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Tunesien, Algerien und Marokko
Alles sichere Herkunftsländer?

Nach dem Anschlag in Berlin ist die Diskussion darüber neu entbrannt, wie Migranten aus dem Maghreb schneller abgeschoben werden können. Eine Möglichkeit wäre, Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsländer zu deklarieren. Doch die Situation in den drei Ländern ist sehr unterschiedlich.

Von Elisabeth Lehmann | 12.01.2017
    Ein Mann mit einem Esel und drei Frauen in traditioneller Kleidung gehen auf einer Straße bei Ait-Ben-Haddou (Marokko).
    Kann man die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären? (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Ein lauer Herbstabend in Tunis. Der Garten der Villa 78 im Zentrum der tunesischen Hauptstadt ist voll mit jungen Menschen, die Bier und Wein trinken, rauchen, tanzen und flirten. Mittendrin Abdessamad Ayash. Er ist Marokkaner, Journalist und Staatsfeind. Sein Weg nach Tunis war nicht einfach:
    "Am Flughafen in Marokko hat man mir gesagt, ich werde gesucht, weil ich angeblich die Staatssicherheit bedroht haben soll. In diesem Moment wusste ich selbst noch nicht einmal was von dem Vorwurf. Ich konnte mit niemandem reden. Keiner wollte mir sagen, was Sache ist. Dann habe ich einen normalen Polizisten gefragt, der sagte mir: Wir haben Befehle, dich nicht ausreisen zu lassen."
    Im November 2015 wurde Ayash und seinen Kollegen der Prozess gemacht. "Reporter ohne Grenzen" hat diesen als politisch motiviert eingestuft. Ayashs Vergehen: Er hat für eine auch mit Spenden aus Deutschland unterstützte Organisation in Rabat Bürgerjournalisten ausgebildet.
    "Das war dem Staat ein Dorn im Auge. Ich und meine Kollegen wurden nach Artikel 206 des Strafgesetzes angeklagt. Der besagt, dass jeder, der Geld aus dem Ausland bekommt, mit dem Ziel, die Gefolgschaft des Bürgers zum Staat zu destabilisieren, mit einem bis fünf Jahre Gefängnis bestraft wird."
    Spielraum für Kritik wird immer kleiner
    Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik beschäftigt sich seit Jahren mit der Situation in Tunesien, Algerien und Marokko.
    "Sowohl für Algerien als auch für Marokko gilt, dass die Spielräume für sehr kritische Akteure immer kleiner werden und dass es immer schwieriger wird. Also, wenn man sich im Mainstream bewegt, dann hat man relativ große Freiheiten in Marokko, in Algerien vielleicht etwas weniger. Aber ganz schwierig ist es für kritische Stimmen, und da werden die Räume immer, immer enger. Das sind Journalisten. Investigativer Journalismus ist in Marokko kaum mehr möglich."
    Auch deshalb beobachtet Werenfels die deutsche Debatte, ob die Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können, sehr genau.
    "Es gibt den Druck der Rechtspopulisten, dass man möglichst viele Maghrebiner wieder zurückschafft. Und es ist auch so, dass die Maghrebiner generell tatsächlich, diejenigen, die hierherkommen, in der Regel mehrheitlich nicht verfolgt sind. Sodass sich die Frage zu Recht stellt. Aber das bedeutet eben nicht, dass man nicht differenzieren sollte."
    Urteil des Bundesverfassungsgerichts über sicherer Herkunftsstaaten
    Das Grundgesetz sagt, dass weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung in einem Land stattfinden darf, das Deutschland zum sicheren Herkunftsstaat ernennen will. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1996 geht noch einen Schritt weiter - Zitat: "In den betreffenden Staaten muss Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen."
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) weiß um die Bedenken, die gegen sein Vorhaben sprechen: "Das Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen an die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat. Es räumt dem Gesetzgeber jedoch einen breiten Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum für die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat ein."
