Freitag, 19. April 2024

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TV-Debatten ohne AfD
"Das Vorgehen des SWR ist höchst unprofessionell"

Der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hat den SWR für seine Entscheidung scharf kritisiert, die TV-Debatten ohne die AfD stattfinden zu lassen. Er warnte vor weiterer Einflussnahme durch die Politik. "Die Chefredakteure müssen den Parteien ganz klar sagen, so nicht", sagte er im DLF. Die SPD hatte gegen die Einladung eines AfD-Vertreters interveniert.

Nikolaus Brender im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.01.2016
    Der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender
    Der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender forderte im Interview mit dem Deutschlandfunk eine Absage der TV-Duelle. (dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen )
    Der SWR müsse neue Formen der Wahlberichterstattung finden, forderte Brender. Die aktuelle Situation sei "die Quittung für eine widersprüchliche Praxis des SWR bei der Programmgestaltung", so der Fernsehjournalist. Es hätte für diesen Fall von Anfang an Regeln geben müssen. Die Sender müssten klar machen, dass sie die Programmhoheit haben: "Die Chefredakteure müssen den Parteien ganz klar sagen, so nicht."
    AfD profitiert von der Kausa SWR
    Die Politik scheine immer noch zu versuchen, Einfluss auf die Sender zu nehmen, kritisierte Brender. Auf der anderen Seite dürfe auch ein Sender sein Programm nicht den Parteien vorher vorlegen, wie es beim SWR wohl geschehen sei. Von der Kausa SWR profitiere nun vor allem die AfD: "Die Einzigen, die sich jetzt auf die Schenkel klatschen, das sind die Leute der AfD."
    Der SWR hatte entschieden, die AfD nicht zu der geplanten Gesprächssendung einzuladen, nachdem die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) für diesen Fall damit gedroht hatte, nicht zu kommen. Von der Entscheidung des Senders sind auch die ebenfalls nicht im Mainzer Landtag vetretenen Parteien FDP und Die Linke betroffen. Ähnliches gilt für die TV-Debatten vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Freunde der Frühklassik haben die Musik erkannt: die Abschiedssinfonie von Josef Haydn. Eine Besonderheit: Ein Musiker nach dem anderen beendet sein Spiel. Das Werk war ein Politikum. Haydn schrieb es, um die Rechte seiner Musiker beim Fürsten Esterhazy geltend zu machen. Das Rückgrat hat sich gelohnt: der Fürst gab nach.
    Beim Südwestrundfunk spielt die Musik umgekehrt. Der Sender folgte Bedingungen einzelner Politiker und jetzt leert sich das Fernsehstudio. Die geplante Debatte vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl am 13. März steht vor dem Aus, denn CDU-Chefin und Spitzenpolitikerin Julia Klöckner sagte gestern ihre Teilnahme an der Diskussionsrunde ab und warf der SPD zugleich Erpressung des SWR vor. Der Südwestrundfunk hatte die Partei Alternative für Deutschland nicht zu der Fernsehdebatte eingeladen, nachdem Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) mit einem Boykott der Sendung gedroht hatte, falls die AfD dabei sein sollte. Frau Klöckners Warnung vor Erpressung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die CDU in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hineinregiert. 2009 sorgte der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch dafür, dass der Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängert wurde. Journalisten, Juristen, aber auch Politiker protestierten damals gegen die, wie es in einem offenen Brief hieß, staatliche Einflussnahme. Guten Morgen, Herr Brender.
    Nikolaus Brender: Hallo! Guten Morgen.
    Heinemann: Wie hätte sich der Intendant des Südwestrundfunks verhalten sollen?
    Brender: Erst mal hätte er sich vor den Wahlen rechtzeitig Regeln aneignen müssen. Das ganze Schlamassel, das wir jetzt hier sehen, ist doch nichts anderes als die Quittung für eine widersprüchliche Praxis des Südwestrundfunks bei der Programmgestaltung. Wenn man sieht, vor 2011 galt die Regel: Nur im Parlament vertretene Parteien werden eingeladen. 2011 dann wurden Linke und Grüne eingeladen, obwohl sie nicht im Landtag saßen. Und 2016 nun soll die AfD nicht in die Runde, weil Grüne und SPD es nicht wollen. Entschuldigung, aber das ist höchst unprofessionell. Das ist das, was wir jetzt sehen, öffnet den Parteien Tür und Tor zur Einflussnahme. Ich bin nicht mehr sicher, ob der Intendant des Südwestrundfunks immer noch Herr der Programmhoheit ist und aus eigener Entscheidungsfreiheit seine Sendungen machen kann. Von Anfang an hätte er sich Regeln geben müssen. Die hätte er allen klar und deutlich machen müssen. Dann wäre das alles nicht passiert.
    "Der Südwestrundfunk muss neue Formen der Wahlberichterstattung erfinden"
    Heinemann: Sind damit vor dem 13. März jetzt im Prinzip alle Fernsehdebatten hinfällig?
    Brender: Na ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ja verpflichtet, Informationen zu liefern. Ich glaube, dass die Form der Fernsehdebatten, so wie sie jetzt gelagert ist, nicht mehr stattfinden kann, ja gar nicht mehr stattfinden darf. Jetzt sähe es so aus, als würden diese Fernsehsendungen von außen besetzt, die Programmgestaltung von den großen Parteien geregelt, und das darf nicht sein. Das heißt, der Südwestrundfunk muss neue Formen der Wahlberichterstattung jetzt erfinden oder ins Programm setzen, die mit den Dingen umgeht, die er jetzt vorfindet. Es sei denn, die Ministerpräsidenten - und das kann man denen nur raten - entscheiden sich um und setzen sich in den Fernsehsendungen auch mit der AfD auseinander.
