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Türkischer Fußballverband in Deutschland
Talente fördern oder abwerben?

Nuri Sahin, Mesut Özil, Ilkay Gündogan - die Liste deutsch-türkischer Profifußballer ist lang. Und beide Verbände wollen die Talente: Während der DFB auf die deutsche Ausbildung verweist, versucht der türkische Verband sie aufgrund ihrer Herkunft zu überzeugen. Jetzt will ein neuer türkischer Verband in Deutschland türkeistämmige Talente stärker fördern.

Von Fatih Aktürk | 11.08.2019
Ismail Erdem (Vorstandsmitglied Türkischer Fussballverband TFF), Levent Karaca (ATFF-Präsident), Nihat Özdemir (TFF- Präsident), Hamit Altintop (Vorstandsmitglied und ehemaliger Bundesliga-Profi).
Ismail Erdem (Vorstandsmitglied Türkischer Fussballverband TFF), Levent Karaca (ATFF-Präsident), Nihat Özdemir (TFF- Präsident), Hamit Altintop (Vorstandsmitglied und ehemaliger Bundesliga-Profi). (ATFF)
Berlin, Oktober 2010. Das EM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und der Türkei. In der 79. Spielminute schießt Mesut Özil im Dress der deutschen Nationalmannschaft ein Tor gegen die Heimat seiner Eltern. Laute Proteste von den türkischen Rängen, trotz verhaltenem Torjubel.
Auch wenn er es heute, nach dem Eklat um sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, vielleicht bereut: Özil entschied sich 2009 bewusst für die DFB-Auswahl. Dabei ist die Frage, ob deutsche oder türkische Nationalmannschaft, oft eine Qual für junge Sportler mit zwei oder mehr Heimaten. In der Vergangenheit gab es immer wieder Streit um deutsch-türkische Talente. Es soll laut Medienberichten sogar Treffen zwischen türkischen Vertretern und einer Delegation um Bundestrainer Joachim Löw gegeben haben, bei denen angeblich Regeln für das Abwerben von Deutsch-Türken bestimmt wurden.
"Ich weiß nur, dass in ganz Europa sehr, sehr talentierte türkischstämmige Fußballer sind und das ist eben unsere Arbeit, diese talentierten Fußballer für unseren Verband zu gewinnen."
Geht der neue Verband in die Offensive bei der Talentsuche?
So beschrieb Erdal Keser, damaliger Chefscout des türkischen Fußballverbands, schon 2012 in einem TV-Interview im WDR die Bemühungen der Türkei um die jungen Sportler. Jetzt soll die Suche anscheinend intensiviert werden. Eine Gruppe türkeistämmiger Unternehmer und ehemaliger Sportfunktionäre hat nämlich den Fußballverband "European Turkish Football Federation" (ATFF) mit Sitz in Frankfurt gegründet. Geht der türkische Fußballverband damit in die Offensive bei der Suche nach deutsch-türkischen Talenten? Der neue Frankfurter Verband selbst widerspricht dem. Man werde institutionell und finanziell unabhängig vom türkischen Verband arbeiten. Präsident Levent Karaca:
"Der ATFF hat derzeit keine Beziehung zum türkischen Fußballverband TFF. Wir haben bislang nur ein Gespräch mit dem TFF geführt und den neuen TFF-Präsidenten besucht, um ihm zu seiner neuen Stelle zu gratulieren. Außerdem haben wir über die türkischen Vereine in Europa gesprochen."
Für Anil Polat, Mitherausgeber von GazeteFutbol, eines deutschen Onlineportals über den türkischen Fußball, ist die Gründung eines solchen Verbands keine Überraschung. Dass die Arbeit tatsächlich unabhängig vom türkischen Fußballverband läuft, daran glaubt Polat nicht wirklich:
Unabhängigkeit wäre "willkommene Ausnahme"
"Selbst wenn man den Schein nach außen hin aufrechterhalten kann, so wird es hinter verschlossenen Türen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Rücksprachen, Forderungen und Vorgaben aus der Türkei geben. Dabei wäre eine unabhängige Arbeitsweise mit einem anderen Blickwinkel hier von Deutschland aus wünschenswert und sicherlich nicht verkehrt. Sollte es wider Erwarten dennoch eine autarke Arbeitsweise geben, wäre dies eine willkommene Ausnahme."
Der Verband selbst beteuert, dass man keine Konkurrenz zum Deutschen Fußball-Bund sein wolle. Im Gegenteil: Vielmehr wolle man mit dem DFB kooperieren und die Talente sogar vorrangig dem Deutschen Fußballbund vorstellen. Dazu Levent Karaca:
"Wir haben so viele türkische Talente. Nicht alle werden entdeckt. Durch unser Projekt wird sich das verändern. Unser vorrangiges Ziel ist es, dem DFB die talentiertesten Spieler zu präsentieren. Aber auch dem türkischen Verband werden wir diese Talente vorstellen. In jeden unserer Schritte wollen wir unbedingt den DFB einbinden."
DFB weiß noch nichts von den Plänen
Dem DFB sind die Pläne bislang allerdings nicht bekannt. Das teilte ein Mitarbeiter der Pressestelle auf unsere Anfrage hin mit. Für den ATFF ist eine langfristige Beziehung zum DFB aber wichtig, so sagt es zumindest Levent Karaca. Man wolle etwas für die deutsch-türkische Jugend tun. Dafür habe man konkrete Pläne:
"Wir haben in Deutschland drei Pilotregionen gewählt, in denen wir Sportzentren gründen wollen. In diese Zentren sollen die Talente ein- bis zweimal eingeladen und beobachtet werden. Wir werden uns aber gleichzeitig auch um ihre schulische Bildung und auch um ihre Integration in Deutschland kümmern."
Zusammenarbeit mit deutsch-türkischen Vereinen geplant
Auch mit deutsch-türkischen Fußball-Vereinen will der ATFF zusammenarbeiten, um Talente zu finden. Einer davon ist der SC Türkgücü Darmstadt. Mit den Hessen will man gemeinsame Sportcamps organisieren und Sichtungen vornehmen. Der Vorsitzende Ümit Cengiz glaubt an das Projekt.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Talente entdecken werden. Letztendlich gibt es viel Potenzial rund um Darmstadt und deutschlandweit. In der Vergangenheit hatten wir auch schon sehr viele Spieler gehabt, die Talent hatten, aber aufgrund der Möglichkeiten und der Beziehungen, die gefehlt haben, nicht gefördert werden konnten."
Nachwuchsspieler: Beziehungen fehlen bisher
Salman Mengilli kennt das Problem nur zu gut. Er liebt den Fußball. In einem Fußballverein am Mittelrhein spielt der 15-Jährige als Torhüter. Salman hat große Ambitionen, eine große Motivation und ist talentiert. Sein Ziel ist es, einmal Profifußballer zu werden. Doch er sieht ein großes Problem. Nämlich "Vitamin B", also die richtigen Beziehungen.
"Nur Talent reicht nicht aus, man braucht auch Training, um dieses Talent zu fördern. Und Connections sind sehr wichtig. Stellen wir uns mal vor, man lebt in einem Dorf, spielt Fußball, ist zwar sehr gut, aber da sind einfach keine Leute, die dich scouten, damit du weit kommst."
Mit der Gründung eines türkischen Fußballverbands in Deutschland würden mehr Talente entdeckt, glaubt Salman. Die Hoffnungen, die er auf den ATFF setzt, sind also groß. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist der Verband breit aufgestellt. Ein Blick in den Gesamtvorstand zeigt, dass nicht nur Unternehmer und Sportfunktionäre dabei sind, sondern auch Ex-Sportler. Laut ATFF-Präsident Karaca erhofft sich keiner der Verbandsmitglieder einen finanziellen Vorteil durch die neue Aufgabe:
Unterschiedliche politische Ansichten im neuen Verband
"Keiner unserer Freunde verdient durch den Fußball Geld. Jeder von ihnen ist finanziell unabhängig. Sie interessieren sich einfach nur in sozialer Hinsicht für diesen Sport. Wir wollen Fußballer fördern und diesen Jugendlichen auch dabei helfen, sich in die Gesellschaft, in der sie leben, zu integrieren. Sie sind alle Unternehmer, aber nicht Menschen, die es auf ein paar Tausend Euros abgesehen haben."
Interessant sind auch die politischen Hintergründe der Verbandsmitglieder. Für türkische Verhältnisse ungewöhnlich, vertreten sie unterschiedliche politische Ansichten. Wie kommt es dazu? Levent Karaca sagt, dass die Vorstandsmitglieder alle den Fußball lieben.