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Türkei
Protest gegen religiöse Schulen

Die Spaltung der türkischen Gesellschaft spiegelt sich auch im Schulsystem wider: Immer mehr staatliche Schulen sollen in sogenannte Imam-Hatip-Schulen umgewandelt werden, Einrichtungen mit einem Schwerpunkt auf religiöser Erziehung. Doch viele liberale Eltern wehren sich dagegen.

Von Thomas Bormann | 06.06.2015
    Ein Mann hält ein Protestplakat in die Kamera auf dem auf Türkisch steht: "Genug! Hört auf, unsere Schulen in Imam Hatips zu verwandeln!", im Hintergrund gehen auf einer Straße weitere Demonstranten.
    "Genug! Hört auf, unsere Schulen in Imam Hatips zu verwandeln!" - Schon im vergangenen Sommer demonstrierten Eltern gegen die Schulpolitik. (OZAN KOSE / AFP)
    Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist als Kind selbst auf eine Imam-Hatip-Schule gegangen. Das sind eigentlich Berufsschulen für Imame. Sie sind aber für alle Schülerinnen und Schüler offen; jeder kann dort Abitur machen. Präsident Erdogan ist überzeugt: Der Unterricht dort tut jedem gut.
    Im Stundenplan stehen drei zusätzliche Fächer, nämlich: Koran; das Leben des Propheten und Arabisch. Die Mädchen tragen im Unterricht Kopftuch, was an den normalen staatlichen Schulen der Türkei bis vor Kurzem noch verboten war. Aber die islamisch-konservative Regierungspartei AKP hat das Kopftuchverbot an Schulen und Universitäten aufgehoben.
    Und sie hat vor zwei Jahren durchgesetzt, dass Schüler bereits ab der 5. Klasse und nicht erst ab der 9. Klasse Imam-Hatip-Schulen besuchen dürfen.
    Für diese Reformen lässt sich Staatspräsident Erdogan noch heute feiern. Wenn er bei Wahlkampfreden fragt:
    Haben wir die Imam-Hatip-Schulen für Fünftklässler geöffnet? - Dann rufen seine Anhänger begeistert: Ja!
    "Kann wieder jeder und jede - auch mit Kopftuch - an jeder beliebigen Uni studieren? Deswegen ist die Zahl von 60.000 wieder angestiegen, und zwar auf eine Million Schüler und Schülerinnen."
    Ja, eine Million Kinder in der Türkei gehen bereits auf eine religiös geprägte Imam-Hatip-Schule, eine Million von insgesamt 16 Millionen Schülerinnen und Schülern. Das ist ganz im Sinne der Bildungspolitik, wie sie Staatspräsident Erdogan vorschwebt, denn, so hat er gesagt: Er möchte eine fromme Generation heranziehen.
    So begeistert seine Anhänger ihm dafür zujubeln, so heftig ist der Widerstand bei Eltern und Lehrern, die kein religiös-konservatives Weltbild haben.
    "Wir werden nicht zulassen, dass unsere Kinder zum Futter für diese rückständige Ordnung werden," sagt Ilknur Birol von der Lehrergewerkschaft bei einer Versammlung von Eltern in Istanbul. Die Behörde wollte die Schule ihrer Kinder im Istanbuler Stadtteil Göztepe von heute auf morgen in eine Imam-Hatip-Schule umwandeln.
    "Die Kinder sollen vor allem eines lernen: gehorchen"
    Aber der Protest der Eltern und der Lehrer war riesig. Sie stritten dafür, dass ihre Kinder in der Schule nicht nach dem Koran erzogen werden, sondern - wie bisher üblich an den staatlichen Schulen der Türkei - nach den Idealen von Staatsgründer Atatürk. Was das genau bedeutet, brachte eine Musiklehrerin auf den Punkt:
    "Jedes einzelne Kind ist wertvoll. Unsere Kinder sollen in einem aufgeklärten Land groß werden."
    Gewerkschafterin Birol ist empört, dass die islamisch-konservative Regierung immer mehr Schulen in Imam-Hatip-Schulen umwandelt:
    "Sie gehen mit allen Mitteln ans Werk, damit sie unsere kleinen Kinder in einer Imam-Hatip-Schule einer religiösen Bildung unterwerfen können. Die Kinder sollen dann vor allem eines lernen: gehorchen."
    Die Schulbehörden stützen sich meist auf die Behauptung, viele Eltern hätten den Wunsch geäußert, dass ihre Kinder künftig mehr Religion lernen sollen.
    Dieser Nachfrage will die islamisch-konservative Regierung nachkommen und immer mehr staatliche Schulen in religiöse Imam-Hatip-Schulen umwandeln. Im Falle der Schule im Istanbuler Stadtteil Göztepe ist dieser Plan jedoch am Widerstand der Eltern gescheitert.
    Die Spaltung der türkischen Gesellschaft in Menschen mit religiösem oder mit liberalem Weltbild spiegelt sich immer deutlicher auch im Schulsystem wider.