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TV-Jubiläum
60 Jahre Wetterkarte

Wetterkarte ist immer - zumindest seit jetzt schon 60 Jahren. Die Einführung der Wettergrafik in der Tagesschau war damals eine kleine TV-Revolution. Allerdings hat sie nicht nur visuell für Aufsehen gesorgt - auch politisch hat die Karte in den letzten Jahrzehnten immer wieder die Gemüter erhitzt.

Von Brigitte Baetz | 02.03.2020
Die Grafikerin Elfriede Zechner sitzt an einem Tisch und entwirft eine der frühen Wetterkarte für die ARD.
Die ersten Wetterkarten wurden vom HR-Grafikteam in Handarbeit produziert (HR / Kurt Bethke)
Seit 60 Jahren setzt die Tagesschau beim Wetter alles auf eine Karte. Zuvor, in der Steinzeit des deutschen Fernsehens, waren noch Experten des Deutschen Seewetteramtes jeden Abend ins Hamburger Studio gekommen, um live mittels Schiefertafel und zwei Wetterpuppen den Deutschen zu erklären, warum sie am nächsten Tag einen Schirm einpacken sollten - oder eben nicht.
Es war eine frühe Form der Wettershow, die in gewisser Weise heute wieder modern wäre - angesichts von Wetterfeen und -fröschen, die auch im Ersten das Thema Nummer Eins, über das sich nun wirklich jeder unterhalten kann, zur Sendegestaltung nutzen. Doch wie das so ist: das Einfache bleibt oft das Langlebigste.
"Wehe, die Wetterkarte hat nicht gestimmt!"
Mit Karlheinz Köpcke, dem "Mister Tagesschau" der 60er, 70er Jahre und 80er Jahre, wurde die tägliche Nachrichtensendung und der sich anschließende Wetterbericht, der aus Frankfurt zugeliefert wurde, zum Hochamt der Deutschen. Wer meinte, zwischen 20 und 20 Uhr 15 anrufen zu müssen, setzte sich dem Verdacht aus, unhöflich oder zumindest ungebildet zu sein.
"Man darf nicht vergessen, das war ja das Erste Programm, da waren die Straßen leer", erinnert sich Matthias Peinelt, der seine Berufslaufbahn beim Hessischen Rundfunk in der Trickfilmabteilung, die für die Wettergrafik zuständig war, begonnen hat.
"Das, was da gesagt wurde, das war die pure Wahrheit und was in der Wetterkarte gesagt wurde, das hat man dann geglaubt und wehe, das hat nicht gestimmt. Meine Güte, gab's da Zuschriften!"
Die Morsezeichen QAM, die lange Zeit die Wetterkarte beendeten, bedeuteten "Wie wird das Wetter?" - waren aber irgendwann genauso aus der Zeit gefallen wie die ursprüngliche Karte, die Deutschland bis 1970 noch in den Grenzen von 1937 zeigte.
Gestaltung sorgt für Protest
In den 70er Jahren war das politisch nicht mehr tragbar. Trotzdem protestierten nicht nur die Vertriebenenverbände dagegen, dass statt großdeutscher Grenzen jetzt nur noch Flüsse und stilisierte Mittelgebirge zu sehen waren. Auch der DDR ging damit das Feindbild einer vermeintlich revanchistischen BRD verloren, das allerdings Heinz Grothe, Kommentator beim Deutschen Fernsehfunk in Ost-Berlin, flugs umzudeuten vermochte.
"So sieht das jüngste Kind der neuen Bonner Ostpolitik aus: die Grenzen sind samt und sonders verschwunden. Europa ist gewissermaßen eingedeutscht worden. Millionen Menschen in diesem grenzenlosen Europa werden von der Bonner Gesetzgebung seit über 20 Jahren als westdeutsche Staatsbürger betrachtet und beansprucht. Die unverschämte Anmaßung ist genauso grenzenlos wie die neue Wetterfernsehkarte."
1990 erregte die Wetterkarte wieder die Gemüter, als sie schon im Juli graphisch die deutsche Vereinigung vollzog. Verantwortlich dafür war der Leiter der Wettergrafik Matthias Peinelt:
"Als ich den Auftrag erhalten hab, das Design zu entwickeln, war ja schon absehbar, dass es zur Einheit kommen wird und da hab ich gewagt, das Deutschland zu zeigen, wie wir es heute kennen. Unser damaliger Chefredakteur, der Herr Sternburg, schluckte erst und sagte: 'Naja, bis wir auf Sendung gehen, dann werden ja wohl die Verträge geschlossen sein, wir wagen es einfach mal und stellen das vor.'"
Diskussionen um Städte auf Karte
Der federführende NDR und die ARD-Intendantenrunde segneten das ab, mit der Überlegung, so Peinelt: "Selbst wenn es erstmal eine Trennung weiter geben sollte - an die keiner geglaubt hatte - dann zeigen wir das Wetter für ganz Deutschland."
Das Thema Wetterkarte war also auch immer ein politisches. Und auch die Frage "Welche Städte dürfen auf die Karte?" wird immer wieder neu gestellt. Wie Redaktionsleiterin Silke Hansen erklärt, hat das aber nichts mit der Bedeutung der Städte zu tun:
"Bei der Wetterkarte steht ja das Wetter im Vordergrund. Deswegen dienen die Städte tatsächlich nur zur Orientierung. Bei den Landeshauptstädten ist dsa ja so eine Sache. Da liegen ein paar ja sehr nah beieinander - Mainz und Wiesbaden zum Beispiel."
Noch im letzten Jahr beschwerte sich die AfD über angebliche Panikmache. Die heißen Temperaturen des Sommers waren rot in der Wetterkarte verzeichnet worden, was, wie die ARD selbst zu berichtigen wusste, immer schon so gewesen war. Es konnte also keine Rede davon sein, dass die betont ernsthaft gehaltene Wetterkarte eine Art "Klimahysterie" schüren würde. Ohnehin, sagt Joachim Pütz, einer von vier Redakteuren, die in der Tagesschau um 20 Uhr das Wetter sprechen:
"Es ist keine Wetterkarte mehr, obwohl der Begriff sich hartnäckig hält. Es sind ja jetzt alles Computeranimationen, bewegte Filme."
Wetterkarte wandelt sich
In der Anfangszeit mit Pappvorlagen gebastelt und in Trickfilmtechnik aufwändig abfotografiert, heute per Computertechnik am Bildschirm erstellt. Und das ist natürlich nicht die einzige Änderung. Wurde in den Anfangsjahren schlicht der Text des Deutschen Wetterdienstes aus Offenbach vorgelesen, wird er heute redaktionell aufbereitet.
"Akustisch natürlich ist die Sprache moderner, spontansprachlicher geworden. Wir versuchen halt diese meteorologischen Worthülsen, die der Zuschauer ohnehin nicht wirklich versteht, zu vermeiden" - also keine "Niederschläge" mehr, sondern wirklich "Regen" oder "Hagel".
Bei allen Neuerungen: Die Wetterkarte, wie man sie immer noch nennen kann, hat den Versuchungen zum Entertainment widerstanden. Aus dem Wetterteam des federführenden HR in Frankfurt ist inzwischen ein Wetterkompetenzzentrum geworden, das die ganze ARD mit Wetterberichten beliefert, auch mit Hintergrundstücken zum Klima und mit Unterhaltungselementen. Nur die Wetterkarte bleibt auch nach 60 Jahren die Wetterkarte.