Donnerstag, 28. März 2024

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Türkische Spitzel in Deutschland
"Die deutschen Geheimdienste müssen das verhindern"

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele verlangt Aufklärung über mögliche Aktivitäten türkischer Geheimdienste in Deutschland. Sollten die Vorwürfe zutreffen, müssten sich auch deutsche Nachrichtendienste fragen, "ob sie sich mitschuldig machen", sagte Ströbele im DLF.

Christian Ströbele im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.08.2016
    Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, spricht im Deutschen Bundestag.
    Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, spricht im Deutschen Bundestag. (imago / Metodi Popow)
    Der türkische Geheimdienst MIT unterhält nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" in Deutschland ein Informanten-Netz mit Tausenden Mitarbeitern. Über 6.000 Spitzel versorgen demnach den MIT mit Angaben über die türkische Gemeinde. Es könne außerdem sein, so Ströbele im Deutschlandfunk, "dass Menschen bedroht werden".
    Das müsse verfolgt und Ankara zudem klargemacht werden, "dass in Deutschland die deutschen Gesetze gelten". Deutsche Geheimdienste müssten solche Aktivitäten aber nicht nur verfolgen, sondern auch verhindern.
    Der Grünen-Politiker erklärte, er werde das Thema auf die Tagesordnung einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums setzen. Er wolle wissen, "welche konkreten Konsequenzen die Bundesregierung und deren Geheimdienste ziehen".

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Auf 500 Deutschtürken hierzulande komme ein türkischer Spitzel, der entsprechend der Weisung aus Ankara Druck auf seine Landsleute in Deutschland ausübe – darüber berichtete jedenfalls die "Welt am Sonntag" gestern. Eine Traumquote selbst im Vergleich zur Stasi sozusagen im damaligen Westdeutschland, wenn es denn stimmt. Am Telefon begrüße ich Hans-Christian Ströbele von den Grünen, er ist Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Ströbele!
    Christian Ströbele: Ja, guten Morgen!
    Dobovisek: Was macht der türkische Geheimdienst hier in Deutschland, was wissen Sie?
    Ströbele: Das wollen wir natürlich jetzt ganz genau wissen von der Bundesregierung, nachdem diese Meldungen aufgetaucht sind. Wir haben ja jetzt amtlich von der Bundesregierung, dass die Türkei und Herr Erdogan islamistische Gruppierungen auch in Syrien unterstützt. Und da wird es ja wahrscheinlich so sein, dass der MIT – das ist der türkische Geheimdienst –, dass dieser MIT auch dabei ist und unterstützt. Der türkische Geheimdienst wird auch in Deutschland natürlich versuchen, die Interessen der AKP und Erdogans hier in Deutschland und bei den Deutschtürken hier durchzusetzen.
    Dobovisek: 6.000 Informanten und Spitzel hier in Deutschland – klingt das für Sie plausibel?
    Ströbele: Das scheint mir sehr, sehr hoch zu sein. Aber das sind ja nicht, oder wahrscheinlich sind das ja nicht nur V-Leute, sondern das sind auch Informanten. Aber richtig ist sicher, dass sich der türkische Geheimdienst auch um viele hier in Deutschland kümmert, die etwa mit Terrorismus überhaupt nichts zu tun haben, sondern mit Oppositionellen. Weil wir sehen ja, dass Erdogan und seine Regierung einfache Oppositionelle von der ADP, also einer zugelassenen, im Parlament stark vertretenen Partei, als Terroristen bezeichnet und auch als solche in der Türkei behandelt.
    Das kann "strafrechtlich Konsequenzen haben"
    Dobovisek: Sich zu informieren ist ja zunächst mal nicht verwerflich.
    Ströbele: Sich informieren ist nicht verwerflich, aber wenn man das in einem anderen Land tut, kann das strafbar sein. Also es gibt einen Paragraf 99 des Strafgesetzbuches, geheimdienstliche Agententätigkeit, und noch ist der türkische Geheimdienst ein Geheimdienst einer ausländischen Macht. Das heißt, wenn der türkische Geheimdienst hier als solcher tätig ist und eine Agententätigkeit für die Türkei ausübt, dann kann das strafrechtlich Konsequenzen haben.
    Dobovisek: Es geht ja offenbar nicht mehr bloß um nachrichtendienstliche Erkenntnisse, um das Zusammentragen von Informationen. Es geht offenbar auch um Druck auf Deutschtürken, um Bedrohungen – was bedeutet das für die zukünftige Zusammenarbeit deutscher Geheimdienste und Sicherheitsbehörden mit den türkischen Kollegen?
    Ströbele: Diese Meldung habe ich auch mit großem Interesse und Entsetzen zur Kenntnis genommen. Das kann natürlich und das darf auf gar keinen Fall sein, dass Menschen in Deutschland, möglicherweise auch welche, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, vom türkischen Geheimdienst unter Druck gesetzt werden, dass sie bedroht werden hier durch den türkischen Geheimdienst. Wenn sowas passiert, dann muss das verfolgt werden. Vor allen Dingen muss der türkischen Regierung klargemacht werden, dass in Deutschland die deutschen Gesetze gelten. Und da ist auch nicht ein türkischer Geheimdienst so mächtig, dass er dagegen verstoßen darf, ohne, dass das geahndet wird.
    "Solche Aktivitäten in Deutschland verhindern"
    Dobovisek: Aber noch mal die Frage: was bedeutet das für die deutschen Dienste, die ja nun sozusagen partnerschaftlich auch mit anderen Geheimdiensten zusammenarbeiten?
    Ströbele: Genau. Der türkische Geheimdienst ist ein Partner der deutschen Geheimdienste, und das kann auch und das war in der Vergangenheit auch etwas bei der Verfolgung von Terroristen, die nach Deutschland einreisen wollten oder auch die aus Deutschland in den Krieg, etwa nach Syrien, ausreisen wollten, sinnvoll gewesen sein. Aber das kann natürlich der deutsche Geheimdienst nicht nur nicht unterstützen, sondern das muss er verhindern. Es ist Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz, solche Aktivitäten in Deutschland, und zwar konsequent, zu verhindern.
    Dobovisek: Nun ist das, was die Geheimdienste tun, ja naturgemäß immer im Verborgenen. Da erfahren wir in der Öffentlichkeit nicht allzu viel darüber. Jetzt wollen die Kollegen vom "Spiegel" vor einiger Zeit erfahren haben, ein Dokument gesehen haben, nach dem der türkische Geheimdienst den Bundesnachrichtendienst aufgefordert habe, die Türkei im Kampf gegen die Gemeinden des Islampredigers Fethullah Gülen zu unterstützen. Kann es eine solche Unterstützung geben?
    Ströbele: Nein, das kann auf gar keinen Fall sein. Wir müssen den türkischen Behörden und insbesondere dem Geheimdienst ganz, ganz deutlich sagen und vor Augen führen, dass in Deutschland, wenn jemand verfolgt werden soll, zuständig … also wenn jemand Straftaten begangen haben solle oder an Straftaten beteiligt gewesen sein soll, dass dann ganz enge Voraussetzungen vorliegen müssen, dass dann die Polizei zuständig ist, das dann gerichtet kontrollieren.
    Das wäre ja alles bei einer solchen klammheimlichen Zusammenarbeit zwischen türkischem MIT und deutschem Geheimdienst überhaupt nicht möglich. Das heißt nicht nur, dass die deutschen Geheimdienste sich dem absolut verweigern müssen, sondern sie müssen das sogar verhindern. Sie müssen, sie sind verpflichtet, das aufzuklären und das notfalls der Polizei mitzuteilen, damit sie entsprechende Maßnahmen ergreift.
    Ströbele: Prüfen, ob sich deutsche Dienste mitschuldig machen
    Dobovisek: Nun gibt es aber – das ist ja der Fakt, den Sie auch schon erwähnt haben, Herr Ströbele – eine Kooperation zwischen den Diensten. Einen Streit – das haben Sie auch schon erwähnt – gab es jüngst um die Einschätzung des Innenministeriums, nach der die Türkei als Unterstützer und zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppen im Mittleren Osten eingeschätzt wird. Müssen sich dann, Herr Ströbele, die deutschen Dienste fragen, ob sie mit ihrer Kooperation ebenfalls Terroristen unterstützen?
    Ströbele: Genau diese Frage müssen sie sich stellen, ob sie sich mitschuldig machen, wenn sie da zusammenarbeiten. Das kann und das darf auf gar keinen Fall sein. Man muss ja sehen, wenn ein Deutscher oder ein Mensch, der in Deutschland lebt, eine terroristische Vereinigung, etwa die Nusra-Front, die der al-Qaida nahesteht, in Syrien unterstützt, wenn er das hier tut und wenn dafür Belege und Beweise vorliegen, dann muss er sich hier in Deutschland strafrechtlich verantworten. Dann ist das eine schwere Straftat, die auch verfolgt wird und wo Menschen für längere Zeit ins Gefängnis kommen.
    Das heißt, das, was für Deutsche in Deutschland oder für hier in Deutschland Lebende strafbar ist, das darf natürlich auf gar keinen Fall ein türkischer Geheimdienst hier in Deutschland tun, und gar nicht geht, dass deutsche Geheimdienste das auch nur dulden, geschweige denn zusammenarbeiten.
    Dobovisek: Wie wollen Sie all das aufklären?
    Ströbele: Wir versuchen das jetzt. Ich habe eine Sondersitzung des parlamentarischen Kontrollgremiums beantragt. Die wird unmittelbar nach Ende der Sommerpause, also Anfang September stattfinden, und da werden wir uns als erstes informieren lassen. Und wir wollen wissen, welche konkreten Konsequenzen die Bundesregierung und deren Geheimdienste aus den neueren Erkenntnissen ziehen.
    "Der Rechtsstaat bleibt auf der Strecke"
    Dobovisek: Sie sind ja, Herr Ströbele, auch als Außenpolitiker Ihrer Fraktion unterwegs. Wenn wir da jetzt mal auf das Verhältnis insgesamt zwischen beiden Staaten blicken, zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen der Türkei und der EU insgesamt, und wir blicken auf das, was passiert in der Türkei, was wir in den letzten Wochen und Monaten beobachten – ist die Türkei für Sie noch ein demokratischer Staat?
    Ströbele: Es gibt ganz erhebliche Zweifel, dass die Türkei derzeit ein Rechtsstaat ist. Zwar finden Wahlen statt, und die Abgeordneten, auch die Regierung, sind durch Wahlen legitimiert. Aber der Rechtsstaat bleibt auf der Strecke, weil es nicht mehr darum geht, durch Beweise belegt, Menschen zu verfolgen, sondern weil es nur offensichtlich reicht politisch verdächtig zu sein und politisch oppositionell verdächtig zu sein, um jemanden ins Gefängnis zu bringen, zu bedrohen oder eine Zeitung zuzumachen und ihn zu verfolgen.
    Dobovisek: Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele für seine Bundestagsfraktion unterwegs im parlamentarischen Kontrollgremium. Ich danke Ihnen, Herr Ströbele!
    Ströbele: Ja, auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.