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Türkische Rechtsextremisten
"Graue Wölfe" auch in Deutschland immer sichtbarer

Frankreich hat sie verboten, im Bundestag gibt es eine entsprechende Initiative gegen die "Grauen Wölfe". Die türkischen Rechtsextremisten versuchen auch in Deutschland Einfluss zu gewinnen - auf die deutsche Politik und Gesellschaft. Ein Verbot allein wird das Problem nicht lösen, fürchten Experten.

Von Luise Sammann | 03.12.2020
Eine Hand zeigt den "Wolfsgruß" der Grauen Wölfe am 10.04.2016 in München (Bayern) während einer Pro-Türkischen Demonstration in der Innenstadt teil. Graue Wölfe ist die Bezeichnung für Mitglieder der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi, MHP).
Der "Wolfsgruß" - Zeichen der "Grauen Wölfe" (dpa)
Die Männer, die sich an einem sonnigen Herbsttag in München versammelt haben um gegen die kurdische Terrororganisation PKK zu demonstrieren, tragen lederne Rockerwesten über den roten T-Shirts. Turkus MC steht darauf, einige haben riesige Türkei-Flaggen um die Schultern gelegt, andere tragen sie als Aufnäher auf der Brust.
Martialisches Auftreten
"Mein Leben für dich, mein Vaterland", brüllt ein schwergewichtiger Anführer mit kahlrasiertem Schädel auf Türkisch. Sofort fallen seine Kameraden ein, recken die Fäuste in die Luft. Zeigefinger und kleiner Finger stehen nach oben ab, Daumen, Mittel- und Ringfinger zeigen als Spitze nach vorn. Was auf den ersten Blick an einen Rockergruß erinnert, symbolisiert einen Wolfskopf und ist das Zeichen der "Grauen Wölfe". Türkische Rechtsextreme, die zuletzt auch in Deutschland immer sichtbarer wurden.
Der MMA-Kämpfer Fedor Emelianenko aus Russland während eines Kampfes.
Rechtsextreme im Kampfsport Die Professionalisierung der Gewalt sei eine breite Bewegung der extremen Rechten, sagt Extremismusforscher Robert Claus im Dlf. In Mixed-Martial-Arts-Verbänden wird laut Claus gerade intensiv diskutiert, ob und wie sich der Sport von rechten Tendenzen abgrenzen soll.
"Das Zentrale ist, dass man hier sehr stark eine Ethnisierung favorisiert", erklärt der Erziehungswissenschaftler Kemal Bozay, der sich seit vielen Jahren mit der Bewegung und ihren Strukturen beschäftigt. "Das heißt, dass jeder Türke Türke bleiben soll. Dass hier auch in der Migration eine neue türkisch-nationalistische Gesinnung geprägt werden soll."
Integration gilt als Verrat
Die Integration in die deutsche Gesellschaft gilt in diesem Sinne als Verrat. Stattdessen lautet das Ziel der Ultranationalisten: Ein türkisches Großreich, geführt von einer sunnitisch-türkischen "Herrenrasse". Minderheiten wie Kurden, Armenier, Juden oder auch politische Gegner wie Kommunisten sehen die "Grauen Wölfe" als Feinde. Angehörige dieser Gruppen werden immer wieder Opfer von Anschlägen in der Türkei aber auch in Deutschland. Der Politikwissenschaftler Burak Copur aus Essen – Experte für Minderheiten in der Türkei – warnt allerdings davor, allein auf diesen oft gewaltbereiten Flügel der Bewegung zu blicken.
"Ich beobachte eine Doppelstrategie bei den 'Grauen Wölfen', die eine janusköpfige Bewegung sind. Einerseits hat die Bewegung eine kriminelle Seite. Und andererseits ist eine legalistische Seite deutlich erkennbar bei den 'Grauen Wölfen'."
Bereits 1996 rief der Gründer der türkischen rechtsextremen Partei MHP, der Anführer der Grauen Wölfe Alparslan Türkes, seine Anhänger in Deutschland auf, auch hier in die Parteien einzutreten. Mit Erfolg, ist Wissenschaftler Burak Copur heute überzeugt. Vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen vor zwei Monaten machte er auf mehrere den "Grauen Wölfen" nahestehende Politiker aufmerksam – und wird dafür bis heute bedroht.
Politiker mit Verbindungen zu den "Grauen Wölfen"
"Die Unterwanderung der deutschen Parteien hat System und das sind keine Einzelfälle. Heute finden sich 'Graue Wölfe' größtenteils in den Volksparteien CDU, SPD, aber auch zum Teil in der FDP wieder."
Diese "Wölfe im Schafspelz" distanzierten sich öffentlich häufig von Gewalt, sagt Copur. Ihr Ziel sei es, die deutsche Politik bei Themen wie dem Völkermord an den Armeniern oder beim Umgang mit der kurdischen PKK zu beeinflussen - und damit den türkischen Nationalismus zu stärken. Gleichzeitig versuchen sie, die deutschtürkische Community zu erreichen und zu prägen. Vor allem junge Männer werden über Moschee- und Kulturvereine, Boxclubs oder Familienzentren angesprochen und so für die "Grauen Wölfe" rekrutiert.
Wie das funktioniert, zeigte das WDR-Magazin Sport Inside im Sommer unter dem Titel "Tatort Fußballplatz". Erzählt wurde die Geschichte des 14-jährigen, zunächst völlig unpolitischen Orhan:
"Nach dem Training überreichte mir ein älterer Mann eine CD und nationalistische Literatur. Ich soll mal lesen und hören und dann sagen, was ich darüber denke. Ich las, dass die Kinder des einst mächtigen Osmanischen Reiches nun Sklavenarbeit in Deutschland verrichten müssen, schlechte Jobs bekommen, ausgegrenzt werden."
Rekrutierung im Fußballverein
Orhan begann sich zu politisieren, verübte am Ende Brandanschläge auf kurdische Einrichtungen. Deutschen Fußball-Gegnern gab er bei Spielen schon bald nicht mal mehr die Hand. Dass solche Rekrutierungsstrategien bei türkischstämmigen Jugendlichen funktionieren, die oft schon in der dritten Generation in Deutschland leben, müsse zu denken geben, so der Erziehungswissenschaftler Kemal Bozay:
"Sicher, die politischen Diskurse, die Entwicklungen in den Herkunftsländern, spielen eine zentrale Schlüsselrolle. Aber letztendlich haben wir in der Migrationsgesellschaft ja auch Situationen, die dazu führen, dass auch junge Menschen immer mehr der Aufnahmegesellschaft den Rücken zukehren und radikale Vorstellungen von solchen ethnisch-nationalistischen oder islamistischen Strukturen wiederfinden."
Verbot löst nicht alle Probleme
Ein Verbot der "Grauen Wölfe" in Deutschland hält der Erziehungswissenschaftler zwar für dringend notwendig. Das Problem des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland insgesamt werde es aber nicht lösen. "Denn die "Grauen Wölfe" werden sich dadurch ja nicht in Luft auflösen", sagt auch der Migrationsforscher Burak Copur von der Universität Duisburg-Essen über die aktuellen Verbotsforderungen:
"Die politische Bildung muss massiv gestärkt und ausgebaut werden und in Schulen müssen Fragen wie der Völkermord an den Armeniern oder die Kurdenproblematik zum festen, verpflichtenden Bestandteil des Lehrplans im Politik- und Geschichtsunterrichts werden. Der nationalistischen Gehirnwäsche in einigen türkischen Familien oder dem Einfluss der sozialen Medien aus der Türkei muss auch der deutsche Staat hier etwas entgegensetzen."