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Türkei will im Libyen-Konflikt vermitteln

Die Türkei setzt sich im libyschen Konflikt konstruktiver ein, als manche das erwartet haben dürften. Ankara will über Jahre aufgebaute Beziehungen zu arabischen Nachbarn nicht gefährden. Und es will keinen Konflikt vor der Haustür - im Juni stehen Parlamentswahlen an.

Von Gunnar Köhne | 30.03.2011
    Eine Karikatur in der türkischen Satirezeitschrift Penguen zeigt den libyschen Machthaber Gaddafi, wie er außer sich vor Wut Menschenrechtspokale auf Demonstranten wirft. "Haben wir davon noch mehr?", fragt er einen seiner Offiziere, als der Vorrat zu Ende geht. Nein, antwortet der, den Letzten haben wir doch dem türkischen Regierungschef überreicht."

    Dass Tayyip Erdogan erst vor wenigen Monaten ausgerechnet aus den Händen des Despoten einen libyschen Menschenrechtspreis entgegen nahm, brachte dem türkischen Premier zuhause viel Spott ein. Doch in seiner kritischen Haltung gegenüber westlichen Luftangriffen auf Libyen weiß Erdogan der Mehrheit der Türken hinter sich. Anders als 2003 allerdings, als seine Regierung den Amerikanern jegliche Unterstützung im Irak-Krieg verweigerte, – US-Truppen durften damals nicht über türkisches Territorium einmarschieren -, ist Ankara bei diesem NATO-Einsatz mit dabei. Stolz zählt Erdogan auf:

    "Wir beteiligen uns in dreifacher Weise an der NATO-Mission. Erstens: Die Türkei übernimmt die Verteilung von Hilfsgütern über den Flughafen von Benghazi. Zweitens: Wir beteiligen uns an der Überwachung der Flugzonen. Und drittens: Unsere Marine kontrolliert den Seekorridor zwischen Kreta und Benghazi."

    Eine unmittelbare Beteiligung türkischer Soldaten an Kampfhandlungen in Libyen hat Erdogan von Anfang an ausgeschlossen. Es gehe bei dem UN-Mandat um den Schutz von Zivilisten, ein Ende der Kampfhandlungen und um die Durchsetzung einer politischen Lösung, betont die türkische Regierung immer wieder. Damit stellt sich Erdogan vor allem gegen Frankreichs Staatspräsidenten Sarkozy, der Gaddafi mithilfe der NATO gestürzt sehen will. Die Beziehungen zwischen Paris und Ankara gelten seit der Nichteinladung der Türkei zum Libyen-Strategietreffen Anfang März als zerrüttet. Nun will Erdogan einen Waffenstillstand zwischen Rebellen, Regierung und westlicher Allianz vermitteln. Der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Selim Yenel:

    "Wir stehen mit beiden Seiten in Kontakt, unser Ministerpräsident hat dreimal mit Gaddafi telefoniert. Aber leider kamen die Angriffe zu früh, die Franzosen hatten sich mit uns in keinster Weise abgesprochen. Hätten sie es getan, wäre es uns mithilfe der militärischen Drohungen vielleicht gelungen, Gaddafi zu einer politischen Lösung zu bewegen. .... Je länger die Militäraktionen dauern, desto mehr wird die Zivilbevölkerung darunter leiden. Darum ist eine diplomatische Lösung geboten."

    Hinter der Initiative Erdogans steckt auch dessen Sorge, den gerade erst gewonnenen wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Türkei bei den arabischen Nachbarn wieder zu verlieren. Ob Ägypten, Tunesien, Libyen oder Syrien – mit allen diesen Ländern hat Ankara erst kürzlich Visumsfreiheit und einen massiven Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen vereinbart. Weder will er bei der dortigen Opposition als Freund der Despoten dastehen, noch bei den verbliebenen Alleinherrschern in der Region als Aufrührer. Hinzu kommt die Sorge, dass die Unruheherde immer näher an die Türkei heranrücken – siehe Syrien.
    In Libyen müsse ein zweiter Irak, ein zweites Afghanistan verhindert werden, begründet Erdogan seinen Vermittlungsvorschlag. Da ein schneller Erfolg der Rebellen unwahrscheinlich sei, drohe dem Westen ein Langzeitkonflikt, warnt auch der Istanbuler Politikwissenschaftler Cengiz Aktar:

    "Es gibt in Libyen doch keine organisierte Opposition, es fehlen im ganzen Land Strukturen, auf denen aufgebaut werden könnte. Niemand hat eine Idee, wie es weiter gehen soll, wenn Gaddafi erstmal weg ist. Das ist programmiertes Chaos."

    Wer außer uns kann noch im libyschen Bürgerkrieg mit beiden Parteien reden, fragen türkische Diplomaten selbstbewusst. Anfang der Woche ließ die Regierung 17 verletzte libysche Zivilisten zur medizinischen Behandlung ins Land holen. Seine Friedensbemühungen in Libyen sollen Erdogan nicht nur im Ausland, sondern auch daheim nützen: Mitte Juni stehen in der Türkei Parlamentswahlen an.

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