Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Türkische Invasion
Militärmiliz IS könnte sich neu formieren

Fast 800 Angehörige von IS-Kämpfern sind im Zuge der türkischen Bombardierung aus dem Lager Ain Issa in Syrien entkommen. Die Situation wird auch durch die große Zahl Flüchtender immer unübersichtlicher. Es gibt weltweit Befürchtungen, dass es zu einem Wiedererstarken des IS kommen könnte.

Von Björn Blaschke | 13.10.2019
Soldaten der türkischen Streitkräfte sitzen in einem Panzer nahe der Grenze zwischen Syrien und der Türkei.
Für 10.000 Lagerinsassen seien nur noch 60 bis 70 Wärter statt rund 700 da, die anderen seien an die Front beordert worden, sagen syrische Kämpfer (Anas Alkharboutli/dpa)
Die IS-Leute sind nach dem Beschuss von Ain Issa auf das Wachpersonal losgegangen. Fast 800 Lagerinsassen nutzten die Tumulte und brachen aus. So die Darstellung von Lukman Ahmy, Sprecher der syrisch-kurdischen Selbstverwaltung:
"785 IS-Leute - das sind Kämpfer und ihre Familien, die aus dem Lager wegen des türkischen Beschusses entkommen konnten. Damit ist genau das eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben!"
Ein Anführer der Syrischen Demokratischen Kräfte, kurz SDF, erklärte weiter, es gebe schlicht nicht genug Wachpersonal. Viele SDF-Kämpfer seien an die Front beordert worden; verbliebene Wärter liefen nach dem Beschuss durch das türkische Militär vom Lager Ain Issa weg. Jetzt seien da nur noch 60 bis 70 Wächter postiert; vor der türkischen Offensive waren es normalerweise rund 700 – für mehr als 10.000 Lagerinsassen, vor allem Familien von IS-Kämpfern. Seit Beginn des türkischen Angriffs auf die syrisch-kurdischen YPG, die den Großteil der SDF ausmachen, herrscht weltweit eine große Sorge: Dass der IS Nutznießer der Offensive sein wird. Und Reydour Khalil, Sprecher der SDF, machte klar, dass die Milizionäre jetzt vor allem auf den türkischen Angriff reagieren müssen:
"Die IS-Gefangenen haben nicht mehr die erste Priorität für uns. Sie stehen an zweiter oder dritter Stelle. Einige Gefangene wurden von den Amerikanern abtransportiert, aber es sind nur wenige. Wir haben jedoch mehrere Tausend IS-Kämpfer in unseren Gefängnissen; Leute, die viel gefährlicher sind. Wir sagen: Wer sich für die IS-Kämpfer in unseren Gefängnissen interessiert und wer Angst hat, dass sie entkommen-, der soll sich dafür einsetzen, diese Kampagne gegen Nordostsyrien zu beenden."
IS plant wohl Kampagne gegen Kurden
In den syrisch-kurdischen Gefängnissen sind bis zu 10.000 IS-Kämpfer inhaftiert, darunter etwa 4.000 Ausländer. Zudem leben in dem Internierungslager al-Hol sowie weiteren Camps in der Region rund 70.000 Angehörige von IS-Kämpfern. Mittlerweile sind mehr als 130.000 Menschen in Nordost-Syrien auf der Flucht vor dem türkischen Beschuss. Das führt zu einer unübersichtlichen Situation, die der IS nutzen kann, um sich in dem Landstrich neu zu formieren. Zumal in der Region im Untergrund ohnehin noch IS-Terroristen aktiv sind. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium geht von 18.000 IS-Kämpfern aus, in Syrien und im Irak.
Samstag erst hieß es aus IS-Kreisen, die Organisation beginne im Zuge der der türkischen Offensive eine neue Kampagne, mit dem Ziel Rache zu nehmen dafür, dass die Kurden den IS bekämpft haben. Und mehrere Sprengstoffanschläge, die in den vergangenen Tagen in Nordost-Syrien verübt wurden, sollen auf das Konto des IS gehen.