    Heinemann: Was hätte eigentlich dagegen gesprochen, außerparlamentarische Parteien getrennt zu Wort kommen zu lassen, jetzt außer der Tradition, die Sie eben geschildert haben?
    Brender: Na ja, da spricht nichts dagegen. Auch in den Bundestagswahlen hatten wir - ich erinnere mich an meine Amtszeit beim Westdeutschen Rundfunk; da gab es eine große Diskussion, die bis vor die Gerichte kam - gesagt, wir machen eine Runde mit den im Parlament vertretenen Parteien und eine Runde mit den nicht im Parlament vertretenen Parteien. Es waren da allerdings über 20 bei den Bundestagswahlen; das ist bei den Landtagswahlen nicht. Aber wenn nun die Praxis so eingeführt wurde vom SWR, gibt es keinen Weg zurück. Das gibt es nicht. Das ist auch nicht gerichtsfest, was sie jetzt möglicherweise tun müssen. Die Absurdität können Sie übrigens daran erkennen, dass in Rheinland-Pfalz eine solche Diskussion nicht mehr zustande kommt, weil Frau Klöckner, die Oppositionsführerin, nicht daran teilnehmen wird. In Baden-Württemberg nimmt Herr Wolf teil, also wird eine solche Diskussion stattfinden. Das ist doch alles andere als einsichtig.
    Heinemann: Wie sollte sich überhaupt der öffentlich-rechtliche Rundfunk verhalten, wenn die Politik Bedingungen stellt? Sie haben 2009 ja selber mal eine Entscheidung getroffen.
    Brender: Die Sender müssen klar machen, dass sie Herr des Verfahrens sind. Sie sind die Verantwortlichen für die Programmhoheit, sollten Parteien sich einmischen, und das werden sie immer wieder versuchen; das gehört zur Natur der Parteien, das ist auch nichts Außergewöhnliches. Aber der Herr der Programmhoheit, der Intendant oder die Chefredakteure müssen ganz klar sagen, so nicht. Und wenn dies geschieht, müssen sie sagen, dann seid ihr eben nicht dabei.
    "Ein Sender kann nicht in Wahlkampfzeiten sein eigenes Programm den Parteien vorher vorlegen"
    Heinemann: Wie stark ist heute immer noch der Versuch der Politik, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen?
    Brender: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr so sagen. Ich bin ja nun schon seit einiger Zeit nicht im Geschäft. Aber durch das, was wir jetzt lesen, scheint es immer noch so zu sein, dass die im Parlament sitzenden Parteien beziehungsweise die auch in den Gremien sitzenden Parteien immer noch versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen. Da wird gesagt - das sagen die Parteien selbst, die Grünen oder die SPD -, es hätte keinerlei Einfluss auf den Sender gegeben. In Ihrem eigenen Programm, im Deutschlandfunk höre ich vor einiger Zeit vom Fraktionsvorsitzenden der Grünen, dass es wohl Vorgespräche in den Gremien des Senders gegeben habe. Ja, verdammt noch mal, was soll denn das? Ein Sender kann nicht in Wahlkampfzeiten sein eigenes Programm den Parteien vorher vorlegen. Das gibt es überhaupt nicht. (Anmerkung der Redaktion: das DLF-Interview mit dem Fraktionschef der Grünen in Rheinland-Pfalz, Daniel Köbler, zu der Entscheidungsfindung beim SWR finden Sie hier.)
    Heinemann: Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk dadurch auch anfälliger, weil Gremien und Spitzenfunktionen in den Sendern auch von der Politik besetzt werden?
    Brender: Na ja, die Anfälligkeit für solche Dinge, die ist ja nun manifest. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade in einem Fall Koch, der einen Chefredakteur des ZDF ausgehebelt hat, sehr eindeutig gesagt, dass eine bedingungslose Vielfalt der Sender garantiert werden muss. Das ist die Vielfalt des Programms, die Vielfalt des Personals. All das garantiert einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und das muss man halt durchsetzen.
    "Die einzigen, die sich jetzt auf die Schenkel klatschen, das sind die Leute der AfD"
    Heinemann: Wirkt Ihre Entlassung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute noch nach?
    Brender: Ich glaube schon. Das deutlichste Zeichen meiner Entlassung war das sehr klare Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Daraufhin mussten ja die Länder die Staatsverträge ändern und die Gremien innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender auch politikfreier machen. Ich hoffe, dass das auch nachwirkt. Das ist klar und ist auch eher normal, dass die Politik natürlich trotzdem versucht, Einfluss zu nehmen, weil die Sender natürlich auch durch die Gebühren in einer gewissen Abhängigkeit der Politik stehen.
    Heinemann: Herr Brender, wer profitiert von der Causa SWR?
    Brender: Von der Causa SWR profitieren die, für die ich wirklich auch keine Freundschaft empfinde: für viele Leute der AfD, für Funktionäre der AfD, die wahrlich nicht die Freiheit dieser Republik verkörpern. Aber es gibt ja eine Menge von Wählern der AfD, die kommen übrigens alle zum großen Teil aus der Wählerschaft der klassischen Parteien, und die Parteien selbst müssen doch ein hohes Interesse daran haben, diese Wähler bei sich zu halten, und das kann man nur mit Argumenten tun innerhalb der großen Fernsehsendungen. Deswegen glaube ich, die einzigen, die sich jetzt auf die Schenkel klatschen, das sind die Leute der AfD.
    Heinemann: Nikolaus Brender, der ehemalige Chefredakteur des ZDF. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Brender: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.