    Keine Verfolgung muss flächendeckend garantiert sein
    Und so hat sein Haus ein Gesetz vorgelegt, wonach die Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten sollen. Der Bundestag hat es im vergangenen Mai angenommen, der Bundesrat jedoch nicht. Bis heute gibt es wegen der elf Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Grünen in der Länderkammer auch keine Mehrheit für dieses Gesetz. Und auch für Isabelle Werenfels stellt sich nach wie vor die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar wäre:
    "In so gut wie allen Fällen von Staaten, die wir zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben, würde es, wenn man mit der Lupe hinschaut, Konflikte mit unserem Grundgesetz geben, wenn man das so interpretiert, nämlich dass es flächendeckend, absolut flächendeckend gewährleistet sein muss, dass keine Verfolgung stattfindet."
    Doch der innenpolitische Druck ist hoch. Und de Maizière will zeigen: Wir tun etwas! Am Freitag und Samstag trifft sich der CDU-Bundesvorstand zur Klausur. Und in der Union gibt es Überlegungen, die Grünen zum Start des Wahljahres Farbe bekennen zu lassen und das Gesetz im Bundesrat erneut zur Abstimmung zu stellen. Erste Gelegenheit dazu wäre am 10. Februar.
    Kölner Silvesternacht als Auslöser
    Auslöser ist Köln, Silvester 2015: Hunderte Männer belästigen Frauen, bestehlen Feiernde. Die Zahlen sind bekannt: Über 1.200 Anzeigen, 513 davon wegen sexueller Belästigung, 333 ermittelte Beschuldigte, davon stammen fast 200 aus Nordafrika.

    Freitag, 19 Uhr im "Sidi Moumen Kulturzentrum". Hunderte Kinder und Jugendliche lernen hier nach der Schule Englisch, Mathe oder Gesang. Sie wissen: Sie haben wenig Chancen im Leben. Ohne Bildung haben sie ganz verloren.
    Sidi Moumen ist ein Slum am Rande der marokkanischen Metropole Casablanca. Ursprünglich als Müllkippe angelegt, leben heute etwa 500.000 Menschen hier. Viele in Wellblechhütten ohne Strom und Wasser. Auf dem Hof des Kulturzentrums steht ein gelber, amerikanischer Schulbus. Darin sitzt Abdeslam mit zwei Freunden. Sie spielen mit ihren Handys.
    Polizisten umringen am 31.12.2016 vor dem Hauptbahnhof in Köln eine Gruppe südländisch aussehender Männer. 
    Polizeieinsatz in der Kölner Silvester-Nacht 2016/2017 (dpa)
    "Ich war Silvester in Brüssel. Als ich von Köln gehört hab’, fand ich das richtig scheiße. Ich habe mich fremdgeschämt. Warum versauen diese Leute die Chancen anderer?! Du kannst nicht mal mit Frauen normal reden, weil du Marokkaner bist. Sie denken, der ist Marokkaner, der will mich beklauen, der will mich verarschen. Als käme ich von einem anderen Planeten."
    Keinerlei Perspektive in Marokko
    Abdeslam ist im Herbst 2015 nach Deutschland aufgebrochen. Der heute 21-Jährige hat es immerhin bis nach Frankfurt geschafft, hat sich dort als Minderjähriger ausgegeben und Asyl beantragt. Am Anfang sei es gut gelaufen, erzählt Abdeslam. Er konnte zur Schule gehen, hatte Freunde. Doch dann sei er von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim geschickt worden. Und irgendwann hatte er das ewige Warten satt, hat aufgegeben und ist freiwillig nach Casablanca zurückgeflogen.
    "Ich hatte es bis nach Europa geschafft! Und ich bereue, dass ich zurückgekommen bin. Nicht weil Marokko schlecht ist, Marokko ist gut. Das beste Land in der Welt, ich schwöre! Es gibt alles. Aber nur wenn du was hast, bist du hier wertvoll. Wenn nicht, bist du wertlos. Das ist Marokko. Ich habe überall Arbeit gesucht, aber es gibt einfach keine."

    Und so verbringt Abdeslam die meisten Tage hier im Kulturzentrum und versucht, die Zeit totzuschlagen.
    Ein Bewohner des marokkanischen Elendsviertels Sidi Moumen läuft mit Behältern an zwei Kindern vorbei.
