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Türkei
Mesale Tolu darf zurück nach Deutschland

Mehr als ein Jahr nach ihrer Festnahme in der Türkei darf die deutsche Journalistin Mesale Tolu das Land verlassen. In Berlin wird das als Zeichen der Annäherung verstanden. Politiker diskutieren, ob Deutschland nun der wirtschaftlich angeschlagenen Türkei helfen soll.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 20.08.2018
    Mesale Tolu sitzt auf dem Rücksitz eines Autos, neben ihr ihr Kind.
    Die deutsche Journalistin Mesale Tolu nach ihrer Entlassung. (AP / Lefteris Pitarakis)
    Mehr als sieben Monate saß Mesale Tolu vergangenes Jahr in Untersuchungshaft, zwischenzeitlich sogar mit ihrem kleinen Sohn. Im Dezember kam sie dann zwar frei, durfte aber die Türkei nicht verlassen. Dass die türkische Justiz sie nun doch ausreisen lässt, löst in Berlin erst einmal Erleichterung aus. Dort äußert sich am Morgen der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger:
    "Jede Freilassung ist ein richtiger Schritt und zeigt auf, dass Inhaftierungen ohne Rechtsgründe sehr fragwürdig sind."
    Klima nachhaltig beschädigt
    Hinzu kommt, dass der Prozess gegen Tolu weitergeht, und zwar am 16. Oktober. Die Staatsanwaltschaft wirft der 33-Jährigen unter anderem vor, dass sie Mitglied einer Terrororganisation sei. Die gebürtige Ulmerin, die einen deutschen Pass hat, hatte vor ihrer Verhaftung für eine linke Nachrichtenagentur geschrieben. Dass es wie vorher bei Deniz Yücel und Peter Steudtner immer wieder zu Festnahmen deutscher Staatsbürger in der Türkei kommt, hat das Klima zwischen Ankara und Berlin nachhaltig beschädigt. Vor allem die CDU pocht deshalb darauf, dass die Türkei ihre akute Wirtschaftskrise aus eigener Kraft löst. Günther Oettinger:
    "Die Probleme der Türkei sind zuallererst hausgemacht. Es fehlt das Vertrauen von Investoren, die Niedrigzins-Politik ist längst nicht mehr angezeigt, und die Unabhängigkeit der Notenbank ist offenkundig nicht gewahrt."
    In die gleiche Kerbe schlägt am Morgen im Deutschlandfunk der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt. Als Erdogan sein Amt vor über zehn Jahren antrat, befand sich die Türkei noch auf einem klar pro-europäischen Kurs - anders als heute, meint Hardt:
    "Wir befinden uns heute in einer Situation, in der die Türkei mit Soldaten in Syrien steht, in der die Türkei mit nahezu jedem seiner Nachbarn Streit hat, in der die Türkei sich abwendet von der Europäischen Union und von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das sind gänzlich andere Voraussetzungen als sie zum Beispiel vor 10 Jahren da waren."
    Wirtschaftlich kommt die Türkei deshalb nur wieder auf die Beine, wenn sie sich auch politisch besinnt auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, so der Christdemokrat:
    "Ich fürchte, dass letztlich die AKP und Erdogan sich überlegen müssen, wie sie durch neue politische Bündnisse und einen neuen politischen Kurs diese Sackgasse verlassen und dann doch auf einen Weg zurückkehren, wie er vor zehn bis zwanzig Jahren in der Türkei ja positiv mit unserer Unterstützung beschritten wurde."
    Zeichen der Annäherung
    Dass Mesale Tolu ausgerechnet jetzt, mitten in der schlimmsten Wirtschaftskrise am Bosporus, ausreisen darf, wird in Berlin allerdings als Zeichen der Annäherung verstanden, zumal das Verhältnis zu den USA durch gegenseitige Sanktionen und Strafzölle schwer belastet ist. Umso mehr sucht Ankara nun den Draht nach Berlin - und stößt damit auf offene Ohren bei der SPD. Parteichefin Andrea Nahles bringt deutsche Hilfen für die Türkei ins Gespräch, und zwar unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen mit Präsident Erdogan. Das sagte Nahles am Wochenende den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Keine bedingungslose Hilfe für die Türkei, sagt hingegen Grünen-Politiker Cem Özdemir, und auch FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff meint:
    "Erdogan hat sich seine eigene Wirtschafts- und Finanzkrise selber gemacht. Ökonomen sagen ganz klar, es gibt keine Ansteckungsgefahr für die Weltwirtschaft, und deswegen bin ich der Meinung. Nein, hier muss man nicht helfen."
    Umgekehrt aber dürfe man die Türkei auch nicht isolieren, sagt Christdemokrat Günther Oettinger:
    "Die Türkei hat in der Europäischen Union, in Deutschland ihren wichtigsten Handelspartner. Und deswegen sind beide Seiten gut beraten, im Rahmen ihrer Rechtsgrundlagen die Annäherung zu versuchen."
    In diesem Zeichen steht auch der für Ende September geplante Staatsbesuch von Recep Tayyip Erdogan in Deutschland - ein Zusammentreffen, das im Berliner Regierungsviertel allerdings nicht unumstritten ist.