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Türkei
Wie die AKP das Studentenleben kontrolliert

Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Erdogan mischt sich auch ins Leben der Studenten ein. In Zukunft soll es getrennte Vorlesungen für Männer und Frauen geben. Wer sich gegen die Bevormundung wehrt, bekommt es mit der Polizei zu tun.

Von Markus Dichmann | 05.12.2013
    Alis Mörder sind die AKP und ihre Polizei– mit diesem Slogan besingen Hunderte Istanbuler Studenten Ali Ismail Korkmaz. Sie alle tragen Masken, die sein Konterfeit abbilden. Der Student wurde während der Gezi-Park-Proteste von der Polizei umgebracht. Doch seine Kommilitonen erinnern heute nicht nur an Korkmaz‘ Tod. Ihre Ängste und Sorgen haben viele Wurzeln.
    "Die AKP verfolgt eine "Alles ist käuflich"-Politik. Einschreibegebühren kosten so viel wie ein Auto, ein Wohnheimzimmer so viel wie eine komplette Wohnung. Und wir bekommen keine Krankenversicherung. Wir müssen nebenher arbeiten, um uns ab und zu durchchecken zu lassen. Aber das ist ihnen egal."
    Sagt Cagla Ural, Studentin an der Istanbul University. Nicht nur im finanziellen Bereich drücken AKP und Erdogans Regierung den Universitäten ihren Stempel auf.
    "Wenn ich gegen Tayyip Erdogan oder die Universitätsleitung etwas sage, dann leiten sie ein Verfahren gegen mich ein. Ich kann dafür von der Universität geworfen werden. Einige Studenten sind rausgeflogen, nur weil sie Poster aufgehängt haben. Mit der Begründung, das sei Umweltverschmutzung."
    Wer als Student heiratet, bekommt die Rückzahlung des Studienkredits erlassen
    Das Ergebnis: Viele der Universitätsräume und Flure wirken karg, leer und grau. Private Sicherheitskräfte kontrollieren die Eingänge. Es gibt die Idee, dass sie bald von der Polizei abgelöst werden sollen. Mehr und mehr Bevormundung, und noch drei weitere Pläne werden derzeit umgesetzt. Erstens: Studenten, die während des Studiums heiraten, sollen ihre Studienkredite erlassen bekommen. Zweitens: Geschlechtertrennung in den Wohnheimen. Vor allem aber soll das gesamte Universitätsleben nach Geschlechtern getrennt werden, keine gemeinsamen Vorlesungen oder Seminare mehr.
    "2001 wurde aus einer islamischen Bewegung unsere Regierung, und sie reorganisiert die gesamte Gesellschaft. Sie will die Studenten formen, eine eigene Generation heranziehen. Das widerspricht zutiefst dem Geist einer unabhängigen Universität, einer unabhängigen Wissenschaft."
    Osman Cetinakaya ist Wirtschaftsprofessor an der Istanbul University. Er erzählt, dass neue Kollegen nur dann eingestellt werden, neue Fächer und Institute nur dann eingerichtet werden, wenn sie der AKP-Ideologie entsprechen. Selbst neue Bücher in der Atom-Physik würden mit einer Lobpreisung auf Gott beginnen.
    "Natürlich stehe ich deshalb auf Seite der Studenten. Es ist wie eine Invasion, sie kommt Schritt für Schritt, aber dahinter verbirgt sich eine große Gefahr."
    Wer sich aber zur Wehr setzt, spürt schnell den langen Arm der Erdogan-Regierung: Die Polizei. Sie übt enormen Druck auf die Studentenbewegung aus, so auch auf Cagla Ural. Trotzdem steht sie heute wieder auf der Straße, beziehungsweise tanzt – die Faust in der Luft, kämpferische Lieder auf den Lippen.
    "Nach den großen Gezi-Park Protesten kam die Polizei nachts zu uns nach Hause und verhaftete uns. Ich war in dieser Nacht zum Glück nicht daheim und habe danach drei Monate wie ein Flüchtling in Istanbul gelebt. Sie wollen, dass wir Angst haben. Aber ich lasse mir keine Angst machen. Ich bin überzeugt, dass wir im Recht sind. Also sollen sie doch kommen."