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Türkei
"Wir wollten das Parlament schützen"

Der türkische Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu von der Regierungspartei AKP zeigte sich im DLF zuversichtlich, dass der Putsch unter Kontrolle gebracht wird. Yeneroğlu gab das Interview aus dem Schutzbunker des Parlamentes in Ankara. Viele Abgeordnete seien zum Parlament gegangen, um es vor den Putschisten zu schützen.

Mustafa Yeneroğlu im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 16.07.2016
    Mustafa Yeneroglu (AKP), Abgeordneter der Großen Nationalversammlung der Türkei und Ex-Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs.
    Mustafa Yeneroğlu (AKP), Abgeordneter der Großen Nationalversammlung der Türkei und Ex-Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. (imago / Jürgen Heinrich)
    Yeneroğlu berichtete, später habe man sich dann im Bunker in Sicherheit gebracht, weil das Parlament bombardiert und in Teilen zerstört worden sei. Er betonte, man sei sich auch mit den Abgeordneten der Parteien CHP und MHP einig im Kampf gegen die Putschisten.
    Inzwischen, so Yeneroğlu , habe man die Lufthoheit wieder zurückerobert, es gebe aber in einigen Teilen des Militärs noch Widerstand der Putschisten. Er betonte, Präsident Erdogan habe Recht damit gehabt, parallele Strukturen in der Türkei zu bekämpfen.
    Yeneroğlu lehnte es ab, zum jetzigen Zeitpunkt über die Pressefreiheit in der Türkei zu sprechen und verwies darauf, dass er sich in einem Schutzbunker befinde und im Laufe der vergangenen Stunden auch viele Tote gesehen habe. Zu einem späteren Zeitpunkt sei er aber gern bereit, auch über das Thema Pressefreiheit zu reden.

    Das komplette Gespräch zum Nachlesen:
    Jürgen Zurheide: Ich begrüße jetzt am Telefon Mustafa Yeneroglu, den Abgeordneten der AKP im Parlament. Zunächst einmal sage ich Guten Morgen und hoffe, dass es Ihnen gut geht – guten Morgen!
    Mustafa Yeneroglu: Guten Morgen! Es geht mir hier inzwischen wesentlich besser. Wir sind zwar nach wie vor im Bunker, aber die Situation hat sich weitgehend gebessert. Und ich hoffe, dass wir in den nächsten ein bis zwei Stunden auch so weit sind, dass der Militärputsch endgültig zurückgedrängt ist.
    Zurheide: Sie müssen uns ein bisschen erklären, Sie haben heute Nacht schon mal im Deutschlandfunk berichtet, Sie sind im Bunker des Parlaments. Sie waren den ganzen Tag Freitag über im Parlament? Wie ist das zustande gekommen?
    Yeneroglu: Ja, wir sind zum Parlament deswegen gekommen, weil wir davon ausgehen mussten, dass das Militär auch das Parlament stürmen wird. Und aus dem Grunde wollten wir als Abgeordnete entsprechend dem Willen des Volkes das Parlament beschützen. Und wollten, wenn überhaupt, im Parlament angetroffen werden, so wie das Volk, Millionen Menschen in der Türkei, im ganzen Land auf die Straße gegangen sind und sich vor die Panzer, vor die Flugzeuge gestellt haben und wirklich Unglaubliches geleistet haben. Deswegen war es auch für uns letztendlich auch eine Selbstverständlichkeit, auch selbst ins Parlament zu gehen und eben das Parlament zu schützen. Das Parlament wurde dann später, nachdem wir dort eben Erklärungen gemacht haben – die Sitzung wurde eröffnet durch den Parlamentspräsidenten. Anschließend kamen Bombardement, heftige Bombardements. Teile des Parlaments sind weitgehend zerstört. Ich bin jetzt nicht mehr hochgegangen, ich weiß jetzt nicht, wie es im Plenarsaal aussieht, aber jedenfalls, wir befinden uns im Moment im Schutzbunker. Und werden auch heute um 14 Uhr eine außerordentliche Sitzung haben im Parlament mit einer Rede des Ministerpräsidenten. Und im Moment ist es so, dass in Ankara noch Kämpfe stattfinden, in und um den Generalstab. Es sind aber, soweit wir es erkennen können, letzte Gefechte. Wir haben inzwischen die Lufthoheit im ganzen Land in der Regierungsgewalt. Und es sind eben noch einige Teile im militärischen Bereich, die noch von den Putschisten bereinigt werden müssen. Inzwischen sind über fünf Generäle verhaftet worden, darüber hinaus eben an die 700 Offiziere verhaftet worden. Aber das wird noch eine Zeit dauern, bis eben endgültig sämtliche Putschisten aufgegeben haben.
    Zurheide: Was erwarten Sie für die kommende Zeit? Die Türkei ist ja ohnehin ein Land, das politisch gespalten war. Es gibt Differenzen. Wird irgendeiner die Chance nutzen, um jetzt weiter zu spalten auf der einen Seite, oder erwarten Sie, dass man irgendwie aufeinander zugeht?
    Yeneroglu: Putsch bestätigte die Befürchtungen Erdogans
    Yeneroglu: Nein. Durch den Militärputsch wird nochmals sehr deutlich, dass eben der Präsident, der ja in Europa eben durch viele Medien als der Spalter dargestellt wird, eben im Recht gewesen ist, indem er eben solche Kräfte, die parallele Strukturen im Staat entwickeln wollten, bekämpft hat. Das ist in Europa teilweise eben heftig kritisiert worden. Es ist aus unserer Sicht problematisch dargestellt worden. Letztendlich hat sich mit dem heutigen Tag sehr deutlich gezeigt, wie wichtig, wie ernsthaft seine Auseinandersetzung gewesen ist. Ansonsten hätten wir, glaube ich, heute schon in der Nacht einen erfolgreichen Putsch erlebt. Und gegen den Willen von Millionen Menschen in der Türkei. Insofern denke ich, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind. Wir haben im Parlament in der Nacht – wir sitzen jetzt hier mit den Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei, der Nationalistischen Bewegungspartei zusammen und sind uns einig darin, dass wir gemeinsam den Kampf gegen die Putschisten gehen müssen. Wir sind uns absolut in der Auseinandersetzung mit dem Putsch einig. Und ich glaube, dass wir diesen Weg fortgehen können. Ich gehe davon aus, dass heute eigentlich, heute um 14 Uhr im Parlament auch die Parteivorsitzenden entsprechende Reden halten. Es geht letztendlich im Moment um das Wohl des Landes. Und da müssen selbstverständlich Differenzen unter den Parteien auch zurücktreten. Und ich glaube, das ist jetzt eine Chance in der Türkei, es ist wirklich ein historisches Ereignis. Millionen von Menschen – also wir sind von den Bildern, die auf den Straßen sind, überwältigt. Menschen sind seit 13, 14 Stunden auf den Beinen. Sie sind nach wie vor in Istanbul, in Ankara, überall im Lande auf den Beinen und sperren die Straßen, damit Panzerwagen nicht durchkommen können. Das ist unglaublich, das ist für die Türkei was Historisches, und ich glaube, auch für die Demokratie in der Türkei.
    Zurheide: Das ist das Eine. Der Putsch ist das Eine, und dass offensichtlich eine große Einigkeit besteht, dass die Militärs die Geschicke nicht übernehmen sollen. Aber auf der anderen Seite: Ist das nur böses westliches Reden, wenn man sagt, na ja, die Pressefreiheit in der Türkei ist doch außerordentlich beschränkt. Und sind das alles Putschisten, die möglicherweise abweichende Meinungen haben? Das meinte ich vorhin mit der Frage, wer führt da das Volk wieder ein Stück weit zusammen?
    Yeneroglu: Wissen Sie, ich – entschuldigen Sie bitte. Ich finde, dass das jetzt nicht taktvoll ist, wenn wir jetzt darüber diskutieren. Ich bin in einem Schutzbunker. Wir werden heute den ganzen Tag schon bombardiert. Ich habe heute so viele tote Menschen um mich gesehen. Ich glaube jetzt nicht, dass das jetzt im Moment der Zeitpunkt ist, über andere Dinge zu diskutieren. Ich kann Ihnen gern zu einem anderen Zeitpunkt über die Pressefreiheit stundenlang dann die Situation darstellen, aber ich glaube nicht, dass jetzt der Zeitpunkt dafür ist.
    Zurheide: Okay, dann lassen wir das so stehen. Dann bedanke ich mich trotzdem für das Gespräch und wünsche Ihnen natürlich persönlich wie allen anderen auch alles Gute. Und wir werden demnächst miteinander reden. Das war Mustafa Yeneroglu, der Abgeordnete der AKP im Parlament um 7:53 Uhr im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.