so, dass die Pflicht des Staates, Terror zu bekämpfen, weiter die vordergründigste Pflicht ist. In einem Land wie die Türkei, das an den Irak und Syrien angrenzt und in dieser geografischen Lage sich von solchen Problemen nicht entziehen kann, ist es so, dass der Staat natürlich Maßnahmen treffen muss, um die Sicherheit der Leute zu gewährleisten.
    "Jetzt geht es darum, nach vorne zu schauen"
    Müller: Aber Sie hatten ja immer Anti-Terror-Gesetze. Die sind jetzt noch einmal verschärft worden und viele behaupten jetzt, auch Kritiker in Europa, die da sagen, das ist der Ersatz für den Ausnahmezustand. De facto wird sich in der Türkei in den kommenden Jahren nichts ändern.
    Yeneroglu: Nein. Im Gegenteil! Wir haben mit dem Ausnahmezustand eine wirklich extreme Ausnahmesituation gehabt und dieser Ausnahmezustand ist beendet worden, weil der Staat jetzt offenbar die Erwägung getroffen hat, dass er eine belastbare Situation hat. Jetzt geht es darum, nach vorne zu schauen.
    Müller: Herr Yeneroglu, sind Sie noch da?
    Yeneroglu: Ja, bitte!
    "Man muss alles im konkreten Verhältnis beurteilen"
    !Müller:!! Entschuldigung! Wir hatten einige Aussetzer in der Leitung. Deswegen habe ich nachgefragt. – Wir haben jetzt noch ein paar Sekunden Zeit. Führen Sie gerne noch Ihren Satz zu Ende.
    Yeneroglu: Es ist so, dass wir jetzt wieder nach vorne schauen müssen. Es ist so, dass die Türkei einfach in den letzten Jahren wahnsinnig viele Herausforderungen hatte, und das muss man alles im Verhältnis sehen. Wenn man das nicht tut, dann macht das auch keinen Sinn. Man kann nicht einfach sagen, so und so viele Verhaftete, so und so viele Entlassungen und so weiter und so fort. Das führt zu keinem Ergebnis. Man muss alles im konkreten Verhältnis beurteilen und im Individuellen beurteilen. Nur so kommen wir weiter. Ansonsten wird die ganze Rhetorik, die aus Europa kommt, dann von der Türkei auch entsprechend beantwortet und wird zu keiner Annäherung zwischen Europa und der Türkei führen.
    Müller: Jetzt kommt die Musik, die sagt, dass wir zum Ende kommen müssen. Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Mustafa Yeneroglu von der regierenden AKP-Partei in der Türkei. Auf Wiederhören, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Yeneroglu: Bis dann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.