Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Tunisreise und Glasmalerei

Die "Tunisreise" von den Malern Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet gilt als Sternstunde der Kunstgeschichte. Der Schweizer Louis Moilliet war durch dieses Erlebnis inspiriert zu Aquarellen. Ihn faszinierte die Farbe als Licht und fand seine Ausdrucksform schließlich in der Glasmalerei.

Von Michaela Gericke | 24.08.2012
    Zwei hohe schwarze Zylinder, ein Glatzkopf, ein großer blauer Sommerhut mit breiter Krempe: Aus leicht schräger Vogelperspektive malt Louis Moilliet im Jahr 1913 die Szene "Berliner Varieté". Das elegante Publikum ist offenbar fasziniert von den tanzenden Mädchen, die sich – mit Reifröcken und bloßer Schulter – grazil bewegen. Sie bleiben anonym wie das Publikum. Die dem Betrachter zugewandten Gesichter sind blasse Farbflächen. Das Gemälde von Louis Moilliet ist eines der wenigen in Öl. Der Schweizer zog es später vor, helle, Licht atmende Aquarellbilder zu malen. Schon im Sommer 1905, während eines Aufenthalts in Graubünden, notiert er in sein Tagebuch:

    "Bei mir geht alles langsam, ich beginne mich etwas an die Farbe zu gewöhnen, das Malen macht mir aber noch viel Mühe, … In dieser Zeit habe ich die Beobachtung gemacht, dass mich das Licht als Beleuchtung, in Verbindung mit den Gegenständen weitaus am meisten interessiert. Und wenn ich an meine bisherigen Studien zurückdenke, finde ich überall dasselbe Interesse in den Arbeiten und komme zu dem Schluss, dass es ursprünglich das Licht war, welches mich bewogen hat, Maler zu werden."

    Louis Moilliet, geboren am 6. Oktober 1880 in Bern, freundete sich am dortigen Gymnasium mit dem ein Jahr älteren Paul Klee an. Doch während Klee schon bald seinen eigenwilligen Weg in der Malerei sucht, wird Moilliet zunächst Dekorationsmaler, nimmt aber anschließend kurze Zeit Unterricht bei Klee. In Worpswede erträgt er die demütigenden Kritiken seines dortigen Lehrers Mackensen - und zweifelt fortan an seiner Fähigkeit als Künstler. Es zieht ihn in den Süden: nach Rom, Sizilien, Korsika; in die Sonne, schließlich nach Nordafrika. Weil er sich dort bald besonders gut auskennt, wollen Paul Klee und August Macke ihn dabei haben, als auch sie 1914 nach Tunesien aufbrechen.

    Die "Tunisreise", als Sternstunde der Kunstgeschichte bezeichnet, ist für Moilliet längst nicht so produktiv wie für seine Malerkollegen, dennoch sind ein paar Blätter des Schweizer Künstlers aus dieser Zeit beispielhaft für seine Aquarelle. Die Farben: hingehaucht, zunächst kubistische Formen löst er auf. Seine Motive: Städte und Landschaften Nordafrikas. Der Künstler will in seinen Bildern Transparenz vermitteln. Das Gemälde "Der Zirkus" - eindeutig inspiriert von August Macke - vollendet Moilliet erst nach dessen frühem Tod im Ersten Weltkrieg. Schicksalsschlägen, zu denen besonders der Tod seiner Frau im Jahr 1916 gehört, folgen Depressionen und künstlerische Misserfolge:

    "Ich fühle mich jetzt so unruhig, so gehetzt, … jetzt ist meine Arbeit immer ein wenig flüchtig; ich eile, ich eile, und ich weiß auch gar nicht, warum - und jetzt sollte ich sehr mutig und besonnen arbeiten, weil meine Aufgabe so schwer ist, und ich sehe es mit jedem Tage immer mehr, dass ich so der Aufgabe nicht gewachsen bin; ich müsste arbeiten Tag und Nacht, und ich müsste viele Stunden im Freien malen, damit ich lerne, das Ganze zu erfassen, dass ich lerne, mich vollständig im Ganzen aufzulösen."

    Hermann Hesse fühlt sich Moilliet freundschaftlich verbunden, er bietet ihm Raum zur Erholung. In Hesses Erzählung "Klingsors letzter Sommer" ist der Maler Louis der Grausame:

    "... vom Himmel gefallen, plötzlich war er da, Klingsors alter Freund, der Reisende, der Unberechenbare, der in der Eisenbahn wohnte und dessen Atelier sein Rucksack war."

    Von 1918 an malt Moilliet nur noch Aquarelle. Farbe und Fläche sind rhythmische Kompositionen und die orphistische Idee des Robert Delaunay – also die Idee von der Farbe als Licht – ist die dauernde große Sehnsucht von Louis Moilliet. Sie findet ihren Ausdruck schließlich in seiner Glasmalerei.

    "Knaben beim Fischfang" – heißen die Szenen der ersten Fenster in Bern, Mitte der 20er-Jahre. Es folgen biblische, figurative Motive, danach entstehen eher abstrakte Kirchenfenster, an seinen letzten für die Bürgerspitalkapelle Bern - mit Szenen der himmlischen und der irdischen Barmherzigkeit – arbeitet er knapp zehn Jahre, bis sie 1959 fertig sind. Drei Jahre später, am 24. August 1962 stirbt Louis Moilliet in Vevey.