Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Türkei
Erdogan geht mit Härte gegen seine Gegner vor

Die türkische Regierung macht aus ihren Ankündigungen ernst: Die Zahl der Festnahmen nach dem Putschversuch hat sich deutlich erhöht, auf 6.000. Und die Zahl werde weiter steigen, sagte Justizminister Bekir Bozdag. Auch der Kommandeur der Luftwaffenbasis Incirlik wurde festgenommen.

17.07.2016
    Ein Polizist steht auf einem Panzer auf dem Taksim-Platz in Istanbul am 17. Juli 2015.
    Die politische Führung gibt an, nach dem Putschversuch die Kontrolle wiedererlangt zu haben. (picture alliance/dpa - Marius Becker)
    Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei ist die Zahl der Festnahmen nach Angaben der Regierung auf rund 6.000 gestiegen. "Die Säuberungsaktionen werden derzeit fortgesetzt", sagte Justizminister Bekir Bozdag. Die Zahl der Festnahmen werde 6.000 überschreiten. Unklar blieb zunächst, wie viele der Festgenommenen aus den Reihen der Streitkräfte stammten und bei wie vielen es sich um Zivilisten beziehungsweise Justizbeamte handelte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte heute in Istanbul: "Wir werden das Virus aus allen staatlichen Institutionen vertreiben."
    Bilder des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und eine türkische Flagge auf dem Taksim-Platz in Istanbul am 17. Juli 2016.
    Nach dem Putschversuch: Die Porträts des türkischen Präsidenten Erdogan am Taksim-Platz. (picture alliance/dpa - Anni Reenpää)
    ARD-Türkei-Korrespondent Reinhard Baumgarten sagte im DLF, unter den festgenommenen Generälen seien der Chef der zweiten Armee, der Chef der dritten Armee sowie der Luftwaffenkommandeur. Ihnen werde vorgeworfen, Schlüsselrollen gespielt zu haben, möglicherweise Rädelsführer gewesen zu sein. Auch mehrere Richter und Staatsanwälte waren festgenommen worden, darunter zehn Richter des höchsten Verfassungsgerichts. Aus Regierungskreisen hieß es, sie würden verdächtigt, an dem Umsturzversuch beteiligt gewesen zu sein.
    Luftwaffenstützpunkt betroffen
    Mehrere Nachrichtenagenturen melden unter Berufung auf die Regierung in Ankara, auch der Kommandeur der Luftwaffenbasis Incirlik sei festgenommen worden. Demnach wird dem General vorgeworfen, in den Aufstand verwickelt gewesen zu sein. In Incirlik sind Verbände der USA, Deutschlands und weiterer Länder stationiert, die sich am Kampf gegen die IS-Terrormiliz in Syrien beteiligen.
    Der Luftwaffenstützpunkt sei wiedereröffnet, die US-Operationen gegen den sogenannten Islamischen Staat werden fortgesetzt, gab das Pentagon in Washington bekannt. US-Außenminister Kerry sagte zudem, der versuchte Militärputsch habe den Kampf der USA gegen den IS nicht unterbrochen.
    Samstag war von 3.000 Festnahmen die Rede
    Ministerpräsident Binali Yildirim hatte gestern gesagt, rund 3.000 verdächtige Soldaten seien im Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Nacht zuvor festgenommen worden.
    International wächst die Sorge vor einem überharten Durchgreifen Ankaras gegen politische Gegner. EU-Kommissar Günther Oettinger erklärte, sollte Präsident Erdogan den Putsch zur Einschränkung von Grundrechten nutzen, würde er sich von den Werten der Europäischen Union und der Nato entfernen. "Er würde damit seine Position zwar innenpolitisch stärken, doch er würde sich außenpolitisch isolieren", sagte Oettinger der "Welt am Sonntag".
    Schulz: Keine demokratischen Grundregeln brechen
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag": "So erschütternd der Putschversuch ist, den ich mit aller Schärfe verurteile - die türkische Regierung darf dies nicht zum Anlass nehmen, ihrerseits demokratische Grundregeln zu brechen." Auf Twitter schrieb er: "Nun müssen die Gewalt beendet, die Gewaltenteilung sicher gestellt und individuelle Rechte voll respektiert werden."
    Grünen-Chef Cem Özdemir rechnet damit, dass Präsident Erdogan nach dem gescheiterten Putsch seine Macht weiter ausbauen wird. Erdogan werde sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, "sein Projekt einer Verfassungsänderung mit dem Ziel der Alleinherrschaft endgültig zu realisieren", sagte Özdemir der "Welt am Sonntag". "Auch die wenigen kritischen Medien und das zarte Pflänzchen der Zivilgesellschaft haben sicher nichts Gutes zu erwarten."
    Der türkische Luftverkehr ist nach dem gescheiterten Putsch weiter gestört. Turkish Airlines strich am Flughafen Istanbul 196 für Sonntag und Montag geplante Flüge, sowohl im Inland als auch international. Zwar wurde schon am Samstag der reguläre Flugbetrieb am Internationalen Flughafen Atatürk wieder zugelassen, es gab aber einen großen Rückstau.
    Deutsche Fluggesellschaften und Reiseveranstalter sind heute hingegen weitgehend wieder zur Normalität zurückgekehrt und flogen die Türkei überwiegend nach Plan an. In den touristischen Regionen am Mittelmeer, die zum Teil weit entfernt von Istanbul und Ankara sind, hatten sich nach Angaben von Reiseveranstaltern nur wenige Urlauber entschieden, wegen der polititschen Lage nach Deutschland zurückzukehren. Die Urlaubsregionen wie Antalya, Izmir oder Dalaman wurden von zahlreichen Fluggesellschaften anders als Istanbul und Ankara auch am Samstag planmäßig angeflogen, wie es hieß.
    (fwa/vic/jcs)