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Türkei in der Lira-Krise
Erdogan appelliert an türkische Unternehmen

Nach Inkrafttreten von US-Sanktionen gegen die Türkei setzt die türkische Lira ihre Talfahrt weiter fort. Eine Schuld an der aktuellen Lira-Krise räumt Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht ein. Stattdessen nimmt er die Unternehmen im Land in die Pflicht: Er warnte sie davor, Bankrott anzumelden.

Von Karin Senz | 13.08.2018
    Der Bild zeigt den türkischen Präsidenten Erdogan. Er hält in seiner Residenz eine Rede an die Nation.
    Der türkische Präsident Erdogan. (AP /Dpa-Bildfunk/ Lefteris Pitarakis)
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht auch an diesem Wochenende wieder vor seinen Anhängern - in Städten am Schwarzen Meer - eine Region, die ihm traditionell sehr wohlgesonnen ist. Natürlich geht es auch um den, wie er es nennt, "Wirtschaftskrieg" mit den USA:
    "Ich will, dass sie wissen: wir werden nicht aufgeben. Wir werden weiter produzieren. Wir werden noch mehr exportieren."
    Streit um inhaftierten Pastor
    Er selbst sieht sich nicht verantwortlich für den Absturz der türkischen Lira am vergangenen Freitag. Dafür nimmt er die Unternehmen im Land in die Pflicht. Er warnt sie davor, Bankrott anzumelden. Sie würden einen Fehler begehen. Immer wieder ruft er seine Landsleute auf, Dollar und Euro, die sie unterm Kopfkissen haben, in Lira umzutauschen. Aber Murat hat in der Istanbuler Wechselstube, in der er arbeitet, das Gegenteil beobachtet. Viele Türken tauschen ihre Lira in Dollar. Beim Geld, so scheint es, folgen Erdogans Anhänger ihm nicht blind. Seine Verschwörungstheorien dagegen stoßen auch bei Murat auf offene Ohren:
    "Wir haben ja diesen berühmten Pastor. Für den hatte Trump uns eine Frist bis Mittwoch gesetzt, habe ich gehört. Ich denke, wir dürfen jetzt nicht die Panik kriegen. Denn wir dürfen denen nicht geben, was sie wollen. Die wollen Chaos in der Türkei, damit die Menschen auf die Straße gehen. Im Iran haben sie das ja erreicht."
    Tatsächlich scheint Washington eine Frist gesetzt zu haben, was den Pastor Andrew Brunson angeht. Das hat Erdogan gestern bei einer Rede in Trabzon bestätigt: "Sie haben gesagt: lasst den Pastor bis Mittwoch 18 Uhr frei. Wenn wir das nicht machen, dann werden sie Sanktionen gegen uns erlassen."
    Die Türkei hat die Frist vergangenen Mittwoch verstreichen lassen. Die Folge: ab heute gelten in den USA doppelt so hohe Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei. An dem Punkt legt Erdogan gestern auch noch mal nach: "Unsere Antwort an die, die einen Handelskrieg gegen die ganze Welt führen und auch gegen unser Land, ist, dass wir uns neue Märkte und neue Allianzen suchen. Schauen Sie sich das an, sie erhöhen die Zölle auf Metall und Stahl. Wir sind Mitglied der Welthandelsorganisation. Das gehört nicht zu den Regeln. Das kann nicht einfach beschlossene Sache sein."
    Gespräche mit Russland
    Mit den neuen Märkten meint er unter anderem Russland. Heute kommt Außenminister Sergej Lawrow nach Ankara. Es soll auch um die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder gehen - Erdogan sieht darin ein Druckmittel gegenüber dem NATO-Partner USA: "Ich sage es denen in Amerika noch mal: Es ist schade, dass Sie sich für einen Pastor entscheiden statt für ihren strategischen Partner in der NATO."
    Am Schwarzen Meer feiern sie ihn für solche markigen Sprüche. Sie glauben ihrem Präsidenten, dass sich die Türkei in keiner Wirtschaftskrise befindet. Der Absturz der Lira scheint vergessen. An den Wechselstuben in Istanbul ist er aber fast an jeder Straßenecke abzulesen - in leuchten roten Ziffern auf den Kurstafeln.
    Der junge Aycan versucht sich vorzustellen, was das für ihn bedeutet: "Ich reise mit meiner Frau gerne ins Ausland. Dafür muss ich Geld tauschen. Da werden wir den Wertverfall der Lira zu spüren bekommen, klar. Ich werde nicht ganz auf Urlaub verzichten, aber weniger im Ausland ausgeben."
    In vielen Geschäften waren die Preise am Wochenende auch auf Importwaren noch stabil – wie lange sich das halten lässt, wie es jetzt weiter geht - viele Türken versuchen im Moment schlicht zu begreifen, was da letzten Freitag eigentlich in ihrem Land passiert ist.