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Türkische Fernsehserien
"Das letzte Wort hat immer der Mann"

Mit patriotischen Kriegsserien möchte Recep Tayyip Erdogan das türkische TV-Publikum auf seinen Weg lenken. Doch das schaut lieber Seifenopern, die nur vermeintlich modern daherkommen.

Von Kristina Karasu | 01.02.2018
    Die Schauspieler Suavi Eren (l) und Asena Tugal stehen am 09.03.2016 am Set der türkischen Serie «Filinta» in Kocaeli (Türkei).
    Auch unverschleiert und geschminkt: patriarchale Strukturen bleiben in türkischen Seifenopern erhalten. Hier: Schauspieler Suavi Eren (l) und Asena Tugal am Set der Serie "Filinta". (picture-alliance / dpa / Elisabeth Kimmerle)
    "Allah ist groß!" , ruft das osmanische Heer voller Inbrunst, bevor es in die Schlacht zieht: im Jahr 1915, im Kampf gegen die Engländer um die irakische Stadt Kut. Mit dieser Szene wirbt das türkische Staatsfernsehen TRT für seine neue, aufwendig produzierte Serie Mehmetçik Kûtulamâre - Die Schlacht von Kut. Der blutige Krieg wird da als großartiger Erfolg dargestellt. Die Soldaten geben bereitwillig ihr Leben fürs Vaterland und den Glauben.
    Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan kam selbst zur Premieren-Gala der Serie Mitte Januar - und vergoss Tränen bei der finalen Szene. Seit Jahren propagiert er ein nationalbewusstes, moralisch einwandfreies Fernsehprogramm:
    "Wir können nicht zulassen, dass die sozialen Medien und das Fernsehen unsere Kultur verschlingen. Stattdessen müssen wir diese effektiv nutzen, um unsere Kultur an die nächste Generation weiterzugeben. Wir brauchen mehr denn je eine Kunst und Kultur, die das Gute, Schöne und Richtige verfolgt."
    Unterschicht statt Engländer
    Doch trotz massiver Werbung auf allen Kanälen ist eine andere Serie auf dem gleichen Sendeplatz am Donnerstagabend erfolgreicher als die Osmanen-Serie: "Unsere Geschichte" erzählt von einer Familie im Istanbuler Ghetto, der Vater Alkoholiker, die Mutter abgehauen, die älteste Tochter zieht die fünf Geschwister alleine groß. Da wird geflucht und geküsst, trägt die Hauptdarstellerin Hotpants. Ungeschminkt aber warmherzig wird da der Überlebenskampf der Unterschicht gezeigt.
    Mehmetcan Mincinözlü spielt eine der Hauptrollen der Serie - und erklärt sich deren Millionen-Einschaltquoten mit dem Hunger der Zuschauer nach Melodrama:
    "In den letzten 15 Jahren hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in der Türkei extrem vergrößert. So etwas wie eine Mittelschicht gibt es nicht mehr. Das hat die Leute unglücklich gemacht, und das spiegelt sich auch im Fernsehen wider. Die Zuschauer wollen Hauptdarsteller sehen, die so wie sie selber durch harte Zeiten gehen, mit denen sie sich identifizieren können. Aber Serien, die bloß zu Propagandazwecken gemacht werden, funktionieren nicht. Das guckt keiner."
    Ebenso fruchtlos blieben die Versuche regierungsnaher Medien, mehr Hauptdarstellerinnen mit Kopftuch in den Serien zu platzieren. Heute sind verhüllte Frauen in der Primetime nur selten zu finden. Stattdessen setzt man auf millimeterdick geschminkte Damen in hautengen Kleidern. Wie in der erfolgreichen Serie "Kleine Morde" - die spielt in der Istanbuler Oberschicht, die vier Hauptdarstellerinnen tummeln sich auf Cocktailpartys, in Luxusrestaurants und protzigen Villen.
    Zuschauerin Zeynep - 20 Jahre alt und von Kopf bis Fuß schwarz verhüllt, wie es nur die Ultrareligiösen im Land tun - verpasst keine Folge der Serie:
    "'Kleine Morde' gefällt mir gut. Hier geht es um Verrat, um psychologischen Verrat. Alles sieht ganz schön und schick aus, wie im Himmel. Aber in den Figuren herrscht Krieg, und keine von ihnen ist wirklich glücklich."
    Patriarchalisch wie eh und je
    Westlich und schick funkelt das türkische Serienleben, das allabendlich Millionen Zuschauer anlockt. Doch das ist nur Fassade, sagt die Medienwissenschaftlerin Seda Kandemir von der Istanbul Universität. Für sie sind die Seifenopern so rückwärtsgewandt und patriarchalisch wie eh und je:
    "Die aktuellen türkischen Serien repräsentieren einen neuen Konservatismus. Einen Konservatismus, der die Moderne in sich aufgenommen hat. Das zeigt sich etwa in den Familienstrukturen: selbst in den westlich daherkommenden Serien sind die Frauen unselbstständig. Sie zeigen keine Ambitionen zu arbeiten, und das letzte Wort hat immer der Mann. So sehr die türkische Gesellschaft auch nach mehr Freiheit strebt, sie kann sich doch nicht von ihren Traditionen lösen."
    Das spiegelt sich in fast allen Serien. Schlussendlich gewinnen Gehorsam und männliche Macht, ob in der actiongeladenen Soldatengeschichte oder dem tränenreichen Familienepos. Egal wie kurz die Röcke sind: wirklichen gesellschaftlichen Wandel muss Erdoğan von den TV-Serien derzeit ganz und gar nicht fürchten.