    Ein Bewohner des marokkanischen Elendsviertels Sidi Moumen läuft mit Behältern an zwei Kindern vorbei. (afp / Fadel Senna)
    Das Zentrum mit Spendengeldern vor allem aus den USA gegründet hat Boubker Mazoz, ein älterer Herr mit randloser Brille und Halstuch. Er hat lange für die amerikanische Botschaft gearbeitet, kommt aus einem besseren Teil von Casablanca. Doch als sich 2003 14 Selbstmordattentäter in der Innenstadt von Casablanca in die Luft sprengten, beschloss er aktiv zu werden. Alle 14 Attentäter kamen aus Sidi Moumen.
    "Das Viertel hat einen schlechten Ruf, mit dem die Jugendlichen hier bis heute leben müssen. Sie bekommen nicht mal einen Job, wenn sie die Adresse Sidi Moumen in der Bewerbung angeben. Sie schreiben die Straße oder das Viertel, nur um das Wort Sidi Moumen zu vermeiden. Ich versuche ihnen hier, Selbstvertrauen und ihre Würde zurückzugeben."
    Im Herbst 2015 habe es einen regelrechten Exodus in Sidi Moumen gegeben, erzählt Mazoz. Die Jungs hatten die Bilder von offenen Grenzen gesehen und sich auf den Weg nach Deutschland gemacht.
    "Die Jugendlichen haben einen Traum. Denn hier haben sie das Gefühl: Wir sind nutzlos. Wir leben noch bei den Eltern, wir haben keine Zukunft, alle schauen auf uns herab. Wir müssen es also allen beweisen, dass wir es schaffen. Und zwar schnell. Und dort drüben sammeln viele Marokkaner dann Müll oder putzen Scheiben. Aber ihren Freunden hier schicken sie Bilder im schicken Anzug neben einem Mädchen."
    Auch Abdeslam hat solche Bilder auf seinem Handy. Schöne Erinnerungen.
    Flucht aus wirtschaftlichen Gründen
    "Ich hätte mehr Geduld aufbringen müssen. Auch wenn Deutschland schwierig ist für Marokkaner. Auch Heiraten hilft dort nicht unbedingt. Du brauchst dort ein Diplom oder so. In meinem Facebook-Profil nenne ich mich "der Deutsche". Alle nennen mich "den Deutschen". Ich liebe Deutschland, weil es dort Respekt gibt. Man behandelt dich mit Würde, du siehst dich selbst als wertvoll an. Du fühlst dich wie ein Mensch."
    Abdeslam will noch einmal versuchen, nach Deutschland zu kommen. Doch er wird nicht politisch verfolgt. Er ist nicht homosexuell. In Deutschland gilt er für viele wohl als klassischer sogenannter "Wirtschaftsflüchtling". Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland bleiben zu dürfen, geht damit gen Null.

    Im Jahr 2016 haben etwa 8.000 Menschen aus den Maghreb-Staaten in Deutschland Asyl beantragt. Nur in wenigen hundert Fällen war der Antrag erfolgreich. Alle anderen wurden abgeschoben. Sollten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, könnten diese Abschiebungen noch schneller vollzogen werden – so das Argument der Bundesregierung. Ein sehr schlagkräftiges vor dem Hintergrund des Attentats vom 19. Dezember in Berlin.
    Anis Amri sollte abgeschoben werden
    Der Attentäter Anis Amri, ein Tunesier, hatte in Deutschland um Asyl gebeten. Sein Antrag wurde abgelehnt und Amri sollte ausreisen. Er war als islamistischer Gefährder eingestuft, saß zwei Tage in Abschiebe- beziehungsweise Sicherungshaft, musste dann aber freigelassen werden, weil sein Heimatland ihn zunächst nicht aufnehmen wollte. Tunesien lieferte die zur Ausreise nötigen Dokumente am 21. Dezember – zwei Tage nachdem Amri im Namen des selbst ernannten Islamischen Staates IS zwölf Menschen getötet hatte.

    Als Konsequenz aus diesem Fall haben sich de Maiziere und sein SPD-Kollege, Justizminister Maas, in dieser Woche auf ein härteres Vorgehen gegen sogenannte Gefährder geeinigt. Unter anderem sollen sie in Abschiebehaft genommen werden können - bis zu 18 Monate. Mit den Herkunftsländern wird über die Rückführung abgelehnter Asylbewerber verhandelt. Notfalls müsse – so die Minister - auch über die Entwicklungshilfe nachgedacht werden, um den Druck auf die Herkunftsländer zu erhöhen. Gelder aus Deutschland fließen nach Marokko und Tunesien.
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (l, CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD)
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (l, CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) (picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Proteste in Tunis gegen rückkehrende IS-Kämpfer
    Tunis, der Platz vor dem Parlament. Hunderte Menschen haben sich versammelt. Sie halten Schilder hoch auf denen steht "Keine Toleranz, keine Gnade". Sie demonstrieren gegen die Rückkehr von IS-Kämpfern. Und gegen eine Aussage von Präsident Essebsi, dass die Regierung nicht verhindern könne, dass diese Extremisten wieder ins Land kommen.
    "Wir Tunesier haben Angst und wir werden nicht schweigen. Wir haben Angst, aber wir kämpfen für unser Land."
    "Diese Extremisten haben Verbrechen gegen die Menschheit begangen, terroristische Akte. Sie müssen bestraft werden. Auch hier in Tunesien."
    Je nach Quelle haben sich zwischen 5.000 und 8.000 Tunesier dem IS angeschlossen. Eine beachtliche Zahl bei gerade einmal elf Millionen Einwohnern.
    "Die Jugendlichen sind meist zwischen 18 und 27 Jahre alt. Wir haben beobachtet, dass viele von ihnen Naturwissenschaften studieren. Ich kenne einen Fall von einem Jungen, der im letzten Jahr seines Studiums zum Flugzeugingenieur war."
    Mohamed Iqbal ist ein großer, kräftiger Mann. Er wird hektisch, wenn er über die Jungs spricht, die zum IS gegangen sind. Denn sein Bruder Hamza ist einer von ihnen. 2013 ist er innerhalb weniger Tage nach Syrien aufgebrochen – und genauso schnell wieder zurückgekehrt. Iqbal sagt, er habe ihn zurückgeholt mit Hilfe seiner Organisation "Ratta", "Initiative zur Rettung im Ausland festgesetzter Tunesier". Doch möglich ist auch, dass Hamza dem IS nichts nützt, weil er im Rollstuhl sitzt und deswegen aus Syrien zurückgeschickt wurde. Auf jeden Fall steht er seitdem auf der schwarzen Liste der tunesischen Regierung. Dabei, findet Iqbal, seien die jungen Männer nur bedingt schuldfähig:
    "Viele wurden nicht nur körperlich festgesetzt im Ausland, sondern auch mental. Natürlich sind viele freiwillig hingegangen, aber ich sehe, dass bei den meisten eine Art Gehirnwäsche stattgefunden hat. Die Ideen in ihren Köpfen wurden bearbeitet. Ideen aus dem Islam zum Beispiel. Der Islam würde nie einen Menschen dazu zwingen, einen anderen Menschen zu töten."
    Hunderte Familien haben sich schon an Iqbal gewendet und ihn um Hilfe gebeten. "Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wir versuchen den jungen Menschen zu verdeutlichen anhand von Beispielen, die wir kennen, welche Auswirkungen es auf sie und ihre Familien hat, wenn sie zum IS reisen."
    Vorbildfunktion Tunesiens
    Tunesien gilt eigentlich als der Musterschüler der arabischen Staaten. Das Land, in dem der arabische Frühling seinen Anfang nahm, hat heute eine frei gewählte Regierung, Islamisten und Säkulare kommen miteinander aus, die Medienlandschaft ist vielfältig, Journalisten können weitgehend ungehindert berichten. Es ist daher mit Marokko und Algerien kaum vergleichbar, sagt Politikwissenschaftlerin Isabelle Werenfels.
    "Deswegen würde ich immer sagen, Tunesien ist von diesen drei Staaten derjenige, den man am ehesten und am bedenkenlosesten zum sicheren Herkunftsstaat erklären kann, weil er halt tatsächlich ein demokratisches System eingerichtet hat. Wie gut das in der Praxis funktioniert, ist eine andere Frage. Aber Tunesien ist im Vergleich zu den anderen Staaten unendlich viel weiter, was politische Öffnung und Demokratie betrifft."

    Und auch im Land selbst werde die deutsche Diskussion wahrgenommen und begrüßt: "Ich fand es interessant in Tunesien, dass viele das doch auch als Auszeichnung gesehen haben. Also, nicht nur das Regime, sondern auch regimekritische Akteure, zivilgesellschaftliche Akteure. Sie haben darauf hingewiesen, dass Verfolgung stattfinden und einige sind sehr dagegen, dass es zu diesem Status kommt. Aber auch sehr viele haben wieder gesagt, ja wir sind anders als die anderen, wir sind weiter fortgeschritten. Man hat sich daran gestört, dass man in quasi die gleiche Kiste geworfen wird, wie die beiden anderen Staaten."
    Gegen die Arbeitslosigkeit in Tunesien demonstrierende Menschen in der tunesischen Hauptstadt Tunis am 22.01.2016. Aufgrund von Krawallen und Angriffen auf öffentliche und private Einrichtungen verhängte die tunesische Regierung den Ausnahmezustand und ein nächtliches Ausgangsverbot. EPA/MOHAMED MESSARA
    Gegen die Arbeitslosigkeit in Tunesien demonstrierende Menschen in der tunesischen Hauptstadt Tunis am 22.01.2016. (picture alliance / dpa / EPA/MOHAMED MESSARA )
    Große Bedenken mit Blick auf Algerien
    Vor allem in einem Atemzug mit Algerien genannt zu werden, hört Tunesien nicht gerne. Niemand weiß so richtig, was in Algerien vor sich geht. De facto gibt es keine internationalen Beobachter im Land. Aktivisten berichten von Folter gegenüber Andersdenkenden und Flüchtlingen, die in den schlecht zugänglichen Randgebieten des Landes leben. In einem Bericht von Reporter ohne Grenzen heißt es:
    "Die im vergangenen Frühjahr reformierte Verfassung sowie das Mediengesetz von 2012 verbieten zwar auf dem Papier Haftstrafen für Pressevergehen. In der Praxis ignorieren die Gerichte dies jedoch und wenden in einschlägigen Verfahren fast immer das Strafrecht an. Immer wieder werden Journalisten wegen Delikten wie Beleidigung staatlicher Institutionen, Anstachelung von Unruhen oder Veröffentlichungen gegen die nationalen Interessen belangt."
    Isabelle Werenfels warnt daher davor, Algerien zum sicheren Herkunftsland zu erklären. Deutschland müsse sich die Frage stellen:
    "Welches Signal sendet man an dieses Regime. Und wie legitimiert man ein nicht demokratisches Regime. Das gibt diesen Staaten natürlich auch ein ganz anderes Verhandlungspotenzial. Es ist gewissermaßen ein Persilschein. Das ist sicherlich auch etwas, das man bedenken muss. Nur wir haben inzwischen Präzedenzfälle, wie haben das Abkommen mit der Türkei. Und ich denke, der innere Druck ist inzwischen so groß, dass man an diese Dinge nicht mehr denkt, ob man autoritäre Regime aufwertet oder nicht durch eine solche Deklaration."
    Es ist spät geworden in der Villa78 in Tunis. Abdessamad Ayash will langsam gehen, er hat am nächsten Tag einen Workshop. Er schult auch in Tunesien Bürgerjournalisten. Hier könne er ein bisschen Freiheit atmen, sagt Ayash.
    "Ich glaube, dass der marokkanische Staat sehr intelligent war, das Image zu verbreiten, dass es ein demokratisches und offenes Land ist. In Wahrheit ist es genau das Gegenteil. Marokko ist scheinoffen, wenn man so will. Marokko hat eine Verfassung, die eine Ausweitung von Rechten und Freiheiten vorschreibt. Aber diese Ausweitung wird quasi für nichtig erklärt durch viele andere Gesetze."
    Ayash kann vorerst nicht nach Marokko zurück. Er läuft Gefahr, verhaftet zu werden. Der Prozess gegen ihn und seine Kollegen ist schon mehrmals verschoben worden. Es ist vollkommen offen, wie er ausgeht. Die nächste Verhandlung ist für Ende Januar angesetzt.