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Türkei
Flüchtlinge werden offenbar gewaltsam abgeschoben

In der Türkei werden syrische Flüchtlinge ohne Angabe von Gründen verhaftet und gewaltsam zurück nach Syrien geschickt. Das haben Recherechen des ARD-Magazins "Monitor" ergeben. Die EU weiß von dieser Praxis und scheint sie zu billigen, sagt unter anderem Human Rights Watch.

Von Nikolaus Steiner | 14.01.2016
    Stacheldrahtzaun
    Flüchtlingscamp im türkischen Nizip 45 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt (dpa/picture-alliance/ Benoit Doppagne)
    Bis zu drei Milliarden Euro wird die Europäische Union der türkischen Regierung zukommen lassen, um Flüchtlingsprojekte zu finanzieren. Menschenrechtsorganisationen kritisieren hingegen, dass das Geld nur fließt, damit Ankara die Grenzen dicht macht. Das ARD-Magazin "Monitor" hat wochenlang recherchiert, um den Vorwürfen nachzugehen. Im Stadtteil Kúmkape von Istanbul konnten die Reporter durch die Gitterfenster mit inhaftierten Syrern sprechen. Sie wissen nicht, warum sie eingesperrt wurden, sagen sie.
    "Ich bin kein Illegaler, ich habe meinen Pass hier, ich habe meine Personalausweis hier und trotzdem wurde ich hier inhaftiert."
    "Ich habe vier Jahre hier gelebt. Jetzt bin ich drei Monate eingesperrt. Und jetzt soll ich weg."
    "Die werden uns sicher nach Syrien zurückschicken, einfach so."
    Flüchtlinge ins syrische Kriegsgebiet zurückschicken? Haft ohne Angaben von Gründen? Kann das wirklich sein? Die Recherchen führen die "Monitor"-Reporter in die syrisch-türkische Grenzregion. Sie treffen dort Syrer, die ebenfalls von Haft und Abschiebung berichten.
    "Wir sind abgeschoben worden. Die Polizei hat uns festgenommen, die Frau neben uns haben sie geschlagen, das Mädchen, in unserer Gruppe haben sie an der Wange gezogen. So haben sie uns aus der Türkei weggeschickt."
    "Meine Mutter braucht eine Operation am Brustkorb, deswegen wollte ich sie hierherholen. Die Situation an der Grenze ist schwierig, der Bab-el-Hawa-Übergang ist komplett geschlossen, jeder Übertritt ist verboten, sie wurde dabei erwischt und zurückgeschickt."
    "Ich heiße Ahmed al Hosain, Ich bin zwei Mal abgeschoben worden, das erste Mal haben uns Schlepper über die Berge ins Land gebracht, wir wurden direkt an der Grenze festgenommen, [dann haben] sie uns ins Gefängnis gesteckt, wir waren dort zwei Tage, bevor sie uns nach Syrien zurückgeschickt haben."
    Und es sind keine Einzelfälle, meint der Syrer Mahmud Mosa, der für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fünfzig Fälle von Abschiebungen dokumentierte, nachdem er selbst nach Syrien abgeschoben worden sei.
    "Die Soldaten haben mich geschlagen, bis ich auf dem Boden lag. Dann haben sie die Leute zusammengetrieben und an die Grenze zurückgebracht. Wir waren ungefähr 2000 Leute."
    Die EU-Kommission erklärt, irreguläre Abschiebungen ohne individuelle Prüfungen seien ein "Bruch internationalen Rechts" und würden die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Man habe keine Belege dafür, dass die Türkei solche Abschiebungen betreibe. Auch das Auswärtige Amt geht weiterhin davon aus, dass die türkische Regierung zu ihrer Zusicherung steht, wonach keine syrischen Flüchtlinge nach Syrien abgeschoben werden.
    Lotte Leicht, die EU-Direktorin von Human Rights Watch, ist hingegen überzeugt, dass die EU Menschenrechtsverletzungen bewusst in Kauf nimmt, um Flüchtlingszahlen zu reduzieren.
    "Es gibt nichts, das darauf hinweist, dass die EU nicht weiß, was dort passiert. Es ist nicht nur so, dass die EU wegschaut, sondern sie akzeptiert, dass die Menschen dafür bezahlen müssen. Die EU wird damit Teil des Problems und wird nicht Teil der Lösung."
    Die EU hat angekündigt, den Hinweisen auf Abschiebungen jetzt nachzugehen.