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Türkisch-deutsches Internetportal der taz
Kritischen Stimmen wieder Gehör verschaffen

Seit dem Putschversuch in der Türkei im vergangenen Jahr geht Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegen kritische Medien vor. Zahlreiche Fernsehkanäle, Zeitungen, Medienhäuser wurden geschlossen. Rund 150 Journalisten sind inhaftiert. Das deutsch-türkische Nachrichtenportal "taz.gazete" will ab heute kritischen Stimmen Gehör verschaffen.

Von Kemal Hür | 19.01.2017
    Screenshot des türkisch-deutschen Nachrichtenportal "taz.gazete" vom 19. Januar 2017.
    Start des türkisch-deutschen Nachrichtenportals "taz.gazete". (Deutschlandfunk)
    "Ein Platz für kritischen Journalismus aus der Türkei" – so lautet die Schlagzeile der heutigen Printausgabe der taz. Ein Foto auf der Titelseite zeigt türkische und kurdische Journalisten, die gegen den staatlichen Druck protestieren. Drei Journalisten aus der Türkei haben für die heutige Ausgabe der taz geschrieben. Alle Artikel befassen sich mit dem armenischen Journalisten Hrant Dink, der heute vor zehn Jahren in Istanbul ermordet wurde. Die Artikel finden sich auch auf dem neuen Nachrichtenportal der taz, das heute auf Deutsch und Türkisch an Start geht: "taz.gazete" heißt das Online-Portal. Gazete ist das türkische Wort für Zeitung. Das Medium wird sich mit Türkei-bezogenen Themen auseinandersetzen, sagt die Redakteurin Fatma Aydemir.
    "Die meisten von diesen Beiträgen kommen von KollegInnen, die direkt vor Ort in der Türkei arbeiten und von dort berichten. Ein Teil von den Berichten wird aber auch aus der Diaspora kommen, also von Journalisten, die an verschiedenen Orten auf der Welt berichten und die Auswirkungen der türkischen Politik auf die Diaspora beleuchten werden."
    Unterschiedlichen Stimmen Gehör verschaffen
    In der Berliner Redaktion teilen sich fünf Journalistinnen und Journalisten zweieinhalb feste Stellen. Sie beherrschen alle Deutsch und Türkisch in Wort und Schrift. Die Gastautoren aus der Türkei wählt die Redaktion nicht ausschließlich in den Reihen der inhaftierten oder verfolgten Journalisten, auch wenn das "taz-gazete"-Projekt sich mit diesen Kollegen solidarisieren will. Bekannte Edelfeder wie Aydın Engin und Ece Temelkuran würden genauso regelmäßig schreiben wie auch unbekannte und junge Kollegen, sagt Fatma Aydemir, die seit 2012 Redakteurin bei der taz ist.
    "Uns ist vor allem auch wichtig, auch Stimmen zu stärken, die es noch nicht, oder die inzwischen nicht mehr so recht schaffen, sich Gehör zu verschaffen innerhalb der türkischen Presselandschaft. Wir versuchen einfach, mit sehr diversen Stimmen und Geschichten zu arbeiten, ganz unabhängig davon, in welchem Bereich und aus welchem Ressort sie berichten oder aus welcher Gegend der Türkei."
    Es geht um die Aufmerksamkeit der demokratischen Weltöffentlichkeit
    Eyüp Burç stammt aus dem Osten der Türkei und ist Kurde. Er ist der Gründer und Chefredakteur des Fernsehsenders IMC. Der regierungskritische Sender wurde Anfang Oktober letzten Jahres geschlossen. Der Vorwurf lautete: Unterstützung einer separatistischen Terrororganisation. Gemeint ist damit die Untergrundorganisation Kurdische Arbeiterpartei, PKK. Seit dem Putschversuch im Sommer lauten alle Anschuldigungen gleich: Entweder Unterstützung der Gülen-Bewegung oder der PKK, sagt Burç. Er versucht derzeit, in Deutschland eine neue Redaktion aufzubauen, um seine 150 Mitarbeiter, die mit der Schließung des Senders arbeitslos wurden, wieder beschäftigen zu können. Er wird auch für "taz.gazete" schreiben, sagt er.
    "Mit solchen Projekten erreicht man die Aufmerksamkeit der demokratischen Weltöffentlichkeit. Man muss ein diktatorisches Regime, das die Meinungs- und Pressefreiheit dermaßen mit Füßen tritt, ächten. Die taz leistet dazu einen kleinen Beitrag und ich unterstütze sie gerne dabei. Denn je mehr Menschen wir aufklären, umso größer wird die Angst der Diktatoren."
    Verschwörungstheorien in türkischen Medien
    Die Internetseite von "taz.gazete" ist sehr übersichtlich und benutzerfreundlich gestaltet. Nur die türkischen Charaktere, die es im deutschen Alphabet nicht gibt, passen grafisch noch nicht zum Rest. Für die Nutzer in der Türkei findet sich ein Hinweis, wie sie eine eventuelle Zensur durch die türkischen Behörden umgehen und die Seite trotzdem erreichen können. Über das Portal wurde in türkischen Medien bereits berichtet. Besonders in den regierungsnahen Blättern seien größere Artikel erschienen, sagt Redakteurin Fatma Aydemir. Und es überrascht sie nicht, dass über das Projekt noch vor dem Start Verschwörungstheorien verbreitet wurden.
    "Da wird uns vorgeworfen, dass wir mit dem BND, der Deutschen Bank unter einer Decke stecken. Uns werden falsche Zitate in den Mund gelegt uns so weiter. Damit haben wir auch gerechnet. Und wir versuchen vielleicht, mit rechtlichen Schritten dagegen vorzugehen."