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Türkei
Erdogans verbissener Kampf

Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in der Türkei sind Sicherheitskräfte wieder gegen mutmaßliche Regierungsgegner im Polizeiapparat vorgegangen. Und nicht nur sie bekämpft Ministerpräsident Erdogan: Tausende aus der Gezi-Protestbewegung stehen nun vor Gericht.

Von Thomas Bormann, Istanbul | 05.08.2014
    Am Anfang hatten ein paar Umweltschützer den Gezi-Park mitten in Istanbul besetzt, damit dort kein Einkaufszentrum gebaut wird. Der Protest breitete sich schnell aufs gesamte Land aus. Der 31-jährige Ali war von Anfang an dabei:
    "Es ging ja damals nicht nur um die Rodung einiger Bäume. Wir haben gegen die Regierung demonstriert, der uns das Gefühl vermittelte, uns nach und nach unserer Freiheiten zu berauben."
    "Tayyip istifah" riefen die Demonstranten damals: Tayyip, tritt zurück. Die Regierung von Reccep Tayyip Erdogan schlug nicht nur Demonstrationen brutal nieder, sie zog auch gegen gemischt-geschlechtliche Wohngemeinschaften oder gegen das Biertrinken zu Felde. Das setzt sich bis heute fort: Vize-Regierungschef Bülent Arinc forderte jüngst junge Frauen auf, doch bitte nicht in der Öffentlichkeit zu lachen.
    Wer Erdogans Vorstellungen nicht teilt wird zum Feind
    Ja, die konservativ-religiöse Regierungspartei AKP hat genaue Vorstellungen, wie die Türken leben sollen. Wer da nicht mitmacht, wird von Ministerpräsident Erdogan zum Feind erklärt. Der Konflikt um den Gezi-Park ist ein Paradebeispiel für Erdogans Schwarz-Weiß-Denken, meint der Journalist Musatafa Akyol:
    "Anstatt dass er sagt: Hm, manche meiner Pläne lösen heftige Reaktionen aus, dann sollte ich mit diesen Leuten mal reden; stattdessen aber sagt Erdogan: Seht, die wollen uns niedermachen, das aber werden wir nicht zulassen. Wir geben denen keinen Zentimeter. Wir werden sie zerschlagen."
    Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, denkt Erdogan. Und er sagt das auch ganz offen. Erdogan meint, die Gezi-Proteste seien Teil einer teuflischen Verschwörung gegen seine islamisch-konservative Regierung. Dunkle Mächte hätten sich zusammengetan, um der Türkei zu schaden. Erdogan wörtlich:
    "Irgendwo wurde auf den Knopf gedrückt und sogleich schlossen legale und illegale Organisationen in der Türkei eine Komplizenschaft. Sie führten die Türkei an einen Punkt, an dem die Stabilität und der Friede des Landes gefährdet waren. Dieser Angriff war systematisch vorbereitet. Sie hatten es gleichzeitig auf die Stabilität, die Demokratie, den Frieden und die Wirtschaft abgesehen."
    Gerichtsprozesse gegen vermeintliche "Terroristen"
    Deshalb bekämpft Erdogan die Gezi-Protestbewegung so verbissen und lässt sie von der Justiz verfolgen. Tausende, die vor gut einem Jahr protestiert hatten, stehen jetzt vor Gericht wegen "Teilnahme an verbotenen Demonstrationen" oder gar wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung". Das nämlich wirft die Staatsanwaltschaft der Taksim-Solidaritätsplattform vor, einer Vereinigung von Architekten, Ärzten, Stadtplanern und Umweltschützern. Sie sollen eine Terror-Organisation sein.
    "Dieser Prozess ist eine Schande, ein Skandal. Er wird uns stets in Erinnerung bleiben. Denn hier stehen Freiheit, Demokratie, Frieden und Menschen vor Gericht, die sich für ihre Umwelt einsetzen.",
    rief Professor Özdemir Aktan vorm Gerichtsgebäude durch sein Megafon. Sein Ärzteverband steht ebenfalls unter der Terror-Anklage.
    Gezi-Proteste als Sieg, denn die Leute wehren sich jetzt
    Der Journalist Erol Özkoray hatte in einem Bildband all die Sprüche und Bilder dokumentiert, die die Demonstranten vor gut einem Jahr an Häuserwände gesprüht hatten: zum Beispiel ein Porträt Erdogans mit lauter Hakenkreuzen. Das wertet die Staatsanwaltschaft nun als Beleidigung des Ministerpräsidenten.
    So sitzt auch der Journalist Erol Özkoray auf der Anklagebank.
    Es scheint aber so, als wäre es ihm egal, ob er verurteilt wird oder nicht. Er sieht sich und die gesamte Gezi-Protestbewegung als Sieger:
    "Der Geist des Gezi-Parks wird niemals erlöschen. Er lebt weiter. Das haben wir jüngst auch in Soma gesehen nach dem Bergwerksunglück. Die Bürger der Türkei gehen jetzt für ihre Rechte und gegen Ungerechtigkeit auf die Straße. Das verdanken wir Gezi. Wenn die Regierung heute ein umstrittenes Gesetz beschließt, dann weiß sie: die Leute werden dagegen auf die Straße gehen."