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Türkische Zensur nimmt Google ins Visier

Im Netz surfen, Videos schauen und sich online mit Freunden verabreden - in der Türkei ist dies nicht uneingeschränkt möglich. Denn der Staat zensiert nach wie vor das Internet und hat nun neben YouTube auch Google im Visier.

Von Gunnar Köhne | 02.08.2010
    Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, zeigte sich Anfang des Monats in einem Bericht über die Onlinezensur in der Türkei entsetzt. Mit so einer Bilanz stelle sich der EU-Beitrittskandidat auf dem Gebiet der Internetzensur in eine Reihe mit Staaten wie Nord-Korea, Iran oder Burma. Bereits seit zwei Jahren ist das Internetportal YouTube in der Türkei gesperrt – ein Gericht in Ankara hatte sich an Videoclips gestört, auf denen seiner Ansicht nach das Ansehen des türkischen Republikgründers Kemal Atatürk verunglimpft werde. Nun hat es die türkische Regierung auf den hinter YouTube stehenden multinationalen Konzern Google abgesehen. Nach Ansicht des für das Internet zuständigen Transportministers Binyali Yildirim, müsste Google in der Türkei eine Niederlassung haben und Werbeeinnahmen aus der Türkei ordnungsgemäß versteuern.

    "Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Diese Firma kann so groß und weltumspannend sein, wie sie will – hier muss sie sich dem Gesetz unterwerfen wie jeder türkische Staatsbürger auch."

    Doch Google lehnt eine türkische Niederlassung mit dem Hinweis ab, sie habe auch in zahllosen anderen Ländern keine Dependance. Vor allem aber scheut das Unternehmen ein Türkei-Büro, weil es sich dann für Inhalte ihrer Internetdienste vor türkischen Gerichten verantworten müsste. Und dass bei türkischen Richtern im Zweifel die Meinungsfreiheit hintanstehen muss, das hat Haluk Sahin, Istanbuler Professor für Medienwissenschaften schon oft beklagt:

    "Das sind die Auswüchse einer tief verwurzelten Mentalität. Bei uns gibt es keine liberale Tradition, in der die Meinungsfreiheit als fundamentaler Teil einer modernen Gesellschaft angesehen wird. Darum reagieren Juristen heute genauso wie ihre Großväter – nämlich mit Verboten."

    Im Falle von Google lassen die Behörden zwar die Internet-Suchmaschine des Konzerns weitgehend unbeschadet, doch andere Google-Dienste wie Google Maps oder Google Earth laufen seit einigen Monaten gar nicht oder nur sehr langsam. Darunter leiden nicht nur Freizeit-Nutzer des Internets. Für Archäologen in der Türkei etwa ist das Satelliten-Foto-Programm Google Earth ein wichtiges Hilfsmittel bei der Suche nach Siedlungshügeln. Viele türkische Web-Nutzer haben die Zensur umgangen, indem sie anonyme Proxy-Server nutzten – doch auch hier hat ein türkisches Gericht bereits etliche solcher Serveradressen auf den Index gesetzt. Das Gebaren von Justiz und Behörden ist inzwischen selbst dem Staatspräsidenten Abdullah Gül unangenehm:

    "So etwas sollte in unserem Land nicht vorkommen. Ich habe weitere Informationen angefordert. Ist das Problem nur ein steuerrechtliches? Dann sollten meiner Meinung die Gesetze angepasst werden."

    Der türkische Transportminister konterte: Auch in Europa könnten Webseiten mit Blick auf den Jugendschutz oder etwa wegen Aufrufes zur Gewalt gesperrt werden. Doch es gebe einen wesentlichen Unterschied, sagt der Istanbuler Rechtsanwalt Yasin Beceni, der die Interessen zahlreicher IT-Unternehmen in der Türkei vertritt:

    "Im Unterschied zu Europa oder Amerika fehlt den Richtern hier jegliche Bildung in dieser Frage. Darum können Sie die Folgen ihrer Entscheidungen nicht einschätzen. Sie müssen zunächst einmal verstehen, was das Internet ist, um abwägen zu können, ob man wegen einer Beleidigungsklage gleich Zehntausende vom freien Internetzugang aussperrt."

    Massenproteste gegen die Zensurmaßnahmen blieben bislang aus, die Internetgemeinde scheint gespalten. Viele nationalistische Kreise befürworten Verbote gegen vermeintlich untürkische Inhalte im Netz. Die internationale Kritik hat bislang nur bewirkt, dass die Regierung eine Prüfung der Rechtslage zugesagt hat. Haluk Sahin, der Medienwissenschaftler, glaubt aber nicht an eine baldige Einsicht bei den Verantwortlichen:

    "Niemand rührt auch nur einen Finger, um an diesem Zustand ernsthaft etwas zu ändern – trotz aller Versprechen. Die ganze Angelegenheit macht die Türkei zu einem peinlichen Ort